Manchmal fühlt sich das Leben an wie ein Termin beim Zahnarzt. Es besteht die Gefahr einer schmerzhaften Behandlung durch höhere Instanz, der eine saftige Rechnung folgt. Den sprichwörtlichen Bohrer führt jenseits der Dentalpraxen die Politik: Wenn deren Vertreter Regelungen, Verbote oder andere Zeit- und Freiheitsvernichtungsinstrumente erfinden, die als kompliziert, teuer oder sonst irgendwie schmerzhaft empfunden werden.
Getragen sind diese Regelungen selbstverständlich von guter Absicht oder Vernunft. Doch treffen sie auf eine grundgereizte Bevölkerung, in der große Gruppen stets bereit sind, jede kleine Gelegenheit zu nutzen, um lautstark beleidigt zu sein. Rauchverbote, höhere Steuern auf Alkohol, Tempolimit, Wärmepumpen, Impfpflicht und so weiter – schon die theoretische Möglichkeit solcher Regelungen kann kollektive Schnappatmung auslösen. Aber womöglich ist es hier wie auch beim Zahnarzt: Vor dem Termin ist die Aufregung am größten.
Erst spät rückt der kollektive Nutzen ins Bewusstsein
Gerade haben Psychologen um Armin Granulo von der TU München eine Studie im Fachjournal PNAS publiziert, mit der sich diese These stützen lässt. Schränken neue politische Regelungen die persönliche Freiheit der Bürger ein, provoziert das insbesondere im Vorhinein heftige Ablehnung. Sind die Maßnahmen aber erst einmal beschlossen, legt sich die kollektive Bockigkeit relativ schnell.
Woran es liegt, dass die Entrüstung rasch nachlässt? „Dahinter stecken unterschiedliche Denkprozesse“, sagt Granulo. Bevor eine Regelung in Kraft tritt, richtet sich die Aufmerksamkeit der meisten Menschen darauf, wie diese ihre persönliche Freiheit einschränkt. Ist sie erst einmal beschlossen, tritt der kollektive Nutzen näher ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit, was die aufgerauten Gemüter wieder glättet.
Die Psychologen um Granulo werteten unter anderem repräsentative Umfragen aus zahlreichen Ländern aus, in denen der Widerstand gegen Rauchverbote, die Anschnallpflicht oder die Verschärfung eines Tempolimits ermittelt worden waren. Stets fiel die Ablehnung vor Beschluss der Maßnahmen stärker aus als danach. Die Bockigkeit – oder Reaktanz, wie Psychologen das vornehmer nennen – legte sich relativ bald wieder. In weiteren Experimenten stießen die Forscher auf den gleichen Zusammenhang. Dabei sollten die Probanden etwa eine Impfpflicht im Fall einer Pandemie bewerten oder das mit Klimaschutz begründete Verbot, mit dem Auto zur Arbeit zu pendeln. Hieß es, diese Maßnahmen sollten eingeführt werden, provozierte das mehr Ablehnung, als wenn den Studienteilnehmern gesagt wurde, die Regelungen seien längst gültig.
Dabei stießen die Forscher auf einen verblüffenden Nebenaspekt: Der Effekt trat unabhängig davon auf, ob die Studienteilnehmer die jeweilige Maßnahme grundsätzlich für richtig oder falsch hielten. Die persönliche Einstellung spielte offenbar keine Rolle – egal, wie blöd jemand die Regelungen fand, nach Einführung war alles halb so wild wie zuvor. Die Bockigkeit der Widerspenstigen scheint sich also schneller zu legen, als viele befürchten: Was schert sie ihr Geschrei von gestern?