Meteoriten:Warnschüsse aus dem All

Laien freuen sich, wenn Sternschnuppen am Himmel aufleuchten. Astronomen hingegen warnen, dass Asteroiden ganze Zivilisationen vernichten können. Derzeit scheint die Gefahr zuzunehmen.

Axel Bojanowski

Die Erde steht unter Dauerbeschuss. 100 Tonnen Steinchen und Körnchen aus dem All prasseln jeden Tag auf den Planeten ein, darunter 25 größere Klumpen, die meist als Sternschnuppen verglühen. Pures Glück, sagen Astronomen, dass die dicksten Brocken, deren Reste in die Erdoberfläche schlagen, in den vergangenen Jahrzehnten meist unbewohnte Gebiete trafen, zu zwei Dritteln das Meer.

Meteor
(Foto: Foto: Nasa)

So wie die fußballgroße Feuerkugel, die am Abend des 17. Januar dieses Jahres vom Nachthimmel Nordeuropas in die Ostsee klatschte. Oder wie die glühenden Steine, die im November 2008 über Westkanada leuchteten und dann in die Einöde prasselten.

Für Laien ist es jedes Mal ein faszinierendes Schauspiel, das wohlige Schauer erzeugt - und dessen bedrohliche Kraft sich nur in kosmischen Katastrophenfantasien wie Armageddon auf der Kinoleinwand entfaltet. Dabei liegen Fiktion und Wirklichkeit in kaum einem Thriller so nah beieinander: Für Wissenschaftler besteht der kosmische Hagel aus lauter Warnschüssen.

Sonnensystem in besonders steiniger Zone

So habe sich in den vergangenen Jahren im Tiefseeschlamm mehr Weltraummaterial abgelagert als zu früheren Zeiten - ein Alarmsignal, das eine Phase dichteren Meteoriten- und Asteroidenverkehrs anzeige, warnt der Nasa-Experte David Morrison.

Das Sonnensystem bewege sich zurzeit durch eine besonders steinige Zone der Galaxie. Die Vereinten Nationen mahnten Ende vergangenen Jahres internationale Zusammenarbeit an, um die Suche nach erdnahen Asteroiden zu verstärken und um rechtzeitig warnen zu können.

Kritik trifft vor allem die europäischen Regierungen: Sie nähmen kaum Notiz von der Gefahr, klagten Experten aus aller Welt vor Kurzem auf einer Fachkonferenz in Heidelberg.

Während in den USA fünf permanente Suchprogramme laufen, von denen eines allein im vergangenen Jahr 281 erdnahe, bis dahin unbekannte Asteroiden ausspähte, sind Europas Bemühungen bescheiden.

Nur in Norditalien halten Astronomen regelmäßig Ausschau. Ausbeute waren zuletzt gerade einmal fünf Prozent der neu entdeckten "Near Earth Objects".

"Man verlässt sich auf die USA", sagt Mario Trieloff, Asteroidenexperte an der Universität Heidelberg, obwohl Sparsamkeit fahrlässig sei, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt hat:

An dem glühenden, Tausende Tonnen schweren Brocken am Himmel über Nordamerika zum Beispiel, der am 10. August 1972 unter Donnern plötzlich auftauchte, wieder verschwand und für dessen Einschlag nach kosmischen Maßstäben nur Millimeter gefehlt hatten.

Computer berechnen Meteoritenbahnen

Am vier Tonnen schweren "Allende-Meteoriten", der am 8. Februar 1969 über Mexiko zerplatzte und dessen Steinregen wie durch ein Wunder keinen Menschen traf. Oder an den Hunderten von Kratern, bis zu 27 Meter groß, die eine Überraschungsattacke aus dem All am 12. Februar 1947 im Boden Sibiriens hinterließ - ganz nahe der Stelle, über der am 30. Juni 1908 ein etwa 200 Meter großer Brocken explodiert war, bekannt als Tunguska-Ereignis, was sämtliche Bäume auf einer Fläche von der Größe des Saarlands umgeknickt hatte.

Meteoriten: 100 Tonnen Steinchen und Körnchen aus dem All prasseln jeden Tag auf den Planeten ein. Manchmal ist darunter ein Brocken, der einen riesigen Krater schlägt - wie den Meteor Crater in Arizona, USA.

100 Tonnen Steinchen und Körnchen aus dem All prasseln jeden Tag auf den Planeten ein. Manchmal ist darunter ein Brocken, der einen riesigen Krater schlägt - wie den Meteor Crater in Arizona, USA.

(Foto: Foto: AFP/Nasa)

Die jüngste Geschichte des kosmischen Beschusses liest sich zwar harmloser, lehrt jedoch dasselbe: wie blind trotz der seit zehn Jahren systematisch betriebenen Asteroidensuche die Menschheit für Gefahren aus dem All ist. Im September 2007 rammte ein Weltallklumpen einen 14-Meter-Krater in ein peruanisches Bergdorf. Am 25. November 2004 verglühte ein wasserballgroßer Meteorit kurz vor dem Einschlag über dem Ruhrgebiet, im Juni 2004 war ein 1,3 Kilogramm schwerer Brocken in ein Haus in Neuseeland eingeschlagen.

Im März 2003 beschädigte ein Steinschauer Gebäude in Chicago, im April 2002 zerplatzte der "Neuschwanstein-Meteorit" in 22 Kilometern Höhe und ließ bei Füssen Steinchen regnen - nur vier Monate, nachdem der Britin Siobhan Cowton auf der Straße ein faustgroßer, glühender Brocken vor die Füße fiel. "Das passiert nicht sehr oft in Northallerton", kommentierte die damals 14-Jährige ihren Fund.

Schon fünfmal ging bislang alles gut

Eine wirkliche Gefahr sind die ungleich größeren Brocken, die ebenfalls durchs All fliegen. Denn nicht nur unbekannte Miniobjekte drohen einzuschlagen. Auch 20 Prozent der richtig dicken Batzen mit einer Größe von mehr als einem Kilometer, die der Erde bedrohlich nahekommen, hat bislang noch niemand erspäht.

Fast 6000 Asteroiden, die unsere Bahn kreuzen und somit irgendwann auf die Erde treffen könnten, sind den Astronomen heute bekannt, darunter 767 Geschosse vom Kaliber ein Kilometer plus x. Woher man weiß, dass sie nur etwa 80 Prozent der kosmischen Großbomben ausmachen, wie Trieloff sagt?

Weil sich die Gesamtzahl auf ähnliche Weise kalkulieren lässt wie Wahlergebnisse in Hochrechnungen: Die Wissenschaftler scannen begrenzte Himmelsbereiche, zählen repräsentative Stichproben an Asteroiden aus und schließen so auf die tatsächliche Menge. Demnach schwirren an die 1 000 Riesenbrocken und etwa eine halbe Million 50-Meter-Klumpen in Erdnähe umher. Je kleiner die Asteroiden, desto häufiger sind sie - und umso schwieriger lassen sie sich aufspüren.

2002 schrammte ein knapp 100 Meter großer Fels in nur einem Drittel Mondabstand an der Erde vorbei - er wurde erst entdeckt, als er sich wieder entfernte. Kleinere Geschosse fallen meist erst auf, wenn sie in unmittelbarer Nähe der Erde auftauchen. Und außerhalb der Untersuchungsgebiete, in denen die Astronomen Stichproben sammeln, gehen den Spähern ohnehin die meisten Meteoriten durch die Lappen.

Sorgenkind "Apophis"

Meteoriten-Krater

Die Karte zeigt, wo im Lauf der Erdgeschichte große Meteoriten niedergegangen sind. Bislang haben Geologen 176 solcher Einschläge gefunden. Mithilfe neuer Beobachtungsmethoden aus der Luft entdecken sie derzeit ständig Krater.

(Foto: Foto: SZ Wissen/Gesine Stürner)

Forscher beobachten die ausgewählten Gebiete im Sonnensystem permanent durch Teleskope, diese liefern automatisch jede halbe Stunde Aufnahmen und kennzeichnen Objekte, die sich relativ zu den Sternen bewegen, als Asteroiden; die Suche übernehmen meist Computer. Identifizieren die Rechner einen Brocken mehrfach, lässt sich seine Bahn errechnen. Die meisten Asteroiden kreisen demnach in sicherem Abstand von der Erde zwischen Jupiter und Mars um die Sonne.

Vermutlich sind sie Überbleibsel einer gescheiterten Planetenentstehung. Die gewaltige Schwerkraft des Riesenplaneten Jupiter hat die Brocken daran gehindert, sich zusammenzuballen. Kommen die Trümmer Mars oder Jupiter allerdings zu nahe, werden sie leicht vom Kurs abgelenkt. Die Schwerkraft der Planeten schleudert sie auf eine neue Bahn - womöglich auf eine, die jene der Erde kreuzt.

Vor allem diese All-Geisterfahrer suchen Astronomen. Schon fünfmal haben Experten angesichts solcher Vagabunden kosmische Verkehrswarnungen ausgesprochen, doch zu ihrer Erleichterung bestätigten sich ihre Befürchtungen nicht. Um zwölf Millionen Kilometer lagen sie zuletzt mit ihrer bangsten Berechnung der Bahn eines 500-Meter-Kolosses daneben, der im Februar 2004 die Erde passierte.

So viel Rechenspielraum kann je nach Länge der Beobachtungszeit entstehen: Je kürzer sie ist, desto ungenauer die Asteroidenroutendaten. Für das 21. Jahrhundert gilt die bislang größte Sorge dem 320-Meter-Klumpen "Apophis", der nach jüngsten Berechnungen im Jahr 2029 in nur 30.000 Kilometern Entfernung an der Erde vorbeifliegen soll.

Kleine Störungen mit großer Wirkung

Dann hängt es von kleinsten Störungen seiner Umlaufbahn durch das Erdgravitationsfeld ab, ob er zum Feind der Menschheit mutiert: Durchfliegt der Fels einen 600 Meter breiten, kritischen Korridor, neigt sich seine Bahn, und er gerät für das Jahr 2036 auf Kollisionskurs mit der Erde. "Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt etwa eins zu 40.000", sagt Mario Trieloff.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von sogar eins zu 1400 prallt in 160 Jahren der 560-Meter-Brocken "1999 RQ36" auf die Erde, wie neueste Berechnungen ergeben. Ein solcher Zusammenstoß würde die Welt in eine schwere Krise stürzen: Ein Einschlag in den Ozean riefe Tsunamis hervor, viele Dutzende Meter hoch. In den Fluten könnten Milliarden Menschen ertrinken, denn zwei Drittel der Menschheit leben heute nahe den Küsten.

Ein Treffer auf Land würde einen ganzen Kontinent verwüsten. Erdbebenwellen ließen Gebäude einstürzen und rissen Straßen auf. Wolken aus Feuer und Säure fegten Tausende Kilometer weit. Schließlich legte sich ein Staubschleier über den Planeten. Solch ein "Sonnenschirm" kühlt das Klima mitunter auf Jahre hinaus ab; globale Missernten und Hungersnöte wären die Folge. Ein solch großer Meteorit hat vor 65 Millionen Jahre wohl auch die Dominanz der Dinosaurier mit einem Schlag beendet.

Ganze Kulturen verschwinden

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(Foto: SZ Wissen)

Aber auch der Einschlag eines kleineren Asteroiden von 50 bis 200 Metern Größe reichte für eine Katastrophe, die viele Millionen Menschen in den Tod risse und das Leben auf der Erde nachhaltig verändern könnte, wie man aus der Geschichte weiß. So warfen vor 13.000 Jahren offenbar ähnlich große Meteoritensplitter die halbe Welt in die Eiszeit zurück.

Sie sollen einen Teil des Laurentidischen Eisschilds in Nordostamerika zerschlagen haben, woraufhin sich eine Schmelzwasserflut in den Atlantik ergoss, berichteten Geologen Anfang Januar im Magazin Science. Das eisige Süßwasser brachte eine warme Meeresströmung zum Erliegen, das Klima auf weiten Teilen der Nordhalbkugel kühlte daraufhin ab.

27 große Einschläge in der Geschichte der Menschheit

Nach jüngsten Theorien erklärt dieser kosmische Treffer auch, warum Menschen wie die frühsteinzeitlichen Jäger der Clovis-Kultur und Großsäugetiere wie Mammut und Mastodon einst in kürzester Zeit aus Nordamerika verschwunden sind. Der Einschlag habe Feuer entfacht, die Lebewesen verbrannten. Hitze und Staub hätten Pflanzen verdorren lassen, meinen die Forscher.

Solche Schläge hat die Menschheit in ihrer Geschichte offenbar häufiger erlebt. Der Aufprall eines mehr als 100 Meter großen Asteroiden vor 10 000 Jahren in der jordanischen Wüste zum Beispiel gilt Forschern um den Braunschweiger Geologen Werner Schneider als historischer Kern vieler Apokalypse-Beschreibungen, wie sie immer wieder in religiösen Schriften auftauchten.

Vom entflammten Land, das "zerbrach wie ein Topf", erzählte zum Beispiel schon das Gilgamesch-Epos. Und in der Offenbarung des Johannes ist von einem Drachen die Rede, dessen "Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde". Wie viele solcher großen Kollisionen hat die Menschheit wohl schon überstanden?

Auf der Erde sind 176 Einschlagskrater bekannt, davon 27, die jüngeren Datums sind als der erste Mensch. Allerdings entpuppen sich immer mehr unscheinbare Senken als kosmische Schlaglöcher. Mithilfe von Lasermessungen aus der Luft spürt der kanadische Geologe Chris Herd von der Universität Alberta seit Kurzem Meteoritentrichter auf, die bislang von dichter Vegetation verborgen waren.

Die Laserstrahlen tasten die Oberfläche Zentimeter für Zentimeter ab, so entsteht ein präzises Abbild des Erdbodens. Mit einem Computerprogramm tilgt der Geoforscher die Vegetation von der Landkarte. Mit dieser Methode werde er noch Hunderte Trichter enttarnen, meint Herd. "In unzugänglichen Gebieten wie Regenwäldern werden sicher noch größere Krater entdeckt werden", sagt auch Mario Trieloff.

Leben zwischen den Katastrophen

Immerhin treffe heute wie früher "alle paar hundert Jahre" ein Meteorit des Kalibers um die 200 Meter die Erde. Der Blick auf den Mond zeigt, ob solche Annahmen der Astronomen die richtige Größenordnung haben: Der Erdtrabant ist übersät mit Meteoritenkratern und demonstriert, wie die Erde aussähe, wenn keine geologischen Kräfte wirkten.

Auf der Erde eliminieren Erdplattenbewegungen die Spuren der Einschläge. Die Krater tauchen mitsamt der Platten ins Erdinnere ab. Zudem haben Wind und Regen den Boden abgeschliffen, und Schlamm, Sand und Bewuchs decken die Senken zu. Der Mond beweist: Meteoriteneinschläge sind im kosmischen Zeitmaßstab ganz normal.

Wir leben bloß in den Pausen zwischen den Katastrophen. Die zunehmende Klarheit darüber und das Wissen um die jüngsten Warnschüsse veranlasste die UN im vergangenen Jahr, auch in Bezug auf mögliche Abwehrstrategien mehr internationale Zusammenarbeit zu fordern. Den Vorschlägen zufolge könnten Atombomben die kosmischen Felsen weit draußen im Weltall sprengen, Sonnensegel könnten ihre Bahn verändern, Raumschiffe könnten andocken und gefährliche Brocken wegsteuern.

Abwehrprogramme leiden unter Geldmangel

Im Rahmen der Mission "Don Quijote" plante die Europäische Raumfahrtagentur Esa die Sonde Hidalgo in einer Ernstfallprobe mit voller Wucht auf einen Asteroiden zu lenken, um ihn aus der Bahn zu werfen. Zwar hat "Don Quijote" bereits sämtliche wissenschaftliche Prüfverfahren durchlaufen, doch werde das Projekt wegen Geldmangels womöglich gestoppt, sagen Eingeweihte.

Indes empfiehlt die UN-Expertengruppe um den Raumfahrttechniker Richard Crowther: Raumsonden sollten mittels ihrer Anziehungskraft den Kurs gefährlicher Objekte verändern. "Erfolgt das Manöver rechtzeitig, reicht eine minimale Störung der Asteroidenbahn aus, um ein Geschoss an der Erde vorbeizulenken", sagt er.

Voraussetzung dafür wäre: Die Bedrohung wird rechtzeitig erkannt. Da aber ist Nasa-Experte David Morrison nicht sehr optimistisch. Könnte man die zurzeit in Erdnähe umherschießenden Meteoriten und Asteroiden per Knopfdruck leuchten lassen, würde das Firmament blinken wie eine Discokugel. "Die Erde rast durch eine kosmische Schießbude", sagt Morrison.

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