Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Ich bin so gut!

Warum streben Menschen danach, moralischen Ansprüchen zu genügen? Weil es sich so toll anfühlt und Anerkennung verspricht, meinen Forscher.

Von Sebastian Herrmann

Die beste Version des eigenen Ichs befindet sich stets in ferner Zukunft. Als strebten die Menschen nach Einlass in ein Ego-Utopia, erzählen sie sich, dass sie sich eines Tages - ganz gewiss, versprochen! - verbessern würden. Meistens handelt es sich um ganz banale Ziele, getrieben von den kleinen Eitelkeiten. Schlank, schön und fit will man sein, ist ja klar, dann endlich wird das Leben einem Wunschkonzert auf dem Ponyhof gleichen. Die anderen wollen weniger Zeit vertrödeln, ein besserer Vater, eine bessere Mutter sein, mehr Geld verdienen, weniger ausgeben und so weiter: Auf den Wunschzetteln stehen lange Listen, auf denen oft die gleichen Ziele aufgeführt werden. Der Mensch als solcher, Achtung, grobe Verallgemeinerung, empfindet sich offenbar als grunddefizitäres Wesen und hofft auf sofortige und dauerhafte Besserung, wenn sich nur diese eine Sache ändern würde. Offenbar gilt das auch, zumindest ansatzweise, für das Reich der Moral. Auch hier träumen die Menschen von einem besseren Selbst, mit dem sie dann endlich ein glückliches Leben führen könnten.

Gerade haben Psychologen um Jessie Sun von der Washington University in St. Louis eine Studie auf dem Preprint-Server PsyArXiv publiziert, die sich in diese Richtung interpretieren lässt. Die Wissenschaftler befragten dafür mehr als 1800 Teilnehmer und baten sie, über ihre Ansprüche an das ethische Selbst und ihre Hauptmotivation für Veränderung Auskunft zu geben. Die Mehrzahl der Studienteilnehmer gab an, dass sie moralische Eigenschaften verbessern wollten. Ihr Ziel bestand also weniger darin, empfundene Defizite zu beheben, sondern bestehende Charakteristika zu optimieren. Am häufigsten sagten die Teilnehmer, dass sie mehr Mitgefühl mit anderen empfinden wollten. Außerdem wünschten sich viele Probanden, offener, ehrlicher, produktiver, respektvoller und zugewandter zu sein.

Gutes Tun sieht einfach gut aus

Zwischen 40 und 48 Prozent der Teilnehmer - für die Studie wurden zwei leicht unterschiedliche Befragungen organisiert - gaben an, dass sie sich selbst als Hauptnutznießer ihrer Wandlung zu einer besseren Person betrachteten. Das imaginierte ideale Selbst wurde also als Quelle eigener Lebenszufriedenheit erträumt. Auf den ersten Blick, so argumentieren auch die Psychologen, klingt das überraschend: Sollte es bei guten Taten doch um andere statt um das Ich gehen. Wer Mitmenschen hilft, so die verbreitete und vielleicht etwas naive Ansicht, handelt zum Wohl anderer.

Auf der anderen Seite verschafft es Menschen ein gutes Gefühl, wenn sie Gutes tun - und daran ist ja nichts verwerflich. Besser aus einer niederen Motivation Gutes tun, als nichts Gutes zu tun. Vor allem streben Menschen danach, nach außen ein Bild als moralisch integre Personen zu pflegen. Viele der so lauten als Debatten verbrämten Streitereien lassen sich zum Beispiel als öffentlicher Wettbewerb um Status interpretieren, wie der Wissenschaftsautor Will Storr in seinem unbedingt lesenswerten Buch "The Status Game" überzeugend argumentiert. Grob gesagt: Wer nicht um Geld und den damit verbundenen Status konkurriert, streitet sich mit anderen stattdessen darum, wer als der "beste Mensch" gelten darf. Als "Moral Grandstanding" bezeichnen die US-Philosophen Justin Tosi und Brandon Warmke diese Form der lauten ethischen Aufschneiderei.

Das könnte erklären, warum die Probanden in der aktuellen Studie der Psychologen um Sun (anonym) angaben, dass sie vor allem zu ihrer eigenen Befriedigung ein moralisch besserer Mensch werden wollen. Wer einen Heiligenschein trägt, darf sich der Bewunderung anderer meist sicher sein. Und damit schließt sich der Kreis: Der Wunsch nach äußerer und der nach innerer oder moralischer Schönheit gleichen sich insofern, als beide Varianten Status und Ansehen versprechen. Und danach streben letztlich alle.

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