Bis vor 40 000 Jahren jagte und werkelte der Neandertaler noch in Europa und Asien. Gegenüber dem modernen Menschen schien der Frühmensch weniger fortschrittlich und deshalb auch plumper in seiner gesamten Art. Doch Neandertaler waren feinfühliger als bislang angenommen. Das zeigt eine Studie aus dem Fachmagazin Science Advances, in der Handknöchel näher untersucht wurden. Bislang gingen Forscher davon aus, dass sich Neandertaler beim hantieren mit Werkzeugen vor allem auf ihre Kraft verließen. Anlass dazu gab die robuste Anatomie der Handknochen. Wie geschickt ein Handwerker ist, zeigen aber nicht die Knochen, sondern Muskeln und Sehnen.
Anlass zum Zweifel an dem Bild des unbeholfenen Kraftprotzes gaben filigrane Werkzeuge und Schmuckstücke, die bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt wurden. Deshalb entwickelten die Forscher um Katerina Harvati vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen eine neue Methode, um die Bereiche dreidimensional zu vermessen, auf denen einmal Muskeln saßen. Sehnen sind das Bindeglied zwischen Muskel und Knochen. Dort, wo sie über den Knochen fahren, hinterlassen Sehnen Abdrücke, sogenannte "Muskelansatzmarken" oder "Enthesen". Wie markant die Gebrauchsspuren sind, hängt davon ab, mit welcher Häufigkeit oder mit welcher Intensität die Sehnen bei einer Bewegung über den Knochen fahren.

Präzision statt Kraft
Da Muskeln und Sehnen vergehen und an fossilen Menschenfunden nicht mehr erkennbar sind, bleiben den Forschern nur noch ihre Abdrücke. Darüber lässt sich im Nachhinein feststellen, ob ein Neandertaler zu Lebzeiten häufiger sogenannte "Präzisionsgriffe" oder "Kraftgriffe" ausgeübt hat. Beim "Kraftgriff" greift die gesamte Handinnenfläche, einschließlich aller Finger, zu. Beim "Präzisionsgriff" aber regen sich vorrangig die Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger.

Archäologie:Neandertaler schufen Höhlenkunst
Bislang waren die ausgestorbenen Verwandten des modernen Menschen als eher einfache Zeitgenossen bekannt. Einer neuen Studie zufolge schufen sie Kunstwerke und Schmuck.
Um die Ergebnisse der Analyse zu erhärten, wurden sie mit Stichproben von modernen Menschen aus der "Basel Spitalfriedhof"-Sammlung des Naturhistorischen Museums Basel verglichen. Die Sammlung besteht aus 500 Skeletten aus der Basler Unterschicht im 19. Jahrhundert, von denen die Identität bekannt ist und zu denen über 900 Krankenakten vorliegen. Anhand der Daten aus der Sammlung lassen sich die Lebensumstände verschiedener Berufsgruppen rekonstruieren.
"Wenn wir nun beispielsweise die Hand eines Schmiedes untersuchen, können wir an den Muskelansatzstellen zeigen, dass dieser in seinem Alltag häufig 'Kraftgriffe' verwendet hat", erklärt Gerhard Hotz vom Naturhistorischen Museum Basel. Der Vergleich mit den Knochen moderner Menschen zeigte, dass keiner der Neandertaler, dessen Handskelett untersucht wurde, im Alltag übermäßig viele Kraftgriffe ausübte.