Mikrobiologie:Sporen aus dem Frost

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Eine Hitzewelle in Sibirien hat Milzbrandbakterien freigesetzt, die vermutlich mehr als 70 Jahre in einem Rentierkadaver überdauert haben. Mindestens neun Menschen haben sich infiziert, 2300 Tiere sind gestorben.

Von Hanno Charisius

Temperaturen von bis zu 35 Grad Celsius haben in Nordsibirien einen gefährlichen Krankheitskeim zum Leben erweckt. In einer Nomadengruppe kam es in der vergangenen Woche zu einem Milzbrandausbruch, zum ersten Mal seit 75 Jahren. Ein zwölfjähriger Junge ist bisher an der Infektion mit dem Bakterium Bacillus anthracis gestorben. Bei acht weiteren Menschen wurde der Erreger ebenfalls nachgewiesen, insgesamt waren bis Montag 72 Menschen in Kliniken gebracht worden, um sie zu behandeln oder auf Milzbrand zu untersuchen. Mehr als 2300 Rentiere hat der Erreger getötet, teilten die Behörden in Salechard am Nordpolarkreis mit.

Seuchenexperten aus Moskau haben in der Region ein Feldlazarett aufgestellt und begonnen, mehr als 40 000 Rentiere zu impfen sowie die toten Tierkörper zu verbrennen. Träger des Anthrax-Erregers sind nach Behördenangaben bisher ausschließlich Rentier-Hirten und deren Tiere. Das Ausbruchsgebiet sei weiträumig abgesperrt worden. Unklar ist derzeit, wie es zu dem Ausbruch kam. Wegen des hart gefrorenen Bodens werden Tote in der Region oft nicht vergraben, sondern in Holzkisten bestattet. Durch die hohen Temperaturen während der letzten Wochen könnten Milzbrandsporen (die robuste Variante der Bakterien) in einem Leichnam aktiviert und mit dem Wind verbreitet worden sein. Der Anthropologe Florian Stammler von der Universität Lappland im finnischen Rovaniemi, hält es jedoch für wahrscheinlicher, dass der Erreger im Kadaver eines vor mehr als 70 Jahren verendeten Rentiers im Permafrost geschlummert hat und nun von den sommerlichen Temperaturen wiedererweckt wurde. Milzbrandsporen könnten auf Weideflächen geweht worden sein, wo sich möglicherweise lebende Rentiere infiziert haben. Die Nomaden könnten sich wiederum durch den Verzehr infizierter Tiere angesteckt haben.

Stammler hat vor einiger Zeit selbst in der Region geforscht und weiß daher, wie stark das Thema Milzbrand im Bewusstsein der Bevölkerung verankert ist. Gebiete, in denen der Erreger ausgebrochen ist, werden oft jahrzehntelang abgeriegelt, weil die Sporen so lange überdauern. Das Areal des aktuellen Ausbruchs werden die Hirten in Zukunft ebenfalls meiden. Auch in Schweden und Indien kam es in der vergangenen Woche zu Milzbrandausbrüchen. Dort sind bislang jedoch nur wenige Tiere betroffen.

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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