Es ist noch finster, als das Fischerboot der Familie Mas aus dem Hafen Palma de Mallorca ausläuft. Die Motoren dröhnen so laut, dass sich die Besatzung mit Handzeichen verständigt.
Viel gibt es sowieso nicht zu reden, jeder weiß, was er zu tun hat. Der 30-jährige Kapitän, Manuel Mas, steuert die Port d'Andratx zum ersten Fischgrund. Sein Vater Rafael, der jüngere Bruder Daniel und zwei Hilfskräfte entwirren das Netz und rollen es auf. Eine gute Stunde vom Hafen entfernt werfen es die Fischer zum ersten Mal an diesem Tag aus.
Stahlseile laufen über eine Rolle, bis das Netz in 400 Metern Tiefe Kontakt mit dem Meeresboden hat. Das Fischerboot fährt langsam weiter, schleift das Netz über den Grund und wühlt den Meeresboden auf. Meerbarben und Garnelen werden aufgescheucht und schwimmen in den trichterförmigen Fangsack. Zwischen den Fischen landen auch Plastikflaschen, Tüten, Getränkedosen und Benzinkanister im Netz.
In der Tiefe der Ozeane häuft sich der Müll. Wind und Strömung treiben riesige Mengen an Verpackungen aus Plastik, Glas und Metall sogar bis in die abgelegensten Winkel der See, wo Teile des Unrats auf den Boden sinken und "jahrhundertelang bleiben, denn dort unten fehlen Licht und Sauerstoff, so dass beispielsweise Plastik nur sehr langsam abgebaut wird", erklärt François Galgani vom französischen Meeresforschungsinstitut Ifremer.
Kühlschränke und Eimer mit Lacken
Das Wasser rund um Mallorca ist zwar sehr sauber. Schon längst leiten Fabriken und Hotels ihr Abwasser nicht mehr in die See, doch in keinem anderen Meer lagert so viel Müll wie auf dem Grund des Mittelmeers.Selbst Kühlschränke und Eimer mit Lacken und Farben haben sie schon an Deck gezogen, erzählt Rafael Mas.
"Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn du den ganzen Tag gearbeitet hast und dann alles wegschmeißen musst, weil der Fisch voller Farbe ist", schimpft der Fischer. "Und das, weil irgendein Herr nur die Hälfte seines Farbeimers gebraucht hat und dann nicht wusste, wohin mit dem Rest. Da schmeißt er ihn eben von seiner Yacht."
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Pep Amengual vom Umweltministerium der Balearen. Als die kleine Insel Cabrera nahe Mallorca 1991 zum Nationalpark erklärt wurde, fischten freiwillige Helfer Hunderte Tonnen Verpackungsmüll und anderen Unrat aus der Inselbucht Santa Maria.
Hier waren an den Wochenenden jahrzehntelang um die 300 Yachten und viele Militärschiffe vor Anker gegangen. 70 Prozent des Mülls, der in der Tiefe des Mittelmeers lagert, stammen allerdings von Kreuzfahrtschiffen, die laut Daten der internationalen Meeresschutzorganisation Oceana täglich bis zu 4000 Kilogramm Abfall produzieren.
Als die Sonne längst hoch über dem Meer steht und rings um die Port d'Andratx nichts als glitzerndes Blau zu sehen ist, ziehen Daniel Mas und die beiden Hilfskräfte das Netz wieder hoch. Der Fang besteht nur aus ein paar zappelnden Fischen. Die Mannschaft ist enttäuscht; aber es ist Freitag, der letzte Arbeitstag in einer 60-Stunden-Woche, und die Stimmung an Deck bleibt gelöst.
Vielleicht liegt es auch daran, dass diesmal mit dem Fang nur wenig Müll an Bord landet: einige Plastikfetzen, Plastikflaschen, eine Glasflasche und ein paar Dosen. "Wo wir jetzt sind, werfen wir fast jeden Tag das Netz aus, aber es gibt viele Stellen, wo kaum jemand fischt und da häuft sich der Müll", sagt Daniel Mas.
Die Familie Mas schmeißt den Müll aus dem Meer nicht zurück ins Wasser, sondern entsorgt ihn an Land. Im Fischereihafen steht ein großer Container, den die Müllabfuhr wöchentlich drei Mal leert. Am Abend nach jeder Leerung quillt der Behälter trotzdem immer über. Der Container soll deshalb durch gleich drei Wertstofftonnen ersetzt werden, in die der Müll sortiert wird.
Die Fischer selbst hätten das größte Interesse daran, das Meer zu schützen, schließlich lebten sie vom und im Meer, sagt Rafael Mas, dessen Großvater auch schon Fischer war. Er meint, dass selbst der Gebrauch des umstrittenen Schleppnetzes in Tiefen, in denen nichts mehr wächst, das Meer pflege:
"So wie der Bauer sein Feld pflügt, graben wir den Meeresboden um. An den Stellen, an denen wir das einige Zeit nicht machen, gibt es plötzlich keine Fische mehr. Wenn wir unsere leeren Netze, die den Boden berührt haben, wieder hochziehen, riechen sie nach Fäulnis."
Die Meeresschutzorganisation Oceana sieht das anders. Sie kritisiert den Einsatz des Schleppnetzes, weil es die Pflanzen auf dem Meeresboden zerstört. Und dort, wo nichts mehr wächst? Man wisse gar nicht, ob dort nicht doch etwas wachse, der Meeresboden sei nicht ausreichend erkundet.
Es herrscht auch Unklarheit darüber, ob es überhaupt sinnvoll ist, den Abfall aus dem Meer zu bergen. "Manchmal ist es besser, den Müll auf dem Meeresboden zu lassen", sagt zum Beispiel Silvia García. Lebewesen besiedelten nämlich den Dreck, den Menschen im Meer zurück lassen. "Wer diesen bewachsenen Unrat dann rausholt, zerstört das Ökosystem aufs Neue", erklärt die Meeresforscherin von Oceana.
Auf dem Müll, den Familie Mas aus dem Meer fischt, befinden sich zumindest keine Spuren maritimen Lebens.
Schildkröten ersticken an Plastikfetzen
Zum Mittagessen an Bord gibt es fangfrischen Fisch - seit Jahren das gleiche Essen, das allen an Deck immer noch schmeckt. Kapitän Manuel Mas blickt über die spiegelglatte Wasseroberfläche, während sein Vater erzählt, dass es in seiner Jugend noch wesentlich mehr Fische im Mittelmeer gab. Vater Mas glaubt aber, dass sich der Fischbestand zumindest rund um die Küste Mallorcas wieder erholen wird, denn es gibt nur noch wenige Fischer.
Pep Amengual vom Umweltministerium ist anderer Meinung: "Die Fischer im Mittelmeer - also auch die Mallorquiner - fangen immer noch zu viel Fisch." Andere Behörden und Umweltschutzorganisationen teilen seine Ansicht. So hat beispielsweise die Brüsseler Kommission eine neue Richtlinie für Fischernetze erarbeitet. Seit 1. Juni müssen die Netze großmaschiger sein, damit kleine, junge Fische durch die Maschen fallen, im Meer bleiben, wachsen und sich fortpflanzen, bevor sie im Kochtopf landen.
Für Amengual sind die Fischer die größere Bedrohung für das Meer rund um Mallorca als der Müll. Und welchen Einfluss Abfälle auf dem Meeresboden wie Plastik, Glas und Metall auf das Ökosystem hätten, lasse sich nur schwer messen.
Dass Müll ein übles Futter für große Tiere wie Thunfische, Haie, Wale und Delfine ist, wurde allerdings schon nachgewiesen. Besonders viel Müll schluckt der Eissturmvogel Fulmar, hat François Galgani von Ifremer festgestellt.
Im Magen des Vogels, der Plastikschnipsel und anderen Dreck von der Oberfläche der Nordsee pickt, befinden sich durchschnittlich 0,6 Gramm Müll, im Extremfall sogar 200 Gramm. Auf den Menschen hochgerechnet wären das bis zu zwei Kilogramm Abfall im Magen. Wie das im schlimmsten Fall wirken kann, zeigt das Beispiel der Meeresschildkröte: Sie frisst oft Plastikfetzen, die auf der Meeresoberfläche schwimmen, weil sie die Fetzen für Quallen hält - und erstickt daran.
Nach zwölf Stunden Fahrt läuft die Port d'Andratx mit wenig Fisch an Bord im Hafen von Palma de Mallorca ein. Rafael Mas deutet auf den Yachthafen, der den überschaubaren Fischereihafen einrahmt.
"Dort drüben habe ich noch nie gesehen, dass jemand mit einem Müllsack von Bord gegangen wäre. Wo sind die Flaschen und Dosen, die auf See leer getrunken wurden?" Er selbst hat seinen Müllsack geschnürt. Darin sind Fetzen alter Plastiktüten, Plastikflaschen, Dosen und Glas. An Land bringt Sohn Daniel den Müll zu den großen Containern, neben denen ein verrostetes Ölfass steht - das haben die Fischer gestern aus dem Meer gezogen.