Multitasking:Selbstsicher ins Verderben

Multitasking ist weit verbreitet, doch es überfordert die Menschen und führt zu mehr Fehlern.

Von Werner Bartens

Bei aller anerzogenen Bescheidenheit: Zumeist überschätzt sich der Mensch chronisch selbst in allem, was er tut. Sein Anteil an der Hausarbeit, in der Fußballmannschaft und erst recht im Büro ist der größte und wichtigste. Alles unter Kontrolle hat er sowieso. Diese unreflektierte Zuversicht ist wohl die Voraussetzung dafür, überhaupt auf die Idee zu kommen, Kontinente zu entdecken und sich in Projekte mit ungewissem Ausgang zu stürzen. Im wenig abenteuerlichen Alltag erhöht die Gewissheit, mehrere Dinge gleichzeitig zu beherrschen, jedoch die Gefahr, in Notlagen zu geraten, so wie dies vermutlich auch beim Fahrdienstleiter in Bad Aibling der Fall war, der zur Unglückszeit ein Computerspiel am Handy spielte. "Menschen unterliegen schnell der Illusion der Kontrolle", sagt Dieter Frey, Sozialpsychologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Auch bei Situationen, die schwer zu bewältigen sind, denken sie: Das kann ich."

Die Wissenschaft hat immer wieder gezeigt, dass Multitasking keine erstrebenswerte Fähigkeit ist, sondern die Menschen überfordert. So belegten Forscher der Stanford University 2009, dass intensive Mediennutzung keineswegs die Konzentrationsfähigkeit schult, sondern verschlechtert. "Heavy Media-Multitasker" ließen sich leichter ablenken, konnten sich relevante Inhalte schlechter merken und schnitten in Tests, in denen sie verschiedene Aufgaben erfüllen sollten, nicht so gut ab. "Die strukturierte Informationsverarbeitung leidet darunter", so lautet das ernüchternde Fazit der Autoren um Eyal Ophir. "Immer mehr Menschen werden in ihren kognitiven Fähigkeiten überfordert, wenn sie an immer größeren Bildschirmen mehrere Fenster und Browser geöffnet haben und erwartet wird, dass sie zudem per Chat, SMS und Tablet erreichbar sind und antworten."

Vergangene Woche erst hat eine finnische Studie an Jugendlichen und jungen Erwachsenen erneut gezeigt, wie solches Multitasking die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Psychologen und Neurowissenschaftler der Universität Helsinki belegen, dass der ständige Mehrfachgebrauch elektronischer Medien keineswegs zur Gewöhnung führt, sondern mehr Hirnkapazität beansprucht, als bisher angenommen wurde.

Wer beispielsweise oft gleichzeitig Videoclips sieht und Nachrichten schreibt, schneidet in kognitiven Tests schlechter ab und lässt sich leichter zerstreuen. Je intensiver der multiple Mediengebrauch, desto mehr Fehler in den Aufgaben, wenn die Forscher mit leichten Ablenkungsmanövern beginnen. Eine Übersichtsarbeit aus dem vergangenen Jahr, die den Forschungsstand auf der Basis von 150 Studien zusammengefasst hat, kam zu dem Ergebnis, dass sowohl die kognitive Kontrolle als auch die schulisch-akademische Leistung und die sozial-emotionale Stabilität leiden, wenn Menschen ständig mediales Multitasking betreiben.

Viele Menschen halten sich trotzdem für nahezu unfehlbar. Auf keinen Fall sehen sie sich nur als Mittelmaß. "95 Prozent der deutschen Autofahrer sagen, sie sind besser als der Durchschnitt. Sie sehen ja nur die Fehler der anderen", sagt Sozialpsychologe Frey. Das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, ist besonders ausgeprägt bei gleichförmigen Tätigkeiten und langjähriger Routine. "Unterforderung im Beruf birgt ein hohes Ablenkungspotenzial", sagt Dieter Frey. "Es ist gefährlich, sich zu selbstsicher zu sein, nach dem Motto: Das habe ich ja eh alles im Griff."

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