Mobbing in der Wissenschaft:"Ja, es gibt beunruhigende Zahlen"

MPI

Das Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching.

(Foto: Ghost writ0r/CC-BY-4.0)

Eine Umfrage in der Max-Planck-Gesellschaft zeigt, wie häufig Forscher drangsaliert werden. Präsident Martin Stratmann will einen Kulturwandel.

Interview von Hanno Charisius

Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) hat ein schwieriges Jahr hinter sich. An zwei Instituten wurden Berichte über Drangsalierung von Mitarbeitern öffentlich. Am Garchinger Max-Planck-Institut (MPI) für Astrophysik gab es schon länger Vorwürfe wegen Mobbing, sexueller Belästigung und Diskriminierung, schließlich wurde die Arbeitsgruppe von Direktorin Guinevere Kauffmann stark verkleinert. Am Leipziger MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften musste Tania Singer im Dezember als Direktorin zurücktreten. Um zu klären, wie verbreitet solche Probleme sind, hat die Max-Planck-Gesellschaft beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation eine organisationsweite Befragung in Auftrag gegeben, gut 9000 Mitarbeiter antworteten. MPG-Präsident Martin Stratmann, der am Donnerstag für eine weitere sechsjährige Amtszeit bestätigt wurde, fordert einen Kulturwandel in seiner Gesellschaft.

SZ: Welches Ergebnis der Umfrage hat Sie am stärksten getroffen?

Martin Stratmann: Was mich am meisten erschreckt hat, war die Aussage, dass sich viele ausländische Mitarbeiter der Max-Planck-Gesellschaft nicht richtig integriert fühlen.

Haben Sie eine Ahnung, woran das liegt?

Das lässt sich anhand der bisherigen Auswertung noch nicht sagen, wir wissen nicht, ob es am Institut liegt, an der Arbeitsgruppe oder an der Stadt. Erstaunlich ist jedoch, dass EU-Ausländer sich häufiger ignoriert oder ausgeschlossen fühlen. Da sehen wir dringenden Verbesserungsbedarf, weil wir sehr viele ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben. Von den neu berufenen Direktoren kommen 60 bis 70 Prozent aus dem Ausland, unter den Postdoktoranden liegt die Quote bei 75 Prozent. Wir haben eine viel größere Integrationsaufgabe als alle anderen deutschen Forschungseinrichtungen.

Was hat Sie am meisten gefreut?

Dass sich die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Zielen der Max-Planck-Gesellschaft identifizieren können und sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen. Umgangston und Führungskultur werden von 80 Prozent der Befragten als gut empfunden. Das zeigt mir, dass wir es mit einer im Kern gesunden Gesellschaft zu tun und kein systemisches Problem haben.

Warum haben Sie diese Umfrage überhaupt in Auftrag gegeben?

Wir hatten in den vergangenen drei Jahren ja einige sehr problematische Fälle, die auch in der Öffentlichkeit diskutiert worden sind. Und auch international erfährt das Thema in der Wissenschaft immer mehr Beachtung.

Sie meinen konkret die Fälle von Mobbing und Machtmissbrauch in Garching und Leipzig?

Eben diese Vorfälle haben uns gezeigt, dass es mancherorts Probleme mit der Führungskultur gab. Das hat mich veranlasst, prüfen zu lassen, ob wir es mit einem systemischen Problem zu tun haben, ob wir also eine Gesellschaft haben, die im Kern verändert werden muss, oder ob wir es mit Einzelfällen zu tun haben.

In der aktuellen Umfrage gaben zehn Prozent der Befragten an, in den vorangegangenen zwölf Monaten Mobbingerfahrungen gemacht zu haben, 3,9 Prozent fühlen sich sexuell diskriminiert. Bezogen auf längere Zeiträume waren die Zahlen noch größer. Das ist kein systemweites Problem?

Martin Stratmann

Die Max-Planck-Gesellschaft unterhält 86 Institute und hat knapp 24 000 Mitarbeiter. Der Chemiker Martin Stratmann, 65, hat schon 1982 an einem Max-Planck-Institut promoviert. Seit 2014 ist er Präsident.

(Foto: Axel Griesch)

Ich will die Zahlen nicht kleinreden, auch wenn die Studie sie als "durchschnittlich" beziehungsweise "unterdurchschnittlich" im internationalen Vergleich bezeichnet. Hinter den Durchschnittswerten verbergen sich natürlich Untergruppen, die zum Teil stärker betroffen sind. Das müssen wir noch genauer untersuchen. Gegen Ende des Jahres wird es eine Auswertung dazu geben, ob zum Beispiel bestimmte wissenschaftliche Sektionen der Max-Planck-Gesellschaft oder bestimmte Beschäftigtengruppen stärker betroffen sind.

Ein bisschen genauer wissen Sie es ja bereits. Ältere und nichtwissenschaftliche Mitarbeiter sowie Frauen haben häufiger Mobbingerfahrungen gemacht als der Durchschnitt.

Ja, es gibt beunruhigende Zahlen. Auch beim Thema sexuelle Belästigung und Diskriminierung: 8,2 Prozent der jungen Frauen bis 29 Jahre und 9,7 Prozent der Frauen zwischen 30 und 44 Jahre fühlen sich am Arbeitsplatz sexuell belästigt oder diskriminiert. Ich kenne aber auch die Zahlen von anderen Organisationen und weiß daher, dass wir kein Problem haben, das größer ist als bei anderen. Was mich aber auch überrascht hat, ist, dass insbesondere weibliche Führungskräfte über eine Ungleichbehandlung klagen. Das spielt sich auf Ebene des Kollegiums oder innerhalb der wissenschaftlichen Sektion ab.

"Wir müssen einen anderen Umgang mit diesen Vorfällen finden"

Was haben Sie vor, um die Lage zu verbessern?

Als ersten Schritt haben wir bereits vor einigen Monaten eine Anwaltskanzlei eingeschaltet, die als Anlaufstelle dienen soll. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gemobbt fühlen, diskriminiert oder belästigt wurden, können sich dorthin wenden.

Wurde das bereits genutzt?

Eine Handvoll Meldungen sind bislang eingegangen. Eine kam sogar von einem Institut, das gar nicht zur Max-Planck-Gesellschaft gehört, sondern ein Kollaborationspartner ist. Das zeigt uns, dass sich die Vertrauenswürdigkeit dieser Instanz herumspricht.

Was passierte mit den Meldungen?

Jedem Einzelfall wird nachgegangen, einige haben sich als substanzlos erwiesen. Auch bei den anderen gab es keine dramatischen Konsequenzen. Die Fälle sind im Großen und Ganzen bislang unter meiner Aufmerksamkeitsschwelle erledigt worden.

Aus Furcht vor Folgen für die Karriere schrecken viele davor zurück, ihr Problem öffentlich zu machen. Wie wollen Sie das nötige Vertrauen schaffen?

Die Zurückhaltung, Probleme zu melden, ist in der Max-Planck-Gesellschaft nicht ausgeprägter als anderswo. Auch in den USA, England oder der Schweiz haben Mitarbeitende Angst, berufliche Nachteile davonzutragen. In unserer Umfrage gab nur jeder Dritte an, Meldung erstattet zu haben, und von diesen Personen war wiederum ein Drittel mit dem Ergebnis der Meldung unzufrieden, und einige berichten auch von negativen Konsequenzen für ihre Karriere. Die Meldung eines Mobbing-Falls geht mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit mit negativen Konsequenzen für den Meldenden einher als bei sexueller Diskriminierung. Diese Zahlen sind nicht schön, sie zeigen, dass wir einen anderen Umgang mit diesen Vorfällen finden müssen. Für wissenschaftliches Fehlverhalten haben wir etablierte Verfahren. Jetzt brauchen wir solche auch für den Umgang mit nichtwissenschaftlichem Fehlverhalten. Das ist auch für uns als Forschungsgesellschaft wichtig.

Inwiefern?

In den kommenden zwölf Jahren werden wir etwa zwei Drittel unserer Direktoren austauschen, weil sie in den Ruhestand gehen. In zwölf Jahren werden wir eine ganz andere Gesellschaft haben. Die Notwendigkeit eines Kulturwandels zeigt sich auch in anderen Bereichen, wie die Umfrage offenbart. Viele Mitarbeiter gaben an, ihr Privatleben leide unter der Arbeitslast und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei verbesserungsbedürftig. Als ich meine Doktorarbeit gemacht habe, wurde über solche Fragen noch überhaupt nicht diskutiert. Heute müssen wir uns auch um solche Aspekte kümmern, wenn wir als Arbeitgeber in einem internationalen Umfeld weiter attraktiv sein wollen.

Wie leiten Sie den Kulturwandel ein?

Ein Code of Conduct soll Richtlinien für den Umgang miteinander festschreiben. In unseren Instituten treffen ja Menschen aus vielen Kulturkreisen aufeinander, in denen jeweils unterschiedliche Verhaltensweisen erwünscht oder akzeptabel sind. Wir werden deshalb auch unsere Trainings- und Entwicklungsprogramme ausweiten. Dazu gehören vor allem Mentoring-Maßnahmen auf allen Arbeitsebenen sowie Führungskräfte-Trainings und Coachings.

Was passiert, wenn es jemand nicht schafft, sich an den gemeinsamen Verhaltenskanon zu halten?

Wir erstellen gerade eine Verfahrensordnung für nichtwissenschaftliches Fehlverhalten. Meldewege für Beschwerden, Überprüfung der Beschwerden, und auch Sanktionen. Die können von einer Rüge bis dahin reichen, dass man sich von einer Person trennt oder die Führungsfunktionen entzieht.

In Garching und Leipzig hat es ziemlich gedauert, von den ersten Berichten über Probleme bis zur Reaktion der MPG.

Wir sind auf die Vorfälle nicht durch die Presseberichte aufmerksam geworden, sondern früher, während der Begehungen durch den Fachbeirat. Wir haben dann sofort reagiert und Maßnahmen eingeleitet.

International hatten sich da bereits Wissenschaftler gegenseitig davor gewarnt, an den jeweiligen Instituten zu arbeiten. Hinter vorgehaltener Hand allerdings, öffentlich wollte das niemand sagen.

Tatsächlich sind die Begehungen durch den Fachbeirat zu selten, um Probleme frühzeitig anzugehen, zu einem Zeitpunkt, an dem vermittelnde Maßnahmen noch greifen können. Deshalb ist mir eine Früherkennung außerordentlich wichtig. Dass das manchmal nicht schnell genug passiert, das bedaure ich sehr.

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