Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Rotierend ans Ziel

Von der Schildkröte bis zum Pinguin: Viele Meeresbewohner schwimmen im Kreis. Biologen suchen nach Erklärungen.

Von Tina Baier

Meeresschildkröten tun es, Haie tun es, und Pinguine tun es. Außerdem Wale und Seebären. Alle diese Tiere zeigen dasselbe merkwürdige Verhalten: Sie schwimmen im Kreis. Als Erstes ist es Tomoko Narazaki von der University of Tokyo bei Grünen Meeresschildkröten aufgefallen. Der Wissenschaftler, der gemeinsam mit mehreren Kollegen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift iScience über das erstaunliche Phänomen berichtet, wollte eigentlich das Orientierungsvermögen der Reptilien testen.

Dazu stattete er Weibchen, die gerade an ihrem Heimatstrand angekommen waren, um dort ihre Eier abzulegen, mit speziellen Sendern aus. Dann verfrachtete er die Tiere wieder zurück ins Meer, eines von ihnen Hunderte Kilometer weit. Alle Schildkröten fanden zurück. Mithilfe der Sender konnte Narazaki nicht nur verfolgen, welchen Weg die Reptilien nach Hause nahmen, die Tracker zeichneten jede Bewegung der Tiere räumlich und zeitlich auf.

"Als ich die Daten das erste Mal sah, traute ich meinen Augen nicht", sagt der Meeresbiologe: "Die Schildkröten kreiselten so regelmäßig, als wären sie Maschinen." Narazaki teilte seine Entdeckung mit Kollegen, die andere Tierarten mit denselben Sendern versehen hatten. Als die Forscher ihre Daten durchgingen, stellten sie fest, dass sich genau dasselbe Verhalten bei ganz verschiedenen Meeresbewohnern wiederholt: Statt einfach geradeaus zu schwimmen, ziehen sie oft Kreise im Wasser.

Tigerhaie vor Hawaii beispielsweise kreiseln vor allem tagsüber, und zwar in allen möglichen Wassertiefen. Sandbankhaie schwimmen dagegen am liebsten knapp über dem Meeresboden im Kreis. Dort jagen die Tiere auch ihre Beute. Hat das allgegenwärtige Gekreisel im Meer also etwas mit der Nahrungssuche zu tun?

Antarktische Seebären kreiseln nur am Tag

Dagegen spricht, dass Antarktische Seebären fast ausschließlich tagsüber im Kreis schwimmen, aber nachts auf die Jagd gehen. Und Pinguine ziehen ihre Kreise meist an der Wasseroberfläche, tauchen aber unter, um Fische zu fangen.

Narazakis Beobachtungen an Grünen Meeresschildkröten sprechen eher dafür, dass das merkwürdige Verhalten etwas mit der Orientierung im Meer zu tun haben könnte. "Es war auffällig, dass die Schildkröten vor allem an solchen Stellen im Kreis schwammen, an denen sie ihren Kurs korrigierten", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Veröffentlichung. "Nach intensivem Kreiselverhalten schlugen sie die richtige Richtung ein."

Narazaki vermutet, dass die Schildkröten während ihrer Kreiselbewegungen das Magnetfeld der Erde untersuchen. Schon länger ist bekannt, dass die Reptilien einen Magnetsinn haben, mit dessen Hilfe sie sich am Magnetfeld der Erde orientieren können. Diese Fähigkeit, die beispielsweise auch viele Zugvögel haben, ermöglicht es Grünen Meeresschildkröten, nach vielen Jahren im Meer zu genau dem Strand zurückfinden, an dem sie geschlüpft sind, um dort selbst ihre Eier abzulegen. Wie genau der Magnetsinn funktioniert, ist noch nicht bekannt, doch dass er existiert, gilt als sicher.

Möglicherweise haben die Kreiselbewegungen auch bei anderen Tierarten mit der Orientierung mithilfe des Erdmagnetfelds zu tun, spekulieren die Forscher in iScience. Biologen würden in diesem Fall von "Konvergenz" sprechen, was bedeutet, dass dasselbe Verhalten im Lauf der Evolution mehrmals bei ganz verschiedenen Tierarten entstanden ist, die nicht miteinander verwandt sind - eben weil es die optimale Methode ist, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

"Interessant ist, dass auch U-Boote im Kreis fahren, wenn sie geomagnetische Untersuchungen vornehmen", schreiben die Studienautoren. Dadurch werden die Messungen präziser. Genau das könnte auch der Sinn der tierischen Kreiselbewegungen sein: Die Meeresbewohner wollen ganz sicher gehen, dass sie auf Kurs sind.

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