Süddeutsche Zeitung

Mobbing:In der Wissenschaft fühlt sich mancher Professor wie Gott

Ausgerechnet am weltberühmten Max-Planck-Institut für Astrophysik wurden Mitarbeiter erbärmlich gemobbt. Doch das Problem ist größer.

Kommentar von Patrick Illinger

Ausgerechnet dort, wo das große Ganze erforscht wird, der Urknall, das Universum, die Erhabenheit kosmischer Strukturen, ist es in den vergangenen Jahren zu erbärmlichen menschlichen Verfehlungen gekommen. Mehrere Medien berichteten jüngst über Mobbing und den Verdacht sexistischer Übergriffe am Garchinger Max-Planck-Institut für Astrophysik.

In einer anerkennenswerten Stellungnahme hat die zuständige Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Aufklärung versprochen und eine Kanzlei beauftragt, an die sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Not künftig anonym wenden können. Das sind richtige Schritte, und so offensiv, wie der amtierende MPG-Präsident Martin Stratmann die Aufarbeitung von Verbrechen der Wissenschaft im Nationalsozialismus forciert, nimmt man ihm ab, dass er Mobbing und Sexismus nicht tolerieren wird.

Diese Macht nicht zu missbrauchen, erfordert menschliche Größe

Doch sollten weder Medien noch Forschungsorganisationen so tun, als ginge es um einen Einzelfall. Die Problematik liegt in der einzigartigen Struktur wissenschaftlicher Hierarchien. Zur Freiheit der Forschung gehört nämlich, dass Professoren und Direktoren - verglichen mit anderen Führungskräften in der Arbeitswelt - eine nahezu gottähnliche Position einnehmen. Sie herrschen mit enormer Machtfülle über ihr kleines (manchmal auch nicht so kleines) Reich, das Institut, das Labor, den Lehrstuhl. Nachwuchsforscher sind dem Wohlwollen und der Beurteilung seitens ihrer Dienstherren auf heikle Weise ausgeliefert. Diese Macht nicht zu missbrauchen, erfordert menschliche Größe.

Die meisten Wissenschaftler erfüllen diese Voraussetzung, aber für jene, die das nicht tun, braucht es stärkere Kontroll- und Disziplinarmöglichkeiten. So wie Internationalisierung, Geschlechtergleichheit, Interdisziplinarität in der Wissenschaft vorangetrieben werden, muss mit Nachdruck - stärker als bisher - dafür gesorgt werden, dass menschliche Verfehlungen Konsequenzen haben.

Hier hilft es nicht, wenn die MPG und ihr Präsident betonen, laut einer Umfrage seien mehr als 80 Prozent der Mitarbeiter des betroffenen Instituts mit der Arbeitsatmosphäre zufrieden. Dieses Argument ist, mit Verlaub, genauso unzulänglich, wie nach Übergriffen katholischer Geistlicher darauf zu verweisen, dass die meisten Priester doch ganz nette Leute seien.

Bei Mobbing und sexuellen Übergriffen geht es weder um Prozentzahlen noch um Mehrheiten, sondern um jeden einzelnen Fall. Die Schaffung von Ombudsgremien, denen jüngere Wissenschaftler vorbehaltlos (!) trauen können, wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Und wenn zweifelsfrei festgestellt wird, dass ein noch so preisgekrönter Wissenschaftler die Grenzen des Anstands überschreitet, dann reicht kein Coaching, sondern nur die Entlassung.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2018/fehu
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