Süddeutsche Zeitung

Mörderische Medien:Warum Gewaltfilme und -spiele Gewalt verursachen

Wie sich für einen der renomiertesten Medienforscher der USA, Professor L. Rowell Huesmann, die Zusammenhänge von Mediengewalt und Aggressivität bei Kindern darstellen.

Markus C. Schulte v. Drach

Professor L. Rowell Huesmann von der University of Michigan in Ann Arbor, USA, ist einer der bekanntesten und renommiertesten Forscher auf dem Gebiet der Mediengewalt.

Der folgende Text basiert auf seiner Stellungnahme vor dem Handels- und Wissenschafts-Komitee des US-Senats im Mai 1999 im Rahmen der Anhörung: "Verkauf von Gewalt an Kinder":

Nicht jedes Kind, das viel Gewalt sieht oder eine Menge gewalttätiger Spiele spielt, wird zu einem Gewalttäter. Es spielen noch andere Faktoren eine Rolle.

Aber Hunderte von Studien haben bestätigt, dass Kinder, die über die Medien einer stätigen Diät von Gewalt ausgesetzt sind, hierdurch anfälliger werden für aggressives Verhalten. Und die psychologischen Prozesse, die daran beteiligt sind, sind gar nicht geheimnisvoll:

Kinder lernen durch Beobachtung

Kinder lernen, indem sie andere beobachten, und die Massenmedien bieten ein sehr attraktives Fenster, durch das beobachtet werden kann.

Kinder imitieren Verhalten, dass sie sehen, und sie unterscheiden, was richtig ist und was falsch ist, nach dem, was sie sehen.

Darüber hinaus überprüfen sie ihre Ideen und ihr Verhalten, indem sie es üben. Wird in Kinderspielen nun Gewalt ausgeübt und belohnt, so besteht die Gefahr, dass die Spieler gegenüber der Gewalt toleranter werden.

Ähnliches gilt für Filme. Wenn sich die Kinder mit dem Helden identifizieren - und das tun sie meist - erleben sie Freude, wenn der Held die Welt rettet, indem er den Bösewicht tötet und für die Handlung belohnt wird.

Für viele Kinder wird die größere Toleranz und werden die Anleitungen für gewalttätiges Verhalten sich zwar kaum bemerkbar machen, da es in ihrem Leben Faktoren gibt, die der Wirkung der Medien entgegenwirken. Aber die Wirkung existiert.

Aggressivere Kinder werden zu aggressiveren Erwachsenen

Die Forschung zeigt nun, dass aggressivere Kinder meist zu aggressiveren Erwachsenen heranwachsen. Und Erwachsene mögen gegenüber dem Einfluss der Spiele und Filme, die sie spielen und sehen, resistent sein. Ihre sozialen Fähigkeiten aber wurden beeinflusst durch das, was sie als Kinder sahen. Demnach ist damit zu rechnen, dass die Effekte langfristig sind.

In den USA sehen Siebtklässer pro Tag etwa 4 Stunden TV, und 60 Prozent der Shows zeigen eine Form von Gewalt. Siebtklässler spielen in der Woche etwa 4 Stunden Spiele, und 50 Prozent der Spiele sind gewalttätig.

Dies sind nur Mittelwerte. Manche Kinder sind der Mediengewalt noch weit stärker ausgesetzt. Und wie demografische Studien uns zeigen, erfahren gerade viele derjenigen Kinder, die am stärksten der Mediengewalt ausgesetzt sind, auch in ihrer realen Umwelt besonders viel Gewalt.

Zusammen vermitteln diese zwei Gewaltquellen beim Kind den Eindruck, die Welt sei ein sehr feindlicher Ort, in dem man sich mit Gewalt Respekt verschafft. Ist ein Kind nun frustriert, gestresst und verärgert, und war es dann noch all dieser Gewalt ausgesetzt, dann ist es verständlich, dass es zu gewalttätigem Verhalten tendiert.

Mythos von der Uneinigkeit der Forscher

Natürlich ist nicht eine einzige Studie perfekt, gerade in den Sozialwissenschaften. Es gibt Forscher, die sich einen Ruf erworben haben, indem sie versuchen, die Studien, die auf die Wirkung der Mediengewalt deuten, unter einer Welle von unterstellten Fehlern zu begraben.

Und es ist der Mythos entstanden, es gäbe unter den Forschern keine Einigkeit. Tatsächlich sind sich jedoch die meisten Wissenschaftler darüber einig, dass Mediengewalt Aggressionen stimuliert.

Es gibt ein Produkt, das Symptome hervorruft, die besonders Kinder betreffen. Dies wird durch eine Reihe von Experimenten seit über 30 Jahren belegt. Es gibt außerdem eine große Zahl von Feldstudien, die zeigen, dass mehr Menschen betroffen sind, die das Produkt regelmäßig nutzen. Und es gibt eine kleine Zahl von Langzeit-Studien, die in unterschiedlicher Umgebung die langfristige Wirkung untersucht haben.

Die meisten Studien haben zumindest einige Hinweise gezeigt, auch wenn es schwer ist, die Wirkung des Produktes von der Wirkung anderer Faktoren zu unterscheiden. Und natürlich wirkt das Produkt nicht auf jeden, nicht auf jeden gleich, und nicht jeder, der betroffen ist, hat das Produkt selbst tatsächlich benutzt. Auf diese Weise lässt sich beschreiben, was wir über den Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und Zigaretten wissen.

Ähnlich stellt sich aber auch die Situation dar, wenn es um gewalttätiges Verhalten und Mediengewalt geht. Das Niveau der statistischen Belege ist ungefähr das gleiche. Was wir in beiden Fällen letztendlich wissen, ist: Der Gebrauch des Produkts erhöht das statistische Risiko. In beiden Fällen hat der Gesundheitsminister schon vor langer Zeit entschieden, dass die Substanzen gefährlich sind, und davor gewarnt werden muss.

Gewalt garantiert finanzielle Erfolge

Doch Mediengewalt ist ein Garant für finanzielle Erfolge. Sie zieht Zuschauer und Spieler an, und kann deshalb als billige Methode eingesetzt werden, Filme und Spiele attraktiv zu machen. Der Widerstand gegen kontrollierende Maßnahmen ist deshalb groß.

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, mit denen die Wirkung der Medien-Gewalt auf die Kinder verringert werden kann. Vielleicht sollten die Eltern stärker kontrollieren, was ihre Kinder sehen und spielen. Vielleicht sollte die Regierung größere Kontrolle ausüben. Vielleicht sollten unsere Kinder so erzogen werden, dass sie von Gewaltspielen nicht mehr angezogen werden. Vielleicht sollte es elektronische Chips geben, die Gewalt in den Medien ausblenden, und vielleicht sollte man Sponsoren und Hersteller gewalthaltiger Spiele boykotieren.

Auf jeden Fall aber ist es Zeit, das Problem endlich ernst zu nehmen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.632432
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.