Mobilität:Ende der Reiselust

Das Bedürfnis des Menschen nach Mobilität scheint Grenzen zu haben. Gibt es analog zum bevorstehenden "Peak Oil" - der historisch maximalen jährlichen Fördermenge beim Erdöl - einen "Peak Travel"?

Christian Weber

Das Reisen sei des Menschen Lust, so lautet die gemeinsame Arbeitsthese der prähistorischen Migrationsforscher, der modernen Verkehrsplaner und erst recht der privatwirtschaftlichen Mobilitätsanbieter, seien es Autoproduzenten oder Reiseveranstalter.

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Mit steigendem Einkommen haben die Menschen in acht Industriestaaten - darunter Deutschland - von 1970 bis 2003 immer mehr Kilometer pro Jahr zurücklegten. Seitdem stagniert diese Zahl in den meisten Ländern oder hat sogar abgenommen.

(Foto: ddp)

Bislang schienen die Zahlen ihnen recht zu geben, zeugten doch die Statistiken von einem wachsenden Verkehrsaufkommen, bedingt durch motorisierte Fahrzeuge und Flugzeuge. Vielleicht aber auch nicht, wenn man einer Studie der Umweltwissenschaftler Adam Millard-Ball und Lee Schipper von der Stanford University glauben darf (Transport Reviews, online).

Die beiden Forscher ermittelten für acht Industriestaaten, darunter so unterschiedliche Länder wie die USA, Schweden, Deutschland und Japan, wie viele Kilometer pro Kopf mit motorisierten Fahrzeugen zurückgelegt wurden, wobei private Autos genauso einbezogen wurden wie Flugzeug, Bahn und sogar die U-Bahn. Diese Daten setzten sie zudem in Bezug zu dem jährlichen Pro-Kopf-Anteil am Bruttosozialprodukt.

Die Analyse ergab, dass die Menschen von 1970 bis 2003 tatsächlich mit steigendem Einkommen immer mehr Kilometer pro Jahr zurücklegten. Doch seitdem stagniere diese Zahl in den meisten Ländern oder habe sogar abgenommen. Das gelte insbesondere für den privaten Autoverkehr - und das, obwohl zu dieser Zeit die Pro-Kopf- Einkommen noch fast überall stiegen und die Benzinpreise einigermaßen stabil waren.

Diese Zahlen verleiten die Forscher zu der Annahme, dass auch das menschliche Mobilitätsbedürfnis einen Höchststand erreicht haben könnte: Analog zu dem wahrscheinlich bevorstehenden "Peak Oil" - der historisch maximalen jährlichen Fördermenge beim Erdöl - gebe es womöglich einen "Peak Travel", nach dessen Erreichen der Mensch sich nicht weiter motorisiert fortbewegen möchte.

Die durchschnittlich 26.000 Jahreskilometer des US-Amerikaners oder die 10.000 Kilometer des Japaners scheinen zu reichen. Entsprechend müsse man Prognosen über verkehrsbedingte Energiebedürfnisse und Emissionen korrigieren.

Die Studienautoren vermuten, dass diese Beschränkung wahrscheinlich nicht ganz freiwillig sei. "Meine Grundannahme ist, dass der Raum auf den Straßen schlicht nicht mehr ausreicht", sagt Schipper. Schon heute verbrächten Amerikaner täglich 1,1 Stunden beim Pendeln; gerade die wachsende Zahl von älteren Menschen hätte immer weniger Lust dazu.

Die größte Schwäche der Studie ist natürlich, dass sie Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien nicht berücksichtigt. Doch auch dort werden sich die Grenzen der Mobilität bald zeigen: "Schon jetzt kann man sich in Jakarta, Bangkok oder einer beliebigen Großstadt Lateinamerikas oder den wohlhabenden Gegenden Chinas nicht mehr fortbewegen", kommentiert Schipper. "Traurigerweise begrenzt der Stillstand auf den Straßen am ehesten den Gebrauch von Autos."

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