Die Milchstraße ist nicht alleine: Sie wird von mehreren kleineren Satellitengalaxien begleitet, die einen Gürtel um sie bilden - und das gibt Astronomen seit Jahrzehnten zu denken. Denn eigentlich sollte es einen solchen Galaxienring nicht geben. Die Satellitengalaxien sollten regellos um die Milchstraße verteilt sein, so entspräche es dem kosmologischen Standardmodell. Welche unbekannte Kraft also zwingt die Galaxien in diese Ebene? Doch wie nun ein internationales Forscherteam auf Basis genauerer Messungen zeigt, ist dieses vermeintliche kosmische Rätsel gar keines. Die Galaxien bewegen sich demnach auf völlig unterschiedlichen Ebenen; dass ihre Anordnung wie ein Ring aussieht, ist einfach nur Zufall. Der vermeintliche Gürtel werde sich innerhalb einiger Hundert Millionen Jahre wieder auflösen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt Nature Astronomy.
"Die Begleiter der Milchstraße liegen am Himmel nahezu auf einer Linie - und das hat die Astronomen seit Jahrzehnten verwirrt", erklärt Co-Autor Carlos Frenk von der Durham University in Großbritannien. Denn wenn die Satellitengalaxien am Himmel auf einer Linie liegen, müssen sie sich im Weltall alle innerhalb einer dünnen Scheibe befinden. "Und das zu erklären, ist für die Kosmologie außerordentlich schwierig." So schwierig, dass es bereits zu Zweifeln am kosmologischen Standardmodell und insbesondere an der Vorstellung der Forscher über die mysteriöse Dunkle Materie führte.
Denn nach heutigen Erkenntnissen trägt die sichtbare Materie - also Sterne, Planeten oder Gaswolken - nur ein Fünftel zur Gesamtmasse des Kosmos bei. Achtzig Prozent der Masse besteht aus Dunkler Materie. Diese ist völlig unsichtbar und verrät sich nur über ihre Anziehungskraft. Die Dunkle Materie spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Galaxien im Kosmos.
Das Weltraumteleskop Gaia erfasst Position und Bewegung von etwa einer Milliarde Sternen
Computersimulationen zeigen, wie sich normale Materie in großen Verdichtungen der Dunklen Materie ansammelt. Diese Verdichtungen sind kugelförmig, und die darin entstehenden Galaxien sind regellos verteilt. Eine Konzentration in einer Scheibe lässt sich in diesem Modell nicht erklären und zeigt sich auch nicht in den Computersimulationen.
Carlos Frenk und seine Kollegen haben nun die bislang besten Daten des Weltraumteleskops Gaia der Europäischen Raumfahrtagentur Esa genutzt, um dieses Rätsel zu lösen. Gaia befindet sich seit 2013 im Weltall und liefert genaue Positions- und Bewegungsdaten von etwa einer Milliarde Sternen nicht nur in unserer Milchstraße, sondern auch in ihren Satellitengalaxien.
Die Auswertung der Daten führte zu einer Überraschung. Bislang waren Astronomen davon ausgegangen, dass sich die kleinen Galaxien stets auf Bahnen innerhalb der Scheibe bewegen. Doch das ist nicht der Fall. Die Folgerung von Frenk und seinen Kollegen: Die derzeit beobachtete Konzentration der Satellitengalaxien in einer Scheibe ist reiner Zufall. Innerhalb einiger Hundert Millionen Jahre - kosmologisch gesehen ist das eine kurze Zeitspanne - wird die Scheibe verschwunden sein.
Daraufhin warf das Team noch einmal einen Blick in die bislang besten Computersimulationen der Galaxienentstehung. Und tatsächlich ließen sich solche zufälligen Scheiben auch dort nachweisen. Bislang waren solche Zufallserscheinungen übersehen worden, weil Forscher lediglich nach gleichmäßig rotierenden Scheiben aus Satellitengalaxien gesucht hatten. "Damit haben wir eine der derzeit größten Herausforderungen des kosmologischen Modells gelöst", freut sich Frenk. "Das Modell mit der Dunklen Materie liefert uns eine bemerkenswert zutreffende Beschreibung von der Entwicklung des Universums."