Wetter zu Weihnachten:Frühling unter dem Christbaum

Röschen am Morgen

Hecken, Wiesen und Bäume blühen in einigen Teilen Deutschlands: Diese Blüte wurde zwei Tage vor Heiligabend in Frankfurt am Main aufgenommen.

(Foto: dpa)

"Wenn ich Aktien von Skiliftbetreibern hätte, würde ich sie jetzt alle verkaufen": Ein echter Winter ist nicht in Sicht. Was ist los mit dem Wetter?

Von Andreas Frey

Wenn der Meteorologe Frank Böttcher morgens auf die neuen Wetterkarten blickt, dann weiß er eigentlich schon, was ihn erwartet. Seit Wochen liegt da dieses gewaltige Hoch über Europa, das einfach nicht verschwinden will. Aktuell trägt es den Namen Brigitte , davor hieß es Annice. Die Freie Universität Berlin hat auch schon die Namen Zita, Yvonne, Xena, Waltraud und Ulrike verwendet, um die hartnäckig dominierende Wetterlage über Südeuropa zu benennen.

Egal, wie die Hochs auch hießen, ihr Zentrum setzte sich immer an derselben Stelle fest. Vom Mittelmeer aus weitet das gute Wetter seinen Einfluss dann auf den halben Kontinent aus. Seit Monaten geht das schon so. Man könnte auch sagen: Das Mittelmeer-Hoch regiert Europa. Daran können auch jene Tiefdruckgebiete wenig ändern, die für ein paar Tage dazwischenfunken. Der Winter bleibt in diesem Jahr also vor allem eines: ein Totalausfall.

Mit weißen Weihnachten sieht es also schlecht aus. Klimaforscher halten es zudem für wahrscheinlich, dass das Fest in den kommenden Jahrzehnten häufiger grün ausfallen wird. Vielleicht muss man sich von der Vorstellung verabschieden, dass Flocken zu Weihnachten gehören wie Geschenke zur Bescherung. Nicht, dass diese Vorstellung früher gestimmt hätte. In der Mehrzahl der Jahre verwandelt warme Atlantikluft den zuvor gefallenen Schnee pünktlich zum Fest in Matsch.

Das Meer vor Grönland gleicht einem gallischen Dorf: nur dort wird es noch kälter auf der Erde

In diesem Jahr ist der Winter aber - zumindest bisher - fast völlig schnee- und eisfrei geblieben. Derzeit stehen die Zeichen sogar auf Frühling. Im Rheinland blühen bereits Kirschbäume. In weiten Teilen des Landes wagen sich sogar die ersten Frühblüher aus dem Boden. Auf den Skipisten sind nur noch ein paar weiße Flecken und Streifen übrig. Selbst das künstliche Weiß aus Schneekanonen kann sich bei der Dezemberwärme nicht halten.

"Wir haben es hier mit einer außergewöhnlichen Wetterlage zu tun", sagt Frank Böttcher, der das Institut für Wetter und Klimakommunikation leitet. Seit mehr als sechs Wochen zeigten die Wetterkarten das Gleiche. Manchmal denke er, sagt Böttcher, jemand habe in den Rechenzentren der Wetterdienste die Wiederholungstaste gedrückt.

Einen Rückzug scheint das Mittelmeer-Hoch nämlich keineswegs zu planen, im Gegenteil: Brigitte erobert zunehmend nördliche Gebiete. In Skandinavien wurden am Wochenende rekordverdächtige Temperaturen gemessen. Stockholm meldete am vierten Advent 13 Grad. Auch in Deutschland wurden verbreitet 15 Grad überschritten. In Baden-Württemberg kletterte das Thermometer sogar auf 17 Grad. Ähnlich hohe Werte werden auch in dieser Woche wieder erwartet.

Winter gibt es derzeit nur weit im Norden Skandinaviens

Der Winter hat sein Refugium derzeit weit im Norden Skandinaviens. Ob er von dort wenigstens einmal in den kommenden Wochen vorbeischaut? Bis Monatsende deute wenig darauf hin, sagt Böttcher. "Wenn ich Aktien von Skiliftbetreibern hätte, würde ich sie jetzt alle verkaufen." Beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach gibt man sich sachlicher. "Alle Wettermodelle zeigen aktuell eine beständige Südwestlage", sagt der Meteorologe Stefan Bach. Es bleibt also weiterhin warm.

Auch Bach hält das für sehr ungewöhnlich. Um fast fünf Grad seien die Temperaturen in Deutschland höher als im langjährigen Dezembermittel. "Das übliche Weihnachtstauwetter fällt in diesem Jahr auf jeden Fall aus", sagt er und fügt scherzend hinzu: Allein aus dem Grund, weil es praktisch keinen Schnee gibt, der tauen könnte. Bisher ist jedenfalls auf den Wetterkarten nichts zu sehen, was den Winter nach Europa bringen könnte.

Dass das Wetter seit Wochen auf Frühling programmiert ist, erklären sich Meteorologen wie Klimaforscher mit einer speziellen Situation im Nordatlantik. Wetterexperte Böttcher berichtet, dass eine Region südlich von Grönland kälter als normal sei. Um bis zu zwei Grad liegt die Temperatur dort unter den üblichen Werten. Diese Anomalie führt dazu, dass Tiefdruckgebiete über dem Atlantik nach Süden ausscheren. So fachen sie Südwestwind an, der warme Luft aus der Karibik, von den Kanaren oder sogar aus der Sahara nach Europa bringt.

Die Kühle vor Grönlands Küste verändert den sogenannten Jetstream. Dieses Band von Höhenwinden weht von West nach Ost rings um die Nordhalbkugel. Im Winter dehnt es sich normalerweise immer wieder nach Süden aus, wodurch Polarluft nach Europa vordringen kann.

Das kalte Wetter vor Grönland leitet den Jetstream in diesem Jahr allerdings weit nach Norden um. Und die Kälte bleibt dort, wo sie heimisch ist - in der Arktis. Dringt doch einmal eine Kaltfront nach Mitteleuropa vor, wie Ende November, wird sie vom Hochdruckgebiet über Südeuropa gleich wieder fortgeblasen. Aus Sicht von Böttcher ist es daher unwahrscheinlich, dass Europa in dieser Saison überhaupt noch einen strengen Winter erleben wird. Solche Winter beginnen üblicherweise früh und halten sich selbst am Leben, da bereits gefallener Schnee die Luft kühlt - und das Winterwetter konservieren kann.

Vorerst werden die Winter in Europa milder. Langfristig muss man sich aber warm anziehen

Eine ähnlich stabile Südwestlage dominierte auch schon den Hochsommer in Europa. In Deutschland purzelten die Temperaturrekorde, die Zahl der Hitzewellen war außergewöhnlich hoch. Bereits vor Monaten war ein unterkühlter Nordatlantik im Zusammenspiel mit einem beständigen Hoch auf dem Kontinent Motor der stabilen Großwetterlage.

Seit fünf Jahren registriert der Deutsche Wetterdienst immer häufiger extreme Wetterlagen statt gemäßigter Westwinde. Ist das bloß eine Phase, die bald wieder vergeht? Wahrscheinlich nicht. Seit Jahren ist das Wasser südlich von Grönland zu kühl. Für Klimaforscher gleicht die Region im Nordatlantik einem gallischen Dorf. Es ist das einzige Gebiet auf der Erde, das sich nicht erwärmt - und sich bis Ende des Jahrhunderts auch weiterhin kaum erwärmen wird, wie Klimamodelle zeigen. Der Nordatlantik wirkt dort wie eine gigantische Klimaanlage, die kontinuierlich kaltes Wasser aus der Tiefe holt und somit die Atmosphäre kühlt.

Mit fortschreitendem Klimawandel könnte die Bedeutung dieser Region noch wachsen. Sie ist Teil einer gigantischen Atlantikzirkulation, zu der auch der Golfstrom gehört. In einem gewaltigen Förderband wird warmes Wasser aus der Karibik nach Europa transportiert. Klimaforscher erwarten, dass diese Wärmepumpe durch den Klimawandel an Kraft verliert. "Das liegt an der Tatsache, dass warmes Wasser nicht so einfach in die Tiefe sinken kann und dass es in den hohen Breiten künftig mehr regnet", sagt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Die Folge: Es würde weniger Wärme in den Nordatlantik transportiert. Dort bliebe es kühl im Vergleich zum globalen Mittel.

Milde Winter könnten in Europa also noch häufiger werden in den kommenden Jahrzehnten. Noch langfristiger erwarten Klimaforscher aber einen gegenteiligen Trend: Der Golfstrom könnte irgendwann kollabieren, Europa würde dadurch deutlich abkühlen. Dieses Szenario hat der Regisseur Roland Emmerich vor elf Jahren im Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow" verarbeitet.

Von heute auf morgen wird die neue Eiszeit allerdings nicht hereinbrechen. Doch Entwarnung gibt es nicht. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat zuletzt Belege dafür gefunden, dass der Golfstrom bereits erste Anzeichen von Schwäche zeigt. Er transportiere mittlerweile um bis zu 30 Prozent weniger Wärme als noch vor einigen Jahrzehnten, schrieb Rahmstorf im Frühjahr zusammen mit Kollegen im Fachmagazin Nature Climate Change. Eine Verlangsamung des Golfstroms beschreibt auch der Weltklimarat der Vereinten Nationen IPCC in seinem jüngsten Bericht. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts befürchten die beteiligten Wissenschaftler eine Schwächung um mindestens ein Viertel, wenn nicht sogar um die Hälfte.

Zumindest für einige Jahrzehnte bleibt diese einschneidende Umwälzung noch aus. Es gibt also auch Gründe, sich darüber zu freuen, dass die weiße Weihnacht in Deutschland mal wieder ausfällt. Ein milder Dezember ist nämlich immer noch besser als das Szenario, das Hollywood vorgesehen hat: ein Winter, der gar nicht mehr aufhört.

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