Süddeutsche Zeitung

Weltnaturkonferenz:Die Welt hat ein neues Naturschutzabkommen

Fast alle Staaten der Welt schließen in Montreal einen Pakt gegen das Artensterben. Die Einigung ist ein Kompromiss - und wäre fast gescheitert.

Von Thomas Krumenacker, Montreal

Es ist das ambitionierteste Naturschutzabkommen seit Jahrzehnten. Nach zweiwöchigen Verhandlungen haben die Regierungen von 196 Staaten am Montag im kanadischen Montreal das Inkrafttreten eines neuen Weltnaturschutzabkommens gebilligt, mit dem sie den Kampf gegen das weltweite Artensterben aufnehmen und die weitere Zerstörung von Ökosystemen beenden wollen. Wichtigster Bestandteil ist der Beschluss, dass bis 2030 jeweils 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter Schutz gestellt werden sollen. Das ist die größte Verpflichtung zum Schutz von Lebensräumen, die die internationale Staatengemeinschaft jemals eingegangen ist. Rechtlich bindend ist sie nicht. Doch wird sie umgesetzt, kann wohl ein Großteil der heute vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten gerettet werden.

In 22 weiteren Zielen verpflichten sich außerdem fast alle Staaten der Erde - nur die USA und der Vatikan sind nicht Mitglied der 1992 gegründeten UN-Biodiversitätskonvention - dazu, die Risiken durch Pestizide in der Landwirtschaft bis 2030 zu halbieren. Fast ein Drittel der geschädigten Ökosysteme des Planeten sollen wieder in einen guten Zustand versetzt werden. 500 Milliarden Dollar an umweltschädlichen Subventionen etwa für die Landwirtschaft sollen naturverträglich umgelenkt werden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sprach nach der Entscheidung von einem historischen Abkommen. "Der Beschluss von Montreal spannt einen Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen auf", sagte sie. "Die Staatengemeinschaft hat sich dafür entschieden, das Artenaussterben endlich zu stoppen."

Weil Einstimmigkeit nötig war, wurden viele Ziele abgeschwächt

Die Einigung hat auch Folgen für den Klimaschutz. Intakte Ökosysteme wie Wälder, Seegraswiesen oder Moore bieten nicht nur bedrohten Tierarten einen Lebensraum, sondern speichern auch gewaltige Mengen von Treibhausgasen. Der Weltklimarat hatte ein Abkommen in Montreal zuvor als entscheidend dafür bezeichnet, das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen zu können, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Über den Pakt von Montreal wurde fast vier Jahre lang zäh verhandelt, denn durch fast alle Beschlüsse sind wirtschaftliche Interessen der Länder betroffen. Auch während der zweiwöchigen Schlussverhandlungen in Montreal drohte der Gipfel mehrfach zu scheitern. Eine Entscheidung musste einstimmig fallen. Um alle 196 Vertragsstaaten zur Zustimmung zu bewegen, wurden zahlreiche Ziele abgeschwächt. So war ursprünglich vorgesehen, einen Teil der künftig geschützten Gebiete unter "strikten" Schutz zu stellen, was einen kompletten Nutzungsverzicht etwa auf Fischerei in diesen Bereichen bedeutet hätte. Ein derart absoluter Schutz wird nun nicht gefordert. Auch das ursprünglich anvisierte Ziel, die Verschmutzung der Umwelt mit Plastik bis 2030 zu beenden, wurde durch die Formulierung ersetzt, diesen Zustand nur anzustreben.

Hauptstreitpunkt waren aber bis zuletzt Geldhilfen von Industriestaaten an Entwicklungsländer. Weil 80 Prozent der artenreichsten Regionen der Erde sich in Entwicklungsländern befinden, ist der Schutz der Biodiversität dort besonders wichtig. Analog zur Klimapolitik hatte eine von Brasilien angeführte Gruppe von fast 70 Ländern in Montreal jährliche Direktzahlungen der Industrieländer in Höhe von 100 Milliarden Dollar verlangt, um die Natur bei sich zu schützen und auf wirtschaftliche Profite zu verzichten. Dem standen Zusagen von weniger als zehn Milliarden gegenüber.

Noch kurz vor dem Ende drohte die Einigung am Geld zu scheitern

Um ein Scheitern des Gipfels zu verhindern, setzte die chinesische Konferenzpräsidentschaft den Staatssekretär im deutschen Entwicklungsministerium Jochen Flasbarth als Vermittler ein. Am Ende einigten sich die Lager darauf, die Hilfen bis 2025 auf mindestens 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr anzuheben, die bisherigen Zusagen also zu verdoppeln. Bis 2030 soll dieser Betrag auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr anwachsen. Für Deutschland hatte Bundeskanzler Olaf Scholz schon vor einigen Wochen die Verdoppelung der direkten Naturschutzhilfen an Entwicklungsländer auf 1,5 Milliarden Euro jährlich ab 2025 angekündigt. Deutschland ist damit der größte einzelne Geldgeber für zwischenstaatliche Biodiversitätshilfen.

Der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo bemängelte indes, die Verabschiedung sei am Ende auch gegen Widerstände durchgedrückt worden. Tatsächlich wäre das Abkommen buchstäblich in letzter Minute fast am Geld gescheitert. Als die mehr als 1000 versammelten Delegierten und Beobachter einschließlich des chinesischen Konferenzpräsidenten im großen Saal des Montrealer Kongresszentrums unmittelbar vor der Abstimmung schon Erinnerungsfotos schossen, erhob der Vertreter der Demokratischen Republik Kongo Einspruch und verlangte mehr Geld für die Entwicklungsländer. Daraufhin erhob sich eine mexikanische Delegierte und bat darum, ihr das Abkommen zum Geburtstag zu schenken, den sie am Montag begehe. Nachdem das Klatschen abgeklungen war, setzte der chinesische Umweltminister Huang Runqiu die Abstimmung kurzerhand erneut an, stellte im gleichen Moment fest, dass er keinen Widerspruch wahrnehme, und schlug in Windeseile den Konferenzhammer auf sein Pult, um den Vertrag zu besiegeln.

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