Süddeutsche Zeitung

Montgomery Reef:Ein Riff wie ein Seeungeheuer

Vor Australien taucht bei Ebbe eine riesige Insel aus dem Meer, übersät mit tosenden Flüssen und Wasserfällen.

Text: Angelika Jung-Hüttl, Fotos: Bernhard Edmaier

Das Montgomery Riff liegt in einer der spektakulärsten Gezeitenlandschaften der Erde - etwa 20 Kilometer vor der Küste des Kimberley-Gebirges in Nordwestaustralien. Der Gezeitenhub beträgt dort zehn bis zwölf Meter und ist der höchste auf der Südhalbkugel.

Bei Flut sind von der Riffplattform, die mehr als doppelt so groß ist wie das Fürstentum Liechtenstein, nur ein paar Sand- und Felsinseln zu sehen.

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Wenn der Meeresspiegel aber bei Ebbe innerhalb von sechs Stunden um bis zu zehn Meter fällt, werden nicht nur die Inseln größer, sondern die gesamte Riffplattform taucht aus dem Ozean auf - wie der Rücken eines riesigen Seeungeheuers.

Weil das Wasser nicht so schnell von der Plattform abfließen kann wie der Meeresspiegel fällt, sprudelt es in schäumenden Kaskaden von den Riffrändern.

Tiefe Kanäle öffnen sich, in die zahlreiche Wasserfälle hineinstürzen - und die wie reißende Gebirgsflüsse mit Geschwindigkeiten bis zu drei Metern pro Sekunde ins offene Meer strömen. Bei Tiden-Tiefststand überragt das Riff den Meeresspiegel um bis zu vier Meter.

Das Montgomery Reef ist kein Riff im herkömmlichen Sinn, wie etwa das berühmte Great Barrier Reef an der Ostküste Australiens, das über Jahrmillionen auf einem langsam, aber stetig absinkenden Meeresboden emporgewachsen ist.

Das Montgomery-Riff ist erst 6000 Jahre alt. Es entstand nach der letzten Eiszeit, als die Gletschermassen an den Polen schmolzen und folglich der Meeresspiegel weltweit um 120 Meter anstieg. Dabei wurde der Rand des Kimberley-Gebirges unter Wasser gesetzt - samt einem Tafelberg, der vollständig vom Wasser überdeckt wurde und auf dem sich seither das Montgomery Riff aufbauen konnte.

Neben Korallentierchen sind vor allem Rotalgen die Baumeister des Riffs. Sie treiben frei im Wasser, ummanteln ihre Zellwände mit dem im Meer gelösten Kalk, sinken ab, schließen sich zu dicken Matten zusammen und überkrusten so Schicht für Schicht den Meeresboden. Sie bilden die girlandenförmigen Kalkbänke, die aus der Luft gesehen wie ein Netz die Riffplattform überziehen.

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