Eine alternative Erklärung ist die Einfangtheorie. Demnach entstanden Erde und Mond unabhängig in verschiedenen Regionen des Sonnensystems. Bei einer zufälligen, engen Begegnung fing die Erde den Mond durch ihre Schwerkraft ein. Auch dieses Modell hat Schwächen. Zum Beispiel ist unklar, warum der Mond ohne Eisenkern entstanden sein sollte. Und wenn sich beide Körper in unterschiedlichen Regionen des Sonnensystems bildeten, sollten sie sich isotopisch unterscheiden. Dem ist offenbar nicht so.
Eine nahezu identische isotopische Komposition der beiden Himmelskörper könnte indes die sogenannte Co-Formation erklären: Erde und Mond entstanden als Geschwister direkt beieinander aus der gleichen um die Sonne kreisenden Materie. Bei dieser Hypothese ist es jedoch ebenfalls schwierig zu verstehen, warum das Eisen fast nur in die Erde gelangte. "Man müsste das Eisen bei der Bildung der Körper irgendwie sortieren", sagt Benz. "Aber kein potenzieller Sortiermechanismus überzeugt."
Rund zehn Jahre nach Apollo 11 und nach der Analyse der ersten Mondproben kam eine neue Theorie in Umlauf: die Einschlagshypothese. Demnach donnerte vor rund 4,5 Milliarden Jahren ein halb bis doppelt so großer Körper wie der Mars, genannt Theia, auf die Protoerde. Bei der Kollision sank der Eisenkern von Theia in die Erde, während ein Teil des Gesteins ins All geschleudert wurde. Daraus formte sich eine heiße Materiescheibe um die Erde, aus der sich der Mond ballte. Benz gehörte zu den ersten Astronomen, die den Einschlag von Theia mit dem Computer simulierten.
Zu viel Theia-Material
Auch hier passen noch nicht alle Puzzlestücke zusammen. In den Simulationen bildet sich der Mond vorwiegend aus Material von Theia, anfangs zu rund 70 Prozent. Wie Benz sagt, brachte man es durch geeignete Wahl der Parameter für den Crash auf rund 30 Prozent herunter. "Aber es war immer noch zu viel Theia-Material im Mond, um die ähnliche isotopische Komposition von Erde und Mond zu erklären." Zweifel an der Einschlagshypothese gibt es auch wegen einiger flüchtiger Elemente wie Wasser, die sich auf dem Mond fanden. Hätten so leichte Stoffe bei einem gewaltigen Crash nicht weggeblasen werden müssen?
"Vielleicht verstehen wir diesen Einschlag noch nicht ganz", sagt Meier. "Wenn man die Rahmenbedingungen des Einschlags variiert, etwa die Geschwindigkeit, den Einschlagswinkel und die Massen der Körper, dann findet man Szenarien, bei denen Erde und Mond aus ähnlichen Anteilen von Protoerde und Theia-Material entstehen." Die Szenarien, in denen das gelingt, sind aber leider für sich genommen sehr unwahrscheinlich.
Vielleicht wurde die chemische Zusammensetzung von Erde und Mond auch nicht beim Einschlag festgelegt, sondern näherte sich erst später an. Gemäß der 2017 vorgestellten "Synestia-Hypothese" bildete sich nach dem Einschlag von Theia rund um die Erde eine ringförmige Struktur aus heißem Gesteinsgas und flüssigem Gestein. Der Erdmantel ging fließend in diese Ringstruktur über, aus der später der Erdmond kondensierte. Das würde für eine perfekte Durchmischung sorgen. "Aktuell wird diskutiert, ob diese komplexe Synestia-Struktur wirklich physikalisch plausibel ist und ob sie die tatsächlich beobachteten, minimalen Unterschiede zwischen der Chemie von Erde und Mond auch erklären kann", sagt Meier.
Mondproben würden helfen
Laut Benz wurden noch längst nicht alle möglichen Varianten für einen Einschlag von Theia im Detail untersucht. "Die Jury ist immer noch am Diskutieren, ob die Einschlagshypothese stimmt", sagt Benz. "Aber würde man die Fachwelt heute über die verschiedenen Erklärungen abstimmen lassen, bekäme die Einschlagshypothese die Mehrheit."
Weitere Hinweise versprechen sich die Forscher durch zusätzliche Mondproben, auch aus dem Untergrund des Trabanten. "Ich hoffe sehr, dass es mit der Rückkehr zum Mond etwas wird, sei es mit kommerziellen Landegeräten oder vielleicht auch mit Astronauten", sagt Meier. "Denn etwas können wir gut gebrauchen, wenn wir die Geschichte des Mondes und des Sonnensystems entziffern wollen: mehr und bessere Proben vom Mond."