Die Hörner der Wasserbüffel krachen aufeinander. Von Stehrängen in Arenen aus Holz aus beobachten die Menschen die Tiere. Minutenlang ziehen sich die Kämpfe hin, bis die Büffel erschöpft zusammenbrechen - und am Ende mit einem gezielten Schnitt durch die Kehle getötet werden. Für außenstehende Besucher solcher Rituale mag das brutal wirken. Solche Zeremonien wie die der Toraja sind in vielen traditionellen Gesellschaften im gesamten süd- und südostasiatischen Raum bis heute üblich. Sie sind bei den teilweise bis heute relativ isoliert lebenden Gemeinschaften seit Jahrhunderten Teil aufwendiger Begräbniszeremonien.
Archäologen und Archäologinnen wie Maria Wunderlich beschäftigen sich aus ethnographischem Interesse mit den alten Kulturen Süd- und Südostasiens, natürlich. Sie hoffen aber auch, auf diesem Weg etwas über jungsteinzeitliche Megalithkulturen in Mitteleuropa zu lernen, vor allem über die mit ihnen verknüpften sozialen Strukturen und Rituale. Offenbar gibt es nämlich eine Verbindung zwischen dem Bau von Megalithdenkmälern und großen Feiern - zumindest beim Volk der Naga, das in einer abgelegenen Bergregion im Nordosten Indiens und im Norden Myanmars lebt und bis vor wenigen Jahrzehnten gewaltige Steinmonumente rund um ihre Dörfer platziert hat. Darüber berichtet die Kieler Archäologin nun in einer im Fachmagazin Plos One erschienenen Fallstudie.
Im Nagaland haben zwar viele Einwohner seit der zwischenzeitlichen Zugehörigkeit zum britischen Empire den christlichen Glauben angenommen, doch die alten Traditionen werden dort noch immer in Geschichten überliefert. Im Nagaland gab es zwar keine Kämpfe zwischen Wasserbüffeln wie bei den Toraja. "Wasserbüffel wurden dort bis vor Kurzem noch im Rahmen solcher Feste teilweise in größerer Zahl geschlachtet", sagt Maria Wunderlich von der Universität Kiel. Die Feste feierten die Bewohner der Dörfer immer dann, wenn sie große Steine im Dorf und an seinen Zufahrtswegen aufstellten.
Mit jedem einzelnen Stein sind Geschichten verbunden
Die Gemeinschaften der Naga errichteten noch bis in die 1960er-Jahre gewaltige Objekte aus Stein, bis zu fünf Meter hohe Einzelsteine, aber auch Plattformen, Dolmen und lange Reihen aus hohen Steinen. "Diese Standsteine finden sich in großer Zahl zwischen und in den Terrassenfeldern", sagt Wunderlich. "An manchen Orten schließen sie sich wie in einer Kette aneinander an und gliedern die Landschaft der aufwendig gebauten Reisterrassen." Es sind Erinnerungsorte an ihre Erbauer und Orte des Gedenkens an verstorbene Familienangehörige.
In Gesprächen mit Einheimischen erfuhr die Archäologin, die im Jahr 2016 einige Monate mit den Naga verbrachte, dass mit jedem einzelnen Stein Geschichten verbunden sind. "Es sind Geschichten über den Erbauer, über verstorbene Verwandte, derer mit den Steinen gedacht wird, oder aber über die Steine selber", sagt Wunderlich. Die Steine sind unmittelbar mit dem Schicksal ihres Erbauers verknüpft, also mit einer einzelnen Person. Sie hatten darüber hinaus auch eine enge Verbindung mit der Dorfgemeinschaft als Kollektiv.
Die Bedeutung der Steine und Steinsetzungen wird auch in Mitteleuropa diskutiert, nicht nur an den großen Steinkreisen wie dem berühmten Stonehenge. Sehr wahrscheinlich war auch ihr Bau mit umfangreichen Festen verbunden. Es gibt weitere Parallelen: Auch einzelne Standsteine wie die berühmten französischen Menhire sind in Mitteleuropa gut bekannt. Ebenso wurden sogenannte Dolmen wie heute in Indonesien oder im Nagaland auch im Neolithikum Mitteleuropas vorrangig als Gemeinschaftsgräber gebaut.
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Um die komplexen sozialen Funktionen besser zu verstehen, versuchte Wunderlich auch den Ablauf der Rituale zu rekonstruieren, die mit dem Erstellen eines Monuments verbunden waren. Offenbar konnte ein Mitglied einer Dorfgemeinschaft der Naga gesellschaftliches Ansehen erlangen, indem es einen Stein aufstellte. "In der Regel war für die Errichtung nur eine Person verantwortlich", sagt Wunderlich. Sie war für sämtliche Kosten zuständig. "Nicht jeder Festgeber konnte sich diesen Aufwand leisten." Es gab offenbar verschiedene Festrituale, ein einfaches und ein aufwendiges, das bis zu einem Jahr dauern konnte und aus mehreren Zeremonien bestand. Welches Ritual der Erbauer wählte, hing von seinen Ressourcen und den gemeinschaftlichen Anstrengungen ab, insbesondere von Reis und den Tieren wie den Wasserbüffeln oder Schweinen, die nach der Zeremonie gemeinsam verspeist wurden.
Alle Männer des Dorfes halfen beim Transport
Üblicherweise kamen alle oder wenigstens der Großteil der männlichen Dorfbevölkerung zusammen, um beim Ziehen der schweren Steine zu helfen. Es ging dabei nicht nur um die tatsächlich benötigte Arbeitskraft, die ja nach Steingröße schwankte. "Das gesellschaftliche Ereignis als solches war so wichtig, dass alle teilnahmen und die Seile mindestens berührten, man könnte sagen: Der Weg war das Ziel", sagt Wunderlich.
Für den Transport nutzten die Naga meist aus Holz gefertigte Schlitten, banden die Steine darauf mit Seilen aus besonders widerstandsfähigen Pflanzenfasern fest. Die Steine selbst stammten aus der näheren Umgebung des Dorfes, sowohl aus Bachläufen wie aus dicht bewaldeten Gebieten. Die Dorfbewohner zogen sie querfeldein über die teilweise steilen Hänge. Die Gefahr war groß, dass ein Schlitten hier abrutschen konnte. Zahlreiche Menschen waren nur damit beschäftigt, den Stein auf Spur zu halten.
Beim Transport wurde auch das gesellschaftliche Prestige jedes Dorfmitglieds unmittelbar sichtbar: Hochangesehene Personengruppen wie Krieger und die Person, die das Fest zur Zeremonie ausrichtete, hatten ihre Position direkt vor dem Stein. Frauen und Mädchen durften lediglich zuschauen, jedoch nicht am Transport der Steine teilhaben. Die Festrituale selbst waren dabei offenbar für die Position im Dorf von zentraler Bedeutung. Die Hierarchien dieser Gemeinschaften waren extrem durchlässig; unabhängig von Geburt hatten die Dorfmitglieder umfassende Möglichkeiten, sich ihre soziale Position im Laufe ihres Lebens zu erarbeiten und etwa über ein Fest zu beeinflussen. Jedes Fest war im Nachhinein noch sichtbar, etwa über verzierte Pfosten am Haus. Oft wurden die Ausrichter auch Mitglieder in Dorfräten - eine noch heute wichtige Funktion in den weitgehend autonomen Dörfern der Naga.
Jagd auf die Köpfe von Rivalen sicherte Frieden zwischen den Dörfern
Wunderlich stieß im Rahmen ihrer Recherchen noch auf ein weiteres, aus westlicher Sicht zunächst irritierendes Ritual. Am Eingang des Dorfs entdeckte sie deutlich sichtbar aufgestellt stilisierte Köpfe, Gesichter flach in Stein gehauen. Auch an den Wänden mancher Wohnhäuser finden sich solche geschnitzten Gesichter. Es sind Spuren alter Kopfjagden, Symbole gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen zumeist jüngeren Männern unterschiedlicher Naga-Gemeinschaften, bei der die Enthauptung des Gegners eine wichtige Rolle spielte. "Die Kopfsteine symbolisieren die Köpfe getöteter Gegner", sagt Wunderlich. "Sie sollten einerseits Feinde abschrecken, repräsentierten aber auch das Ansehen eines Dorfs."
Auch an Hausfassaden finden sich bisweilen solche geschnitzten Köpfe. Sie können die Teilnahme an Kopfjagdzeremonien symbolisieren, die durch männliche Angehörige des Hauses erfolgte, so die Forscherin. Erfolgreiche Kopfjäger hatten hohes soziales Ansehen und ein Mitspracherecht in Dorfangelegenheiten. Das brutale Ritual hatte nämlich ein zentrales Ziel: Es sollte die Gewalt zwischen den Dörfern reduzieren. "Erbeutete Köpfe wurden nach ritueller Behandlung im Dorf zur Bestattung an das Opferdorf zurückgegeben, der Vorgang hatte also durchaus etwas Vereinbartes", sagt Wunderlich. Als die britische Kolonialmacht die "Kopfjagd" im 19. Jahrhundert verbot, hatte dies nicht nur positive Folgen: Die Zahl der Morde und anderer Gewaltdelikte schnellte in der Region in die Höhe. Die alte, regulierte Gewaltkontrolle griff nicht mehr, bei der die Kopfjäger durch ihre Strafaktionen für Ordnung sorgten.
Es sei immer schwierig, solche Rituale und generell die Erkenntnisse auf europäische Orte zu übertragen, sagt Wunderlich. Wobei es auch in Europa "kopflose Bestattungen" gab, wie die Archäologin sagt. Doch Wunderlich betont auch: "Es geht bei unserer Forschung ausdrücklich nicht darum, die Erkenntnisse, die wir in Nordostindien gewonnen haben, einfach auf archäologische Fallbeispiele in Europa zu übertragen. Aber sie können unseren Erfahrungshorizont erweitern und vorgefasste Denkstrukturen hinsichtlich der Interpretation von Megalithbauten aufbrechen."