Das kleine Wesen hatte schnell einen Spitznamen: Casper. Wie es da so saß, allein auf der Felsplatte in 4290 Metern Tiefe, wie es dem U-Boot gelassen entgegensah, das erinnerte wohl viele an das freundliche kleine Gespenst aus dem Hollywood-Film. Wie dieses ist auch der Tiefsee-Casper kalkweiß, fast transparent und scheint von innen beinahe zu leuchten. Allerdings endet der kleine Körper nicht in einem Zipfel sondern in acht Fangarmen, zwischen denen sich Schwimmhäute spannen.
Auf einem anderen Bild hat der nur etwa zehn Zentimeter große Oktopode 30 fingergliedgroße Eier an den abgestorbenen Stängel eines Schwammes geklebt und sich selbst zum Schutz um das Gelege geschlungen. "Das Tier bleibt dort ohne zu fressen, bis die Kleinen schlüpfen", sagt Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. "Das dürfte mindestens vier Jahre dauern. Dann ist das Elternteil nur noch ein dünnes Häutchen und stirbt ab." Die Tiere in mehr als vier Kilometern Tiefe zu sehen, sei nicht nur ein neuer Rekord, sagt Boetius. "Wir wussten auch nicht, dass sie so brüten. Offenbar ist das eine gute Strategie, Nachkommen durchzubringen. Wenn man in der Tiefsee mal genügend Energie für Eier hat, beschützt man sie besser mit seinem Leben."
Wie lange das Brüten dauert, hat die Wissenschaftlerin aus Beobachtungen von Kollegen in Kalifornien hochgerechnet. Vor Monterey hatten Forscher ein Tier 18-mal innerhalb von viereinhalb Jahren in 1400 Metern Tiefe besucht, bis die Kleinen endlich geschlüpft waren - und die Mutter vermutlich an Entkräftung starb. "In vier Kilometern Tiefe sind die Bedingungen noch härter, es könnte also auch länger dauern", sagt Boetius.
Doch kaum entdeckt, sind die kleinen Tiefseekraken schon wieder bedroht, sie könnten bald einen Großteil ihres Lebensraums verlieren. Die Schwämme, an deren Stängel die kleinen Oktopoden ihre Eier kleben, wachsen nämlich nur auf kleinen harten Knollen oder Felskrusten. "Und diese Knollen sind wegen der enthaltenen Metalle interessant für Bergbau-Unternehmen", sagt Autun Purser vom AWI, Leitautor der Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Current Biology. "Werden sie entfernt, gerät der Lebenszyklus dieser Oktopoden in Gefahr."
In der Tat erforschen etliche Firmenkonsortien und Staaten in einem großen Bereich von der mexikanischen Westküste bis Hawaii, wie sich die sogenannten Manganknollen ernten lassen. Wie langsam sich die Lebensgemeinschaften am Meeresboden von solchen Eingriffen erholen, haben unter anderen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts während einer Expedition mit dem Forschungsschiff Sonne in den Pazifik vor Ecuador belegt. Dort hatte ein anderes deutsches Schiff bereits im Jahr 1989 den Meeresboden aufgepflügt - 26 Jahre später war das Leben kaum in die Spuren zurückgekehrt. Ein großflächiger Meeresbergbau könnte Casper also an den Rand des Aussterbens bringen.