Meeresbiologie:Todeswirbel im Atlantik

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Der Atlantische Ozean vor den Färöern. (Foto: REUTERS)

Sie sahen zunächst wie Messfehler aus: Im Atlantik haben Forscher 100 Kilometer breite Zonen entdeckt, die jedes Leben ersticken.

Von Gunnar Römer

Krasse Messwerte lassen Forscher gerne mal an ihrem Equipment zweifeln. So erging es auch dem Ozeanografen Johannes Karstensen vor gut acht Jahren auf einer Forschungstour im Atlantik, als seine Unterwassersonden extrem niedrige Sauerstoffwerte in einhundert Meter Meerestiefe anzeigten. 30 Tage lang lag der Wert bei nur 0,025 Prozent des üblichen Wertes. "Damals hielten wir das für einen Messfehler", sagt Karstensen, der am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel arbeitet.

Doch neuere Sensoren bestätigten den Sauerstoffmangel in der Tiefe, und weitere Messungen zeigten, wie weit sich die fast sauerstofflosen Wassermassen ausbreiten. Insbesondere im tropischen Atlantik vor Westafrika beobachteten die deutschen Forscher permanent mindestens zwei oder drei annähernd sauerstofffreie Wirbel mit 100 bis 120 Kilometern Durchmesser, die sich bis in 150 Meter Wassertiefe ausdehnen. Jeden Tag wandern sie etwa fünf Kilometer weiter Richtung Westen. Sie können für einige Monate, aber auch jahrelang durch den Atlantik wandern, ehe sie zusammenfallen und sich mit dem Umgebungswasser vermischen.

100 Kilometer weite und bis zu 150 Meter tiefe Strudel bewegen sich gemächlich durch das Meer

Fische können in diesen Zonen nicht leben. Bereits ab Werten von unter einem Milliliter gelöstem Sauerstoff pro Liter Seewasser vermeiden Fische die Gegend. "Wir konnten in den Todeszonen 40-fach niedrigere Konzentrationen feststellen", sagt Karstensen. Vor rund zehn Jahren begannen er und seine Kollegen mit Analysen der biologischen, physikalischen und chemischen Gegebenheiten im Nordatlantik nahe der westafrikanischen Küste. Diese Region galt bisher als wenig erforscht.

Wirbel sind generell keine Seltenheit in den Ozeanen. Besonders häufig entstehen solche Turbulenzen in Regionen mit großen Temperaturunterschieden zwischen Wasserschichten und unterschiedlichen Strömung. Nur werden die allerwenigsten davon zur sauerstofflosen Todeszone. Die Meeresforscher vermuten, dass im Meer ähnliche Prozesse ablaufen wie in einem überhitzten und überdüngten See im Sommer. Nährstoffe werden durch die Wasserbewegung aus der Tiefe in die sonnendurchfluteten Oberschichten des Meeres transportiert. Im Frühling wärmt sich das Wasser stark auf. "Ideale Bedingungen für einen reichen Zuwachs an Pflanzen und Plankton", erklärt Karstensen. Unter ungünstigen Bedingungen führe das schließlich zum "Umkippen" von Gewässern: Abgestorbene Biomasse sinkt ab und wird von Mikroorganismen abgebaut. Sie verbrauchen dabei immer mehr Sauerstoff, von dem es aber keinen Nachschub gibt. Und die schnelle Strömung am Außenrand des Wirbels wirkt wie eine unüberwindliche Barriere für das sauerstoffreiche Wasser der Umgebung. So entsteht vorübergehend eine nahezu sauerstofffreie Todeszone.

Stößt ein Wirbel an die Küste, dann kann er zur Todesfalle werden

Weil sich die Wirbel immer wieder auflösen, gibt es keine Organismen, die sich an diese unwirtlichen Lebensbedingungen angepasst haben. Anders sieht es im östlichen Pazifik aus. Dort sind Regionen bekannt, die seit Millionen Jahren frei von Sauerstoff sind. Hier konnten sich die Lebewesen an diesen extremen Ort anpassen. So ist zum Beispiel eine Krakenart bekannt, die sich in diesen Zonen kurzzeitig vor ihren Fressfeinden verstecken kann.

Unklar ist, ob auch das regelmäßige Fischsterben vor der Küste Westafrikas mit den Todeswirbeln in Zusammenhang steht. Regelmäßig bekommen die Forscher aus Schleswig-Holstein Meldungen über große Mengen toter Fische, die an die Küsten des Inselstaates Kap Verde angespült werden. Stößt ein Wirbel an die Küste, könnten Fischschwärme in die Falle geraten. Sie hätten dann keine Chance mehr, dem sauerstoffarmen Wasser zu entkommen. Karstensen will nun Satelliten- und Sensordaten sowie Meldungen von den Inseln auswerten, um das als "sudden fish death" bekannte Phänomen aufzuklären.

Der Kieler Forscher und seine Kollegen bringen dazu Messgeräte im Meer aus, die anderthalb Jahre lang Wassergeschwindigkeit, Trübung, Temperatur, Chlorophyll, Salz- und Sauerstoffgehalt erfassen. Im vergangenen Jahr entwickelte das Geomar-Institut zudem den Prototyp eines Alarmsystems, das anspringen soll, wenn Wasserwirbel entstehen. Auch mithilfe von Tiefseedrohnen und Unterwasserrobotern wollen die Wissenschaftler mehr über die seltsamen maritimen Erscheinungen und deren Auswirkung auf das Ökosystem Weltmeer herausfinden.

In einer Sache immerhin herrscht bereits heute Klarheit: Die sauerstoffarmen Zonen sind keine Folge des Klimawandels. Allerdings könnte sich dieser auf die Größe der Wirbel auswirken. "Durch die Erderwärmung steigt auch die Temperatur der Weltmeere. Warmes Wasser kann weniger Sauerstoff aufnehmen, die sauerstofflosen Wirbel könnten sich also künftig noch vergrößern", vermutet Hans-Otto Pörtner, Biologe am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Karstensen glaubt auch nicht, dass andere menschliche Einflüsse zur Entstehung der Todeszonen beigetragen haben. "Es muss sie schon immer gegeben haben", sagt er. "Wir haben sie bislang einfach übersehen."

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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