Menschenwürde und Bioethik:Wolkig und brandgefährlich

Geht es um PID oder Embryonenforschung, ist meist schnell auch die Rede von der Menschenwürde. Doch was taugt dieser Begriff in der Bioethik? Darüber diskutierten Philosophen, Soziologen und Juristen auf der Konferenz "Menschenwürde in der Medizin - Quo vadis?".

Britta Verlinden und Ron Steinke

Es dauert kaum eine Minute und geschieht am dritten Tag nach der künstlichen Befruchtung. Ein Blick durchs Mikroskop zeigt einen Klumpen von vier oder acht Zellen in der Petrischale, durchsichtige Blasen auf wässrigem Grund. Mit einem Pipettengriff löst die Medizinerin eine Zelle aus dem Haufen heraus. So kann die Ärztin das Erbgut untersuchen. Entdeckt sie genetische Schäden, wirft sie die gesamte Petrischale weg.

Menschenwürde und Bioethik: Einem menschlichen Embryo wird eine einzelne Zelle entnommen. Das Erbgut dieser Zelle wird bei der PID überprüft.

Einem menschlichen Embryo wird eine einzelne Zelle entnommen. Das Erbgut dieser Zelle wird bei der PID überprüft.

(Foto: AP)

Doch was landet dann im Müll: biologisches Material, vergleichbar einer Hautprobe oder einem Blutstropfen? Oder doch ein erster kleiner Teilhaber an der Würde, die einer menschlichen Person zukommt?

In der Präimplantationsdiagnostik und der Embryonenforschung stellt sich der Rechtsbegriff der Menschenwürde, das höchste Gut in der deutschen Verfassung, regelmäßig wie ein Stoppschild in den Weg.

Und mit der fortschreitenden medizinischen Entwicklung wird die Frage noch dringlicher werden, wo dieses Schild zu stehen hat. Zumindest das war Konsens unter den Philosophen, Soziologen und Juristen, die sich am vergangenen Wochenende auf der Konferenz "Menschenwürde in der Medizin - Quo vadis?" am Zentrum für interdisziplinäre Forschung in Bielefeld trafen. Ein Mediziner saß nicht auf dem Podium.

Menschenwürde ist ein großes Wort, zugleich allerdings auch wolkig. So bringt die Frage nach seinem Inhalt Verfassungsrechtler seit jeher in Verlegenheit. Die Bonner Moraltheologin Heike Baranzke erinnerte daran, dass die Verfasser des Grundgesetzes dessen klangvollen ersten Satz bewusst nicht erklären wollten. Theodor Heuss sagte 1948 sogar, dass den Satz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde "der eine theologisch, der andere philosophisch, der Dritte ethisch auffassen" möge.

Spätere Definitionsversuche von Grundgesetzkommentatoren, so der Jurist Eric Hilgendorf, sind "mehr oder weniger Poesie" geblieben. Solange das aber so sei, warnte er, werde der Begriff der Menschenwürde in bioethischen Debatten gefährlich leicht instrumentalisiert. Er beklagte einen "inflationären Gebrauch" des Arguments der Menschenwürde.

Der Begriff führe womöglich nur dazu, dass einzelne Argumente mit folgenlosem Pathos aufgeladen werden, sekundierte der Bielefelder Philosoph Frank Dietrich. So hat sich etwa die Schweiz nicht bloß der Menschenwürde verpflichtet, sondern darüber hinaus auch noch der "Würde der Kreatur".

Großbritannien hingegen kennt das Rechtsprinzip der Menschenwürde überhaupt nicht. Dennoch verfolgen beide Staaten eine liberale Biopolitik, die menschliche Embryonen vergleichsweise leicht der Forschung preisgibt.

Dabei ist die Frage nach der Würde in der Medizin offenkundig; sie stellt sich nicht nur am Beginn und Ende des Lebens. Ein Arzt muss in seinem Patienten immer die Person, nicht bloß den Körper sehen.

Medizinstudenten lernen schon im ersten Semester, dass sie für jede Tablette und jeden Nadelstich die Einwilligung des Patienten brauchen. Wie also verträgt der Schutz der Würde sich damit, dass Patienten ans Bett geschnallt, ruhiggestellt oder zwangsernährt werden? Kann die Würde des Menschen den Arzt vielleicht sogar dazu zwingen, dem Patienten einen Wunsch abzuschlagen? Ist so etwas denkbar: ein unmoralischer, weil gegen die Würde verstoßender Wunsch?

In ihrem "Bielefelder Memorandum" plädiert die Forschergruppe um Hilgendorf für eine liberale Antwort auf diese Frage. Ein Patient dürfe von seinem Arzt sogar verlangen, sein Gehirn operativ oder medikamentös zu verbessern. Ebenso dürfe er sich - sobald dies medizinisch ohne größere Schädigungen möglich sein sollte - klonen lassen. Denn der Klon werde seine Existenz vermutlich seiner Nicht-Existenz vorziehen.

Die Würde ist hier Privatsache, eine soziale Dimension gibt es nicht. Das von der Forschergruppe vorgetragene Konzept sei zwar schlüssig, kommentierte der Berliner Philosoph Héctor Wittwer trocken, "aber fast alle dieser Thesen kann man auch ohne die Menschenwürde begründen", nämlich mit dem Prinzip der Selbstbestimmung.

Das geht manchem Juristen zu weit, der für bioethische Debatten lieber auf eine solide philosophische Grundlegung der Menschenwürde zurückgreifen würde - als ob es die gäbe.

"Die Menschenwürde ist kein Schatz, den die Moralphilosophen vergraben haben, damit ihn die Juristen mit Hacke und Spaten wieder ausheben", entgegnete der Bielefelder Philosoph Frank Dietrich. Vielmehr seien gleich mehrere Schätze vergraben worden - und die Entscheidung dafür, einen auszugraben, bleibe unausweichlich politisch.

Immanuel Kant zufolge komme einem Wesen erst Würde zu, wenn es vernunftbegabt ist. Ungeborenen, geistig Behinderten und schwer dementen Patienten würde eine solche Definition die Würde absprechen - weshalb Jan Joerden von der Europa-Universität Viadrina vor Kants Würdebegriff warnte: Besonders dort, wo menschliches Leben am verletzlichsten ist, sei er "brandgefährlich".

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