Moral:Die Wahl eines Übels

Wie sollen autonome Fahrzeuge bei Unfällen reagieren, wenn sie sich zwischen mehreren schrecklichen Optionen entscheiden müssen? In einer weltweiten Umfrage haben Forscher Antworten darauf gesammelt.

Auch autonome Fahrzeuge können in ein Entscheidungsdilemma kommen. Wie sollen sie vor einem Unfall lenken, wenn es auf jeden Fall zu einem Schaden kommt. Antworten haben US-Forscher mit einer weltweiten Umfrage gefunden. Demnach würde eine Mehrheit eher Kinder als Ältere verschonen sowie eher Menschen als Tieren ausweichen. Das Ergebnis weise allerdings größere kulturelle Unterschiede auf, schreiben die Forscher um Iyad Rahwan vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge im Journal Nature. Die weltweite Umfrage mit dem Titel "Moral Machine" machte es den Forschern möglich, fast 40 Millionen Entscheidungen in Dilemma-Situationen zu analysieren. Allerdings war die Befragung nicht repräsentativ; so waren etwa junge Männer überproportional vertreten.

Rahwan und Kollegen begründen ihre Befragung mit der Bedeutung für die Akzeptanz autonomer Fahrzeuge in der Bevölkerung: "Selbst wenn sich die Ethiker einig wären, wie autonome Fahrzeuge moralische Dilemmata lösen sollten, wäre ihre Arbeit nutzlos, wenn die Bürger ihrer Lösung nicht zustimmen würden."

In Asien würden Fahrer eher alte Menschen verschonen als Kinder oder Jugendliche

In einem konkreten Fallbeispiel versagten die Bremsen des Fahrzeugs. Die Befragten mussten entscheiden, ob drei ältere Menschen, die über die Straße gehen, überfahren werden sollen oder ob der Wagen gegen eine Wand gelenkt wird. Dies hätte den Tod der Insassen, darunter ein Junge, zur Folge. Insgesamt mussten die Teilnehmer neun Entscheidungen in verschiedenen Situationen treffen, darunter: Fahrzeuginsassen oder Fußgänger, Männer oder Frauen, Jüngere oder Ältere, Sportliche oder Unsportliche, Menschen mit höherem oder niedrigerem sozialen Status.

Bei der Auswertung nach Ländern ergaben sich drei große Gruppen: westliches, östliches und südliches Cluster. Die Entscheidungen in vielen asiatischen Ländern (östliches Cluster) weichen von den anderen Gruppen dadurch ab, dass sie nicht die jüngeren Menschen verschonen würden. Stattdessen gilt in diesen Ländern der Respekt vor den älteren Mitgliedern der Gemeinschaft. Das südliche Cluster (Mittel- und Südamerika) unterscheidet sich vom westlichen Cluster (Europa, Nordamerika) unter anderem dadurch, dass die Mittel- und Südamerikaner viel öfter eingreifen würden als auf das Lenken zu verzichten.

Die Ergebnisse der "Moral Machine" weichen teilweise von den Regeln ab, die die deutsche Ethik-Kommission in ihrem Bericht "Autonomes und vernetztes Fahren" im Juni 2017 niedergelegt hat. So heißt es in Regel 9: "Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt."

Grundsätzlich finde sie das Ziel der Autoren richtig, eine Debatte über die "ethische Programmierung" von selbstfahrenden Autos anzustoßen, bevor diese auf den Straßen fahren, kommentiert Silja Vöneky von der Universität Freiburg die Studie. "Wir sollten aber nicht glauben, dass wir alle Normen und Prinzipien neu erfinden oder ändern müssen, nur weil es um eine neue Technik geht." Dilemmasituationen habe es schon vorher gegeben und mit den Menschenrechten existierten bereits rechtlich bindende ethische Prinzipien.

Armin Grunwald vom Karlsruher Institut für Technologie warnt gar vor den Schlussfolgerungen der Studie: "Weder aus Spielen noch aus Umfragen kann etwas über die ethische Zulässigkeit von Normen gelernt werden. Ansonsten könnte nach jedem schweren Verbrechen eine Umfrage gemacht werden, die mit ziemlicher Sicherheit für die Einführung der Todesstrafe ausgehen würde."

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