Mobilität:Wie Windenergie bald Autos antreibt

Mit der Dampfmaschine in die Zukunft: Toyota Mirai

Der Toyota Mirai macht den Anfang: Der Japaner ist das erste Serienauto mit Brennstoffzelle

(Foto: dpa-tmn)

Eine neue Technologie könnte umweltfreundlichen Autos zum Durchbruch verhelfen: "Windgas" soll künftig Motoren befeuern und als Energiespeicher dienen.

Von natur-Autor Horst Hamm

Auch wenn das Ende des Ölzeitalters immer wieder beschworen wird, noch treibt Erdöl fast 99 Prozent aller Autos, Lkws und Flugzeuge an. Doch das, so zumindest die Willensbekundung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, soll langfristig anders werden. Schon 2020 sollen eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen rollen, verkündete sie 2011 vollmundig.

Dieser Wunsch trifft derzeit noch auf eine harte Realität. Am 1. Januar 2015 waren nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts in ganz Deutschland gerade einmal 18 948 Elektroautos registriert. Die Hauptgründe für den schwachen Absatz: Den Stromkarossen mangelt es derzeit noch an Reichweite und einer Infrastruktur, um sie schnell aufladen zu können. Es gibt noch nicht einmal eine Einigung über eine einheitliche Norm der Stromtankstellen. Selbst der auf Nachhaltigkeit und eine ökologisch vertretbare Mobilität ausgerichtete Verkehrsclub VCD rät deshalb dem "normalen" Autofahrer davon ab, derzeit ein Elektroauto zu kaufen: "Elektroautos sind in ihren Möglichkeiten noch ziemlich eingeschränkt", betont Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD.

Angesichts dieser schleppenden Entwicklung verwundert es nicht, dass Unternehmen nach Alternativen für das Fahren mit Strom suchen. Die vielleicht vielversprechendste könnten sogenannte Gas- oder Brennstoffzellenfahrzeuge sein, die mit "Windgas" betrieben werden. Hinter der Wortschöpfung verbirgt sich ein interessantes Konzept: Mit überflüssigem Ökostrom aus Windkraft- oder Solaranlagen lassen sich Wasserstoff beziehungsweise die einfachen organischen Verbindungen Methanol oder Methan gewinnen. Alle drei können Autos antreiben. Entweder befeuern sie direkt einen Verbrennungsmotor oder wandeln ihre Energie über eine sogenannte Brennstoffzelle in Strom um, der einen Elektromotor antreibt.

Aus natur 11/2015

mehr auf natur.de ... | Ausgabe bestellen ...

  • natur 11/2015

    Der Text stammt aus der November-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation. Mehr aktuelle Themen aus dem Heft 11/2015 auf natur.de...

Eine Pilotanlage erzeugt bereits Methan aus Windenergie

Diese Alternative zum Elektroauto testet seit 2013 Hersteller Audi im niedersächsischen Werlte. Die keine 50 Kilometer von der holländischen Grenze entfernte Gemeinde im Emsland hatte mit ihren nicht einmal 10 000 Einwohnern bislang kaum etwas zu bieten, weswegen Ortsfremde extra hierher kommen würden. Das ändert sich gerade. Denn Werlte könnte zum Synonym für die Mobilität von morgen werden, zum Startpunkt für die Erzeugung von Kraftstoffen, die ganz ohne Erdöl oder Erdgas hergestellt werden.

Denn nur rund anderthalb Kilometer außerhalb des Ortes hat die Etogas GmbH im Auftrag von Audi inmitten eines kleinteiligen Mosaiks aus Wiesen, Feldern und kleinen Waldstücken die weltweit größte und erste industrielle Power-to-Gas-Anlage gebaut. "Power-to-Gas" bedeutet Umwandlung von Strom aus Wind- und Solaranlagen in Wasserstoff und Methan, eine Technik, die jahrelang am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung (ZSW) in Stuttgart entwickelt wurde. Wobei die Beschreibung "größte" durchaus relativ zu verstehen ist: Man sieht lediglich ein paar ineinander verschachtelte Rohre, die Silos und Tanks miteinander verbinden - mehr nicht. Jede mittlere Chemiefabrik hat optisch mehr zu bieten.

Mit einer Leistung von knapp über sechs Megawatt soll die Anlage so viel Gas liefern, dass damit 1500 Audi A3 g-tron - das erste gasbetriebene Serienauto aus Ingolstadt - weitgehend klimaneutral fahren können. "Auf Basis der Energieüberschüsse in Norddeutschland konnten wir die Anlage im ersten Jahr mit ungefähr 4000 Volllaststunden betreiben, was einer Menge von fast 1,4 Millionen Kubikmeter regenerativ erzeugtem Methangas entspricht", sagt Audi-Sprecher Oliver Strohbach. "Das ist deutlich mehr, als ursprünglich kalkuliert. Da es sich aber um die erste großindustrielle Anlage ihrer Art handelt, lag unser Fokus im Jahr 2014 auf Testläufen sowie der Optimierung des Prozesses und nur sekundär auf dem Produktionsvolumen."

Über die Produktionskosten schweigt der Konzern und stellt klar, dass er diese Anlage letztlich nur zur Demonstration errichtet hat. "Wir sind Autobauer und kein Kraftstoffhändler", so Oliver Strohbach. Bei einem Wirkungsgrad der Anlage von Strom zu Gas von rund 54 Prozent - diese Daten nennt jedenfalls der Betreiber der Anlage auf seiner Webseite - erscheint es jedoch unwahrscheinlich, dass damit derzeit Gewinne zu machen sind. Zumal das Verfahren noch sehr teuer ist: Eine Kilowattstunde Energie aus fossilem Erdgas kostet derzeit rund drei Cent, mit Methan, das durch Power-to-Gas hergestellt wird, ist sie ungefähr zehnmal so teuer. Im Rahmen eines Forschungsprojekts fördert das Bundesumweltministerium die Optimierung der Anlage mit insgesamt sechs Millionen Euro.

Von Stromschwankungen könnten künftig Autofahrer profitieren

Auch wenn der Konzern zu den eigenen Kosten schweigt, so rechnet der Audi-Sprecher gerne vor, was Windgas den Autofahrer kostet: Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 3,2 Kilo Methan pro 100 Kilometer bezahlt der Fahrer eines A3 dafür derzeit 3,50 Euro an der Tankstelle. Diejenigen, die das klimafreundlich hergestellte Methangas tanken wollen, können dies beim Kauf oder Leasing eines Audi A3 g-tron mitbestellen - für zusätzlich 14,95 Euro im Monat. "Diese Option ist nicht an eine Kilometerlaufleistung gebunden", betont Oliver Strohbach. "Audi stellt  für die gesamte monatliche Laufleistung in einer Art Flatrate sicher, dass immer genügend regenerativ hergestelltes Methangas im Gasnetz vorhanden ist."

Die Reichweite eines Gasautos ist mit der eines Benziners oder Diesels vergleichbar - und geht damit weit über die durchschnittlich 150 Kilometer eines Elektroautos hinaus. Einzige Einschränkung ist die mit knapp 1000 Tankstellen in ganz Deutschland noch nicht ganz so gute Infrastruktur. Wie wichtig die Umwandlung von überschüssigem Strom in Windgas werden kann, zeigt der Blick auf die Alltagswirklichkeit erneuerbarer Energien: Ende 2014 waren in Deutschland nach Angaben des Bundesverbands Windenergie rund 24 867 Windräder mit einer Leistung von insgesamt 38 115 Megawatt installiert. Damit decken alleine sie bereits fast neun Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs.

Weit entscheidender als die nackten Zahlen sind die großen Schwankungen, die sich dahinter verbergen: Während einer stabilen Hochdruckwetterlage stehen die Rotoren vielleicht zwei, drei Wochen lang still. Dafür decken sie bei guten Windverhältnissen bereits heute rein rechnerisch beinahe die Hälfte des maximalen Strombedarfs von rund 80 Gigawatt in Deutschland. Wenn in der Nacht die Bänder in den industriellen Fertigungsanlagen still stehen, Büros und Verwaltungen geschlossen und die meisten Menschen im Bett sind, verbrauchen Deutschlands Stromkunden weniger als 40 Gigawatt. Das könnten die Windräder fast alleine decken.

Das Gasnetz hat einen Vorteil: eine hohe Speicherkapazität

An der Strombörse in Leipzig sinkt der Strompreis dann nicht nur gegen null. Abnehmer bekommen manchmal sogar Geld dafür, wenn sie den Strom nutzen, damit die überschüssige Energie verbraucht wird und das Netz nicht kollabiert. Denn Kohle- und Atomkraftwerke laufen ununterbrochen weiter. Ein vergleichbares Szenario lässt sich für die Fotovoltaik beschreiben. Und mit jedem neuen Windrad, mit jedem neuen Sonnenkraftwerk wird sich die Situation weiter zuspitzen. Nach dem Energiekonzept der Bundesregierung soll Windkraft im Jahr 2050 rund die Hälfte des gesamten Strombedarfs decken. Dann gehören überschüssige Strommengen zum normalen Alltag.

Audi führt in Werlte bereits vor, was dann ganz selbstverständlich gemacht werden kann: Jede nicht gebrauchte Kilowattstunde Strom wird einfach "chemisch" gespeichert. Sie wird dazu genutzt, um in einem ersten Schritt aus Wasser mittels Elektrolyse Wasserstoff herzustellen. In einem zweiten Schritt kann aus Wasserstoff und Kohlendioxid Methangas synthetisiert werden. Die Anlage in Werlte ist mit einer Biogasanlage gekoppelt, deren CO2-Abgase herausgefiltert und zur Herstellung von Methan wieder genutzt werden. Das System könnte somit dazu dienen, Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern und den Verkehr in die Energiewende zu integrieren.

Denn das Gasnetz bietet das, was dem Stromnetz fehlt: eine ausreichende Speicherkapazität. Während Strom nur sehr begrenzt in Batterien oder Speicherseen zur späteren Nutzung konserviert werden kann, ist dies beim Gasnetz vollkommen anders (siehe Kasten links). Windgas kann Autos und Lastkraftwagen antreiben oder wieder verbrannt werden, um erneut Strom zu gewinnen. Die speicherbare Gasmenge würde ausreichen, um die Stromversorgung Deutschlands mit entsprechend ausgebauten Gas- und Blockheizkraftwerken zwei bis drei Monate zu garantieren.

Dem Wasserstoff-Auto fehlt noch die nötige Infrastruktur

Die Chancen der Power-to-Gas-Technologie sind groß: "Eine klimaschonende, nachhaltige Mobilität in Europa kann nur durch die zusätzliche Nutzung fortschrittlicher, erneuerbarer Kraftstoffe gelingen", heißt es in einem Positionspapier, das von der Deutschen Energieagentur Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit dem Bündnis für Wasserstoff und der "Strategieplattform Power to Gas" vorgelegt wurde. "Mit Wasserstoff und synthetischem Methan, erzeugt mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen, stehen bereits heute zwei Kraftstoffalternativen - flüssige oder gasförmige erneuerbare Kraftstoffe nicht biologischer Herkunft - mit einer Vielzahl von Vorteilen zur Verfügung." Mit der Beimischung von Methan aus erneuerbarem Strom ins Gasnetz stehe eine "Technologie zur Verfügung, die die Klimabilanz des Verkehrs erheblich verbessern kann", betont Umweltministerin Barbara Hendricks. "Und das ohne Reichweitenproblematik auch beim Gütertransport."

Die Autoindustrie hat dies inzwischen begriffen: Mit dem "Mirai" - der Name steht im Japanischen für "Zukunft" - läuft bei Toyota bereits das erste mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzellenauto vom Band. Im Herbst soll es in Deutschland erhältlich sein. Daimler entwickelt seit Jahren mit Nissan und Ford ein eigenes Modell und will 2017 folgen. Noch fehlt es allerdings an der Infrastruktur: Derzeit gibt es gerade einmal 17 öffentliche Wasserstofftankstellen in ganz Deutschland, 2020 sollen es jedoch mehrere hundert sein.

Bei Gasfahrzeugen ist die Entwicklung schon deutlich weiter: Weltweit sind über 15 Millionen Erdgasfahrzeuge zugelassen, allein im Iran 3,5 und in China drei Millionen. Die Technik ist ausgereift, weil es lediglich eines Verbrennungsmotors bedarf, der an einen Gastank angeschlossen wird, und schon genügend Gastankstellen vorhanden sind. Methangas verbrennt an sich schon deutlich klimafreundlicher als Benzin oder Diesel. Wird das Gas zudem mit Hilfe von Wind- und Sonnenstrom hergestellt, ist es weitgehend klimaneutral. Gleiches gilt selbstverständlich für Wasserstoff.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: