Süddeutsche Zeitung

Musikwissenschaft:Bach im Dschungel

Wirkt Musik auf alle Menschen gleich? Forscher spielten Pygmäen im Regenwald von Afrika Bach und Brahms vor. Kanadische Probanden bekamen Melodien aus dem Kongo zu hören.

Von Sebastian Herrmann

Empfinden ein vollbärtiger Hipster aus Montréal in Kanada und ein Angehöriger der Mbenzélé-Pygmäen aus der Republik Kongo die gleichen Emotionen, wenn sie ein und dasselbe Musikstück hören? Die Antwort auf diese Frage haben Wissenschaftler um Hauke Egermann von der Technischen Universität Berlin und Nathalie Fernando von der Universität Montréal im Regenwald Afrikas und in der Hauptstadt des kanadischen Bundesstaates Quebec gesucht.

Sie spielten 40 Mbenzélé-Pygmäen sowie 40 Kanadiern Musikstücke aus beiden Kulturkreisen vor und werteten die emotionalen Reaktionen aus. In zwei Hinsichten weckten die verschiedenen Klänge identische Reaktionen: Kanadier und Afrikaner empfanden die gleichen Stücke als beruhigend oder aufwühlend (Frontiers in Psychology, Bd. 5, S. 1, 2015).

Wissenschaftler debattieren schon lange darüber, was die emotionale Reaktion auf ein Musikstück bestimmt: Steckt in jedem Lied eine Art universeller Code, der weltweit die gleichen Gefühle der Menschen auslöst? Oder determiniert die Kultur des Publikums, was Musik bewirkt? Die Antwort aus dem Regenwald und der Innenstadt Montréals lautet: sowohl als auch.

Die Forscher ließen die Pygmäen westliche Instrumentalstücke anhören, etwa Ausschnitte aus der Filmmusik zu "Schindlers Liste", "Star Wars" oder Stücke von Bach, Schostakowitsch und Wagner. Fremd war den Afrikanern, dass Musik auch traurige Gefühle transportiert. Das liege an der musikalischen Tradition der Pygmäen, so Fernando. Ihre meist schnellen Lieder dienen alle dazu, Angst und schlechte Gefühle zu vertreiben - vor der Jagd, bei Trauer oder bei Zeremonien. In der Kultur der Mbenzélé gibt es traurige Lieder nicht, deswegen unterschied sich die Reaktion der Hörer aus Kanada und Afrika vor allem bei getragenen, melancholischen Stücken.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2015
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