Menschheitsgeschichte:Lucys tiefer Fall

Lucy, Australopithecus afarensis

So könnte sie ausgesehen haben: Modell von Lucy.

(Foto: Pat Sullivan/AP)

Forscher haben die zersplitterten Knochen der weltberühmten Vormenschenfrau Lucy untersucht. Sie stürzte, das zeigen die Schäden, wohl von einem hohen Baum und starb schnell.

Von Hubert Filser

Als Lucy auf den Ästen eines zwölf Meter hohen Baumes balanciert, verliert sie plötzlich den Halt. Sie stürzt in die Tiefe, versucht noch, sich abzufangen. Doch die zierliche Frau kann keinen Ast mehr greifen. Und so knallt sie mit fast 60 Stundenkilometern mit den Füßen voran auf den Boden. Sie stützt sich mit den Armen ab, zuerst mit dem linken und dann mit dem rechten. Die Wucht des Aufpralls lässt beide Oberarmknochenenden splittern, vor allem der rechte ist übel zugerichtet.

Anhand von hochauflösenden Computertomografien ihres Skeletts rekonstruierten Anthropologen um John Kappelman von der Universität Texas nun das Schicksal von Lucy, einem der berühmtesten Fossilien der Menschheitsgeschichte. Die Details aus der Veröffentlichung im Fachmagazin Nature ergeben ein ziemlich grausames Bild der letzten Momente dieser Vormenschenfrau, die vor rund 3,18 Millionen Jahren in der Afar-Senke im heutigen Äthiopien starb.

Ihre Überreste hatte bereits im Jahr 1974 eine Forschergruppe um den Anthropologen Donald Johanson entdeckt. Lucy wurde schnell weltberühmt, konnte sie wohl aufrecht gehen und gehörte zu einer neuen, nach ihrem Fundort Australopithecus afarensis benannten Vormenschenart. Viele Geschichten rankten sich um sie, etwa die wohl erfundene, aber doch schöne, dass im Forschercamp das Beatles-Lied "Lucy in the Sky with Diamonds" lief, als die Ausgräber die ersten Knochen fanden.

Der Oberarmknochen hat scharfe Bruchkanten, die kleinen Splitter sind immer noch an Ort und Stelle

Es sei schon ironisch, dass ausgerechnet Lucy, die im Zentrum der Debatte stand, welche Rolle das Balancieren in Bäumen beim Erlernen des aufrechten Gangs spielte, beim Sturz aus einem hohen Baum zu Tode kam, sagt John Kappelman. Sein Team hat Lucys Skelett Schicht für Schicht durchleuchtet. 35 000 Aufnahmen des zu 40 Prozent erhaltenen Skeletts entstanden so, die die Forscher zu einem 3-D-Modell zusammensetzten. Sie entdeckten dabei ungewöhnliche Frakturen. Das Ende des rechten Oberarmknochens etwa war gesplittert. Auf den Bildern sind scharfe Bruchkanten zu sehen, die kleinen Knochensplitter sind immer noch an Ort und Stelle. Solche Verletzungen treten typischerweise auf, wenn Menschen aus großer Höhe auf dem Boden aufschlagen.

Lange hatten Forscher geglaubt, dass die Schäden an den Knochen nach Lucys Tod auftraten. Erst die genaue Analyse löste das Rätsel um die Todesursache. Alle Knochenverletzungen lassen sich mit einem Sturz aus großer Höhe erklären: Frakturen in der linken Schulter, im rechten Sprunggelenk, im Becken, im rechten Knie, im Kiefer und am Schädel. Auch die erste Rippe ist gebrochen, "ein Kennzeichen eines heftigen Traumas", so Kappelman. Aufgrund ihrer Verletzungen, die auch innere Organe stark schädigten, starb Lucy wohl schnell.

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