Wer sich auf Spielplätze und in Kinderzimmer begibt, muss glauben, dass dem Land eine strahlende Zukunft bevorsteht: Offensichtlich trainieren nur noch künftige Spitzenathleten auf Rutschbahn und Klettergerüst, Fingerfarben-Klecksereien werden wohl dereinst Höchstpreise auf Auktionen erzielen, architektonische Brillanz zeigt sich im Sandkasten. Und wenn eine Achtjährige ein Musikinstrument eher nicht so gut behandelt, ist die Chance dennoch groß, dass jemand in Hörweite sagt: "Niemand spielt so toll Geige wie du!"
Nachdem die meisten Eltern glücklicherweise Gewalt und Kälte als pädagogische Maßnahmen abgeschafft haben, sind viele von ihnen in ein anderes Extrem verfallen: Sie loben jede Lebensäußerung ihres Nachwuchses ohne Sinn und Verstand - und hoffen, dass dieses Verhalten den Kindern gut tut. Doch das ist ein Irrtum, wie eine wachsende Zahl von Studien belegt. Diese zeigen, dass es nicht so sehr darauf ankommt, ob gelobt wird, sondern wie, wofür und wann.
Die Überzeugung, dass positive Bewertungen immer gut für Kinder sind, ist "eine durch nichts bewiesene Annahme", sagt etwa der Mediziner und Buchautor Herbert Renz-Polster von der Universität Heidelberg. Selbstwertgefühl entwickelten Kinder entgegen der landläufigen Meinung nicht dann, wenn sie von den Eltern besonders viel gelobt werden. Wichtiger ist, dass sie selber ihre Erfahrungen für gut befinden: "So wenig es dem Kind hilft, wenn Eltern immer gleich in Lobeshymnen ausbrechen oder vor Freude fast einen Anfall bekommen, wenn ihm einmal etwas gelingt, genauso wenig hilft es ihm, wenn die Eltern vor Mitleid zerfließen, wenn etwas misslingt. Kinder lernen im Kleinkindalter, diese Sachen selbst zu regeln."
Gerade bei Kleinkindern jedoch ist es üblich, soziales Verhalten durch Lob oder Tadel zu kontrollieren: "Du musst das mit Anna teilen!" oder "Sehr schön, wie ihr gemeinsam mit dem Bagger spielt", hört man hundertfach auf jedem Spielplatz. Entwicklungspsychologen raten jedoch davon ab, an sich schon positives Verhalten noch einmal mit einem Lob zu verstärken. "Die Kinder lernen dann nicht, dass sie sich richtig verhalten, sondern dass es eine Möglichkeit ist, Aufmerksamkeit zu bekommen", erklärt Joan Grusec. Sie forscht an der Universität Toronto darüber, wie sich kleine Kinder zu sozialen Wesen entwickeln.
Ein übermäßiges Lob, wenn Anna ihren Bagger auch mal dem kleinen Bruder leiht, wird ihrer Ansicht nach nicht dazu führen, dass sie das von da an öfter tut. Grusecs Rat: "Unterstellen sie lieber, dass das Kind freigiebig ist, weil es eben so ein freigiebiger Mensch ist, das gibt ihm das Gefühl, die Motivation für das Verhalten kommt aus ihm selbst heraus."
Auch Tadel ist ihrer Ansicht nach wenig effektiv. Kinder lernten soziales Verhalten am ehesten, wenn ihre Eltern mit ihnen über die Bedürfnisse anderer Menschen sprechen. "Nicht predigen!", empfiehlt Grusec, sondern das Gespräch eher an den Fragen des Kindes orientieren. Grusec kann sich sogar eine Erziehung ganz ohne Lob vorstellen: "Das heißt nicht, dass wir unseren Kindern nicht sagen dürfen, dass wir stolz auf sie sind, aber es ist ein Unterschied, ob wir stolz auf sie als Person sind oder ob wir ihr Verhalten bewerten." In asiatischen oder afrikanischen Kulturen zum Beispiel werde viel weniger oder überhaupt nicht gelobt. Ob dies in der westlichen Kultur jedoch so einfach zu übernehmen ist, darüber herrscht Uneinigkeit.
Klar ist jedoch: Der Ausruf "Was bist du nur für ein Engel!" lässt besonders Kinder im Schulalter eher an der Ernsthaftigkeit des Lobenden zweifeln. Schließlich gab es erst gestern Ärger fürs Zuspätkommen. Carol Dweck, Psychologin an der Universität Stanford, zeigt in ihren Arbeiten, dass übermäßig gelobte Kinder unsicher werden. Je älter sie werden, desto mehr fragen sie sich dann, ob man sie bemitleidet und es deshalb für nötig hält, sie so übertrieben zu hätscheln.
Dweck stellte in weiteren Studien fest, dass vor allem ältere Kinder sehr sensibel darauf reagieren, wofür sie gelobt werden: einfach nur für ihr Können oder für die Art, wie sie an Probleme herangehen. Wer nach einem Test zu hören bekam: "Wie gut du bist!" war später hilflos, wenn es nicht klappte wie gewünscht. Hatte man den Kindern hingegen gesagt: "Du hast dir wirklich große Mühe gegeben!", bewiesen sie mehr Ausdauer und größere Fortschritte.
Auch Alter und Geschlecht scheinen eine Rolle zu spielen. Besonders Mädchen im Grundschulalter fühlen sich von einem Satz wie "Na, du bist aber besonders gut beim Puzzle!" so unter Druck gesetzt, dass sie Versagensängste entwickeln. Sie werden eher durch Lob motiviert, das ihre Anstrengung thematisiert, während Jungs auch nach einem Lob für ihr Können keinerlei Motivationseinbrüche hatten.
Generelles oder übertriebenes Lob konfrontiert Kinder mit unrealistischen oder schlicht nicht zu Ende gedachten Erwartungen der Erwachsenen. Die Psychologen Jennifer Henderlong und Mark Lepper vom Reed College in Oregon haben über 100 Studien zum Thema ausgewertet und formulieren deshalb die Grundregel: Loben Sie aufrichtig! Alles, was zu allgemein, übertrieben oder offensichtlich manipulativ ist, schadet. Ein Zehnjähriger malt nun mal nicht wie Picasso und nur die allerwenigsten Achtjährigen sind kleine Klavierwunder. Aber natürlich will niemand seinem Kind sagen, dass es eben wie ein Achtjähriger Klavier spielt.
Psychologen empfehlen daher schon seit längerem, Kinder vor allem beschreibend zu loben. Es dauert zwar länger zu sagen: "Es gefällt mir, dass Du diese schwierige Passage jetzt sehr langsam und konzentriert spielst und auch immer auf die Pausenzeichen achtest." Doch das Kind lernt dadurch, was den Eltern wichtig ist und wie sie etwas bewerten.
Überhaupt kann sparsames Lob effektiver sein als häufiges: "Wenn Lob zu einfach verfügbar ist, motiviert es nicht mehr", sagt Emrah Düzel, Neurowissenschaftler an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. Seine Forschung zeigt zwar, wie wichtig Loben etwa für das Lernen neuer Dinge ist. Es regt im Gehirn das Belohnungszentrum dazu an, Dopamin auszuschütten. Der Botenstoff motiviert und hilft beim Lernen. Schon wenn wir nur ein Lob in Aussicht haben, spüren wir dieses angenehme Kribbeln. Das eigentliche Lob ist dann nur noch notwendig, um den Mechanismus aufrechtzuerhalten. Kommt das Lob hingegen zu schnell, zu leicht oder zu oft, stumpft das System ab.
Sparsames Lob macht Kinder laut Düzel auch unabhängiger von der Droge Lob. Sie lernen, eine aktuell verfügbare Belohnung abzulehnen, um später eine umso bessere zu bekommen. Diese Fähigkeit zum "Delay-Discounting" ermöglicht ihnen dann später, das Taschengeld nicht sofort für Süßigkeiten auszugeben, sondern auf Rollschuhe zu sparen.
Wenn Kinder etwas gerne machen, können Eltern das ruhig positiv verstärken, solange das Lob maßvoll bleibt. Experimente der Ernährungsforscherin Leann Birch vom Zentrum für kindliches Übergewicht an der Universität Pennsylvania zeigen, dass Kinder sehr sensibel sind, wenn es um die Frage geht, ob sie etwas aus eigenem Antrieb tun. In einem Experiment bekamen Kinder eine Belohnung, wenn sie vier Wochen lang Kefir tranken. Eine Kontrollgruppe trank ebenfalls den Kefir, aber ohne dass eine Belohnung damit verknüpft war. Am Ende zeigte sich, dass die Belohnungsgruppe das Getränk zum Schluss der Studie weniger mochte als zu Beginn, während die Kinder der Kontrollgruppe es nach eigener Aussage sogar lieber mochten. Birch folgert daraus: Bekommt ein Kind das Gefühl, dass es nur noch Gemüse isst, weil es jedes Mal dafür gelobt wird, wird es eher wieder zu Pommes wechseln.
Äußerst heikel ist auch vergleichendes Lob: Vom Lehrer vor versammelter Klasse gelobt zu werden, ist für viele Kinder sogar eher peinlich als motivierend. Aus den gleichen Gründen sollten Eltern zurückhaltend sein, wenn sie ihre Kinder vor Geschwistern oder Freunden loben. Besser ist das beschreibende Lob - sicher gibt es in jedem Kinderbild etwas Interessantes hervorzuheben oder nachzufragen.
"Loben Sie ihr Kind für Dinge, die es ändern kann"
Vergleichendes Lob kann sonst gleich zwei negative Effekte auslösen: Die Kinder werden zu schlechten Verlierern und sie lernen, dass es um den Sieg in einem Wettbewerb, nicht aber um die Sache selbst geht. "Es ist für das Selbstwertgefühl eines Kindes sehr nachteilig, wenn es von Eltern die Rückmeldung bekommt, dass das andere Kind besser ist", resümiert Herbert Scheithauer, Entwicklungspsychologe an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitentwickler des sogenannten Papilio-Programms zur Prävention von Verhaltensproblemen, bei dem Eltern unter anderem lernen, Kindern auf die richtige Weise eine positive Rückmeldung zu geben. Natürlich müssen Eltern nicht jedes Gekrakel toll finden. Gefällt ihnen etwas nicht, empfiehlt Scheithauer Kommentare wie: "Beim letzten Mal hast Du Dir mehr Zeit genommen, da konnte ich besser erkennen, was Du malen wolltest."
Grundsätzlich sollten Kinder immer wissen, dass Lob nichts über ihren Wert als Mensch aussagt. "Loben Sie ihr Kind für Dinge, die es ändern kann", sagt Scheithauer, "und machen Sie immer deutlich, dass es ihre persönliche Meinung ist."