Süddeutsche Zeitung

Mensch-Rind-Mischwesen:Das Abstumpfungs-Experiment

Die in Großbritannien genehmigten Gentechnik-Versuche bieten wissenschaftlich nichts Neues. Ihre Bedeutung muss daher vor allem in der ethischen Grenzverletzung gesehen werden.

Werner Bartens

Ein Mensch mit einem Rinderschädel wird nicht entstehen - und auch keine Kuh mit einem Menschenkopf. Die geplanten Experimente britischer Forscher werden keine neuen Fabelwesen hervorbringen, wie sie seit jeher aus Mythen und neuerdings auch aus den Laboren mancher Biotechnologen bekannt sind. Die Wissenschaftler wollen "lediglich" Stammzellen für die Forschung züchten und sich dazu verschiedener tierischer Keimzellen bedienen - und englische Behörden erlauben es ihnen.

Zweierlei ist bemerkenswert. Zum einen: Immer diese Engländer! Das erste Retortenbaby, das erste Klonschaf, die erste künstliche Befruchtung, bei der die Zellen vorher einer Qualitätsprüfung unterzogen wurden. Es scheint, als ob das Volk der Seefahrer und Eroberer bei jeder biotechnologischen Grenzüberschreitung vorn mit dabei sein muss und alten Entdeckermut reaktiviert.

Es ist jedoch wohl auch die utilitaristische Haltung vieler Briten, die eine Mehrheit der dortigen Bevölkerung den Mensch-Tier-Versuchen zustimmen lässt: Die Experimente könnten mal medizinisch nützlich werden, die Forschung dürfe nicht zurückfallen - die übliche Akzeptanz-Rhetorik, die jedoch aus lauter ungedeckten Wechseln auf die Zukunft besteht.

Bemerkenswert ist zudem, dass die Versuche wissenschaftlich nichts Neues bieten. Experten bezeichnen sie gar als unzeitgemäß. Ihre Bedeutung muss daher vor allem in der ethischen Grenzverletzung gesehen werden. Womöglich soll die Bevölkerung an derart hybride Experimente gewöhnt werden, soll abstumpfen gegenüber den Ungeheuerlichkeiten aus dem Labor. Dann ist die Empörung nicht so groß, wenn die nächste ethische Grenze eingerissen wird.

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Quelle:
SZ vom 6.9.2007
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