Biologie:Die Kleptomanen der See

Wechselhaftes Wetter aus der Nordseeinsel Juist

Vermutlich spähen Möwen erst ganz genau aus, bei welchen Vögeln sich am einfachsten Beute ergaunern lässt.

(Foto: Sina Schuldt/dpa)

Wer klug klaut, bleibt länger satt: Möwen gehen erstaunlich gezielt vor, wenn sie anderen Vögeln das Futter stehlen.

Von Katrin Blawat

Wenn es ein Idyll auf Erden gibt, dann kommt der Wanderweg entlang der Küste Cornwalls dieser Vorstellung ziemlich nahe: Steilküste, versteckte Buchten, Brandung und blaue See - heile Welt. Das dachten die ahnungslosen Wanderer aus Deutschland. Zumindest bis zur ersten Picknickpause, als ihnen Möwen bedrohlich nahe kamen und sehr offensiv ihren Anteil von der Brotzeit einforderten. "Public Enemy No 1" hatte passenderweise einige Meter zuvor ein Schild gewarnt, auf dem eine Möwe mit durchdringendem Blick und scharfem Schnabel abgebildet war.

Von wegen heile Welt. Möwen gelten als begnadete Kleptomanen, die es keineswegs nur auf naive Wanderer abgesehen haben. Vor allem attackieren sie andere Vögel, um denen ihre soeben gefangene Beute zu klauen. Biologen sprechen in solchen Fällen von Kleptoparasitismus. Zu welcher Meisterschaft es darin Silbermöwen gebracht haben, beschreibt ein Team um Kaylee Busniuk von der Memorial University of Newfoundland im Fachmagazin Animal Behaviour. Demnach attackieren die Seevögel nicht blindlings irgendein Opfer, sondern suchen sich gezielt aus, wo, wann und bei wem sich ein Überfall am meisten lohnt.

Auf der kleinen Insel vor Neufundland, wo die Biologen ihre Beobachtungen dokumentierten, hatten es die Möwen auf Papageientaucher abgesehen. Diese tauchten im Meer nach Fisch und kehrten mit einem Schnabel voll Futter zu ihren Küken auf die Insel zurück.

In einigen Fällen jedoch kam der Fisch nie bei dem Papageientaucher-Nachwuchs an. Vor allem, wenn ein Elterntier eine besonders große Beute erwischt hatte und direkt vor einer Möwe gelandet war, setzte die Möwe mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Überfall an. Kam es dabei auch zum Körperkontakt zwischen Dieb und Opfer, war die Möwe meist erfolgreich und hinterher im Besitz des Fisches.

Auch Spinnen, Schnecken und Hyänen bereichern sich an der Beute anderer

Zwar wirken die absoluten Zahlen, die die Autoren in ihrer Studie präsentieren, recht harmlos. 74 Papageientaucher mit Beute im Schnabel wurden während des Beobachtungszeitraums attackiert. Nur 15 dieser Überfälle verliefen - aus Sicht der angreifenden Möwen - erfolgreich. Dennoch hätten derartige Raubzüge einen beträchtlichen Anteil an der Ernährung der Möwen, schreibt die Gruppe um Busniuk. Denn statt sich in wenig lohnenden Attacken zu verausgaben, suchen sich die Möwen offenbar gezielt jene Opfer aus, bei denen mit wenig Aufwand viel zu holen ist. Dieses Beispiel verdeutlicht, warum Biologen den Kleptoparasitismus weniger mit Aggression als vielmehr mit Kognition in Verbindung bringen: Wer klug klaut, wird schneller satt.

Unklar ist noch, nach welchen Kriterien genau die Möwen ihre Opfer identifizieren. Gibt schlicht die Größe des Fisches im Schnabel der Papageientaucher den Ausschlag? Möglicherweise bewegen sich Vögel mit üppiger Beute auch besonders unbeholfen und machen damit auf sich aufmerksam.

Andere die Drecksarbeit verrichten lassen und sich dann an deren Ausbeute zu bereichern, das haben sich nicht nur Möwen zur Gewohnheit gemacht. Auch andere Seevögel, manche Spinnen, Schnecken und unter den Säugern die Tüpfelhyänen sind Raubtiere im doppelten Sinne. In manchen Fällen klauen die Tiere anderen nur phasenweise das Futter, etwa wenn sie Nachwuchs haben und selbst einfach nicht dazu kommen, gute Nahrung herbeizuschaffen. Um die räuberischen Absichten zu verstehen, braucht es dabei manchmal nicht einmal ein Warnschild wie bei den Möwen in Cornwall. Der Fregattvogel - benannt nach Fregatten, also Kriegsschiffen - und die Diebsspinne tragen ihre Kleptomanie bereits im Namen.

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