Süddeutsche Zeitung

Weltnaturkonferenz:Kommt der "Montreal-Moment"?

Kurz vor dem Ende des Weltnaturgipfels ist völlig offen, ob sich die Staaten auf ein historisches Abkommen einigen. Doch die deutsche Umweltministerin ist vorsichtig optimistisch - und China präsentiert einen ehrgeizigen Plan.

Von Thomas Krumenacker

Im Ringen um ein neues Weltnaturabkommen hat die chinesische Präsidentschaft der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal am Sonntag einen unerwartet weitreichenden Entwurf vorgelegt. Darin übernimmt China das Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche der Erde unter wirksamen Schutz zu stellen; das gilt als wichtigste Maßnahme, um den Verlust von Arten und Ökosystemen zu stoppen. Außerdem sollen bis 2030 auf 30 Prozent der ökologisch geschädigten Ökosysteme Renaturierungsmaßnahmen anlaufen. Mit beiden Vorschlägen kommt China unter anderem Forderungen aus der EU entgegen; Entwicklungsländer sollen dafür mehr Geld bekommen.

Das "Präsidentschaftspapier" gilt als vorentscheidend für den Ausgang der Konferenz. Zwar sind Änderungen möglich, aber im Grundsatz stehen die Mitgliedstaaten vor der Wahl, dem Entwurf zuzustimmen oder ihn abzulehnen. Um ein neues "Globales Rahmenabkommen für Biodiversität" zu verabschieden, ist Einstimmigkeit nötig. Der chinesische Entwurf wird den Umweltministern der 196 Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention zur Diskussion und Beschlussfassung vorgelegt. Eine Entscheidung wird erst für die Nacht auf Dienstag erwartet.

Ob die Konferenz erfolgreich endet, ist kurz vor dem Ende noch ungewiss

Ein Erfolg der Konferenz ist ungewiss. Noch am Sonntag war offen, ob alle 196 Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention der Verabschiedung des geplanten Abkommens zustimmen würden. Einige Entwicklungsländer zogen strikte rote Linien. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte sich verhalten zuversichtlich, betonte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung aber zugleich, der Ausgang sei offen. "Die Möglichkeit für ein starkes Abkommen, das tatsächlich die Natur weltweit schützt, ist da", sagte Lemke in Montreal. Es werde aber hart gerungen, weil es um substantielle Interessen vieler Länder gehe. "Pestizidreduktionen, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und generell ein besserer Schutz für viele Gebiete - das sind dicke Brocken".

Als größte Hürde gilt der Streit über die Finanzierung des Naturschutzes in Entwicklungsländern. Dort befinden sich die artenreichsten Gebiete der Erde, weshalb sich auch der Schutz der Biodiversität auf diese konzentrieren muss. Die Entwicklungsländer fordern von den Industrieländern wie beim Klimaschutz mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr, um ihre Biodiversität effektiv schützen zu können. Dem stehen bislang Zusagen von rund zehn Milliarden gegenüber.

Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium und von der chinesischen COP-Präsidentschaft als Sonderbeauftragter eingesetzt, forderte Kompromisse auf beiden Seiten. "Wenn einige sich entscheiden, sich nicht zu bewegen, ist es noch nicht ausgemacht, dass wir hier mit einem Erfolg herausgehen", sagte er der SZ. Für die 100-Milliarden-Dollar-Forderung gebe es wenig Chancen, wenn nicht mehr Länder mitzahlten. Ausdrücklich nahm er dabei China in die Pflicht. Das Land beharrt unter Berufung auf seine 1992 in der Klimarahmenkonvention vorgenommene Einstufung als Entwicklungsland darauf, als "Nehmerland" zu gelten. "Die Welt gegenüber 1992 hat sich dramatisch verändert", sagte Flasbarth mit Blick auf den Aufstieg des Landes zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde. "Länder wie China, aber auch aus der arabischen Welt, können sich kaum noch auf diese Jahreszahl zurückziehen."

Im Plenum der Minister aus rund 140 der 196 Mitgliedstaaten der Biodiversitätskonvention wurden vor den Schlussverhandlungen fundamentale Differenzen deutlich. Der stellvertretende indonesische Umweltminister Alue Dohong nannte als "rote Linie", dass keine Obergrenze für den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft festgelegt werden dürfe. Zuletzt hatte das Land erklärt, eine Deckelung würde die Lebensmittelversorgung in dem Land gefährden. Ähnlich äußerte sich Indien. Dagegen machte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius deutlich, dass die 27 Mitgliedstaaten auf einer Verringerung des Pestizidgebrauchs um 50 Prozent beharren. "Wer ein Boot vor dem Untergang bewahren will, muss alle Löcher stopfen."

Der Entwurf Chinas kommt nun den Entwicklungsländern beim Geld und den Industrieländern beim Schutzniveau entgegen. So ist vorgesehen, dass die Industriestaaten den Ländern des globalen Südens bis 2025 mindestens 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die Finanzierung des Naturschutzes zahlen. Das entspricht einer Verdoppelung bisheriger Zusagen. Bis 2025 soll der Betrag auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr anwachsen.

Langjährige Beobachter sind skeptisch

Was Pestizide angeht, hat China das Ziel übernommen, "das Gesamtrisiko durch Pestizide und hochgefährliche Chemikalien um mindestens die Hälfte" zu reduzieren. Durch die Möglichkeit einer "integrierten Schädlingsbekämpfung" bleibt aber ein Schlupfloch.

Bis Montag sollen die Minister und Ministerinnen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Biodiversitätskonvention - alle Länder der Erde mit Ausnahme der USA und des Vatikans - den neuen Weltnaturvertrag verabschieden. Wissenschaft, Umweltorganisationen und viele Staaten erwarten ein Abkommen, das für den Natur- und Klimaschutz so bedeutend wird wie der Klimavertrag von Paris, der vor sieben Jahren beschlossen wurde.

Langjährige Beobachter zeigten sich zuletzt jedoch skeptisch. "Diesmal ist die Stimmung aggressiver, die Kompromissbereitschaft geringer", sagte Axel Paulsch. Der Vorsitzende des Instituts für Biodiversität begleitet die Biodiversitätsverhandlungen seit zwanzig Jahren. "Dass wir einen Tag vor Abschluss des Gipfels noch keinen einzigen der vorher bekannten Knackpunkte gelöst haben, ist ein schlechtes Zeichen." Entsprechend eindringlich klangen die Appelle zum Ende der offiziellen Ministerberatungen. "Konsens ist möglich, wir haben es in Paris gemacht, wir können es in Montreal machen. Wir haben die Kraft, den Lauf der Geschichte zu ändern", sagte der kanadische Umweltminister Steven Guilbeault. "Geben wir der Natur einen Paris-Moment."

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, Jochen Flasbarth sei Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Er übt diese Funktion jedoch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus.

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