Medizinische Forschung:Bedenkliche Patente

Mit öffentlichen Geldern gelingen Universitäten medizinische Entdeckungen - die sie mitunter an die Pharmaindustrie verkaufen. Gegen diese Praxis regt sich zunehmend Unmut.

Birgit Herden

Vor drei Jahren behandelten Ärzte am Institut für Virologie der Charité in Berlin einen Patienten mit untypischem Befund. Der Mann zeigte Symptome einer akuten Hepatitis-Infektion, doch der Test war negativ. Die damalige Assistenzärztin Anne-Sophie Endres untersuchte das Blut des Patienten schließlich mit einer gentechnischen Methode. Mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion fand sie mutierte Hepatitis-B-Viren, die der kommerzielle Test nicht erkannt hatte.

Ihre Entdeckung hat Endres jedoch nie veröffentlicht oder in Vorträgen berichtet. Sie unterschrieb ein Stillschweige-Abkommen, und die Charité verkaufte ihre Entdeckung für 10.000 Euro an den Hersteller des Hepatitis-Tests. Die Virologin erhielt 1000 Euro Patentgebühren. Was aus ihrer Entdeckung geworden ist, hat sie nie erfahren. "Dabei kommen solche mutierten Hepatitis-Viren vor allem in Entwicklungsländern vor", sagt Endres heute: "Hätte ich das Ergebnis veröffentlicht, hätten es viele Firmen dort anwenden können."

Ob die Patentierung solcher medizinischer Forschungsergebnisse dem Wohl der Menschheit dient, darüber ist erneut eine Debatte entbrannt. Patente helfen Pharmaunternehmen, ihre Investitionen zu verwerten und treiben so den medizinischen Fortschritt voran. Andererseits verhindern sie in ärmeren Ländern den Zugang zu nötigen Technologien und machen neue Medikamente oft unerschwinglich. Nun haben die Technologie-Manager führender US-Universitäten eine Erklärung unterzeichnet, laut der sie sich für eine gerechte Verteilung medizinischer Technologien einsetzen wollen. Die Universitäten sollen auf Patente verzichten und möglichst viel Wissen über Publikationen verbreiten.

In Deutschland macht sich die Initiative "med4all" dafür stark, dass Universitäten und Max-Planck-Institute Bedingungen an eine Patentvergabe knüpfen, die eine sozialverträgliche Verwertung sichern. Die Idee solcher "Equitable Licenses" entstand bereits im Jahr 2001 in den USA. Damals bat die Organisation Ärzte ohne Grenzen um eine freiwillige Lizenz für den Wirkstoff d4T, um ein Aids-Medikament billig herstellen zu lassen. Der Wirkstoff war an der Yale University entwickelt worden. Diese weigerte sich aber, da sie das Patent an Bristol-Myers-Squibb verkauft habe. Nach Protesten von Studenten und einer öffentlichen Debatte verzichtete Bristol-Myers-Squibb auf die Verwertungsrechte in Afrika.

Seither ist der Preis für HIV-Medikamente in armen Ländern stark gefallen. Auch wenn viele lebensrettende Medikamente noch immer von Patenten geschützt werden, haben Unternehmen unter dem öffentlichen Druck inzwischen ein gestaffeltes Preissystem eingeführt. So verkauft etwa Boehringer Ingelheim eine Tagesdosis Viramune in Deutschland für elf Euro. In Ländern mit mittlerem Einkommen verlangt die Firma dafür 1,58 Euro, in den ärmsten Ländern nur 78 Cent. In Afrika geben Unternehmen laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) HIV-Medikamente mittlerweile zum Selbstkostenpreis ab. "Ob es wirklich der Selbstkostenpreis ist, kann aber niemand überprüfen", sagt Peter Tinneman, der an der Charité das Projekt Internationale Gesundheitswissenschaften koordiniert.

Indien ist die Apotheke der armen Welt

Die günstigsten Medikamente stammen ohnehin aus Indien. In dem Land fehlte bis vor einigen Jahren ein Patentrecht - auf der anderen Seite existiert eine leistungsfähige Industrie, die günstige Generika produziert. Indien ist so zur Apotheke der armen Welt geworden. Die Pharmabranche betrachtet das Land deshalb mit zwiespältigen Gefühlen.

Zum einen ist Indien mit einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen ein wichtiger zukünftiger Markt. Auf der anderen Seite könnten die vielen Nachahmerprodukte aus dem Land das Geschäftsmodell der Pharmaindustrie zerstören. "Wer hat denn in der Vergangenheit die Medikamente entwickelt und zur Marktreife gebracht? Das waren immer die Pharmafirmen", argumentiert Thom.

Dem widerspricht Tinnemann: "Von den Forschungsausgaben für neue Medikamente werden 41 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert." Daraus leitet er eine moralische Verpflichtung ab, die Resultate auch zum Wohl der gesamten Menschheit zu verwerten. Der Bonner Virologe Christian Drosten ist dieser Idee gerade gefolgt. Er hat an der Universität in Bonn mit seiner Arbeitsgruppe einen neuen Test auf Hepatitis C entwickelt und frei zur Verfügung gestellt.

Eigentlich steht das gesamte Genom des Virus unter Patentschutz, und ein Test kostet in Brasilien beispielsweise nehr als 100 Dollar. Drosten fand aber einen Genbereich, der bei der ursprünglichen Sequenzierung übersehen worden war, sein Test beruht nun auf diesem Abschnitt. "Wir hätten gute Chancen auf ein Patent gehabt, doch es wäre mit hohen Kosten und Rechtsstreitigkeiten verbunden gewesen", sagt Drosten. Der Wissenschaftler entschied sich Anfang des Jahres, das Know-How für den Test in dem frei zugänglichen Online-Magazin PloS Medicine zu veröffentlichen. Zudem schickte er an jedes interessierte Labor die nötigen Kontrollreagenzien. "Mehrere Firmen aus Brasilien und Indien haben inzwischen bei uns angefragt", sagt Drosten.

Nach seiner bisherigen Erfahrung aus früheren Patentierungen sei das die sicherste Möglichkeit, um für eine breite Anwendung zu sorgen, sagt Droste. Mit dem Hepatitis-C-Virus sind etwa 170 Millionen Menschen weltweit infiziert. Eine Hauptansteckungsquelle sind Blutkonserven. Ärmere Länder können es sich oft nicht leisten, die Blutkonserven zu prüfen - mit dem neuen Test könnte sich das nun ändern.

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