Eine Hammergeschichte: Sildenafil - besser bekannt als Viagra - hilft womöglich gegen Alzheimer. Damit ließen sich zwei Alterserscheinungen, von denen die eine lästig und einschränkend ist, während die andere das Leben komplett umkrempelt, mit der Potenzpille beheben. Das Alter verlöre, zumindest für manche Männer, wohl einen Teil seines Schreckens, ließen sich ein klarer Verstand und ein im Bedarfsfall hartes Glied möglichst lange bewahren.
Die Studie, die solche Männerfantasien anregt, ist im Fachblatt Nature Aging erschienen, das zumindest mit Nature einen prominenten Vornamen trägt. Die Wissenschaftler aus Cleveland hatten Daten von mehr als 7,2 Millionen Versicherten analysiert und in einer Modellrechnung ermittelt, dass Viagra das Risiko für Alzheimer um 69 Prozent vermindern könne. Dazu identifizierten sie zunächst die für Alzheimer im Tiermodell typischen Veränderungen der Gene und Proteine.
Mittels Computeranalyse wurde dann errechnet, welches von mehr als 1600 getesteten Medikamenten am stärksten mit den Veränderungen interagierte. Einen möglichen Mechanismus liefern die Forscher um Jiansong Fang gleich mit, schließlich habe sich in Zellversuchen gezeigt, dass Sildenafil das Wachstum von Nervenzellen anregen und die Ablagerung alzheimertypischer Proteine hemmen könne.
Bleibt die Frage, warum Studien veröffentlicht werden
Die Untersuchung weist allerdings - freundlich ausgedrückt - einige Schwächen auf. Erstens: Die Wissenschaftler beschreiben in ihrer Studie lediglich eine Korrelation. "Das begründet noch keine Kausalität, dazu sind kontrollierte randomisierte Studien nötig", wie die Forscher selbst zugeben. Zweitens betrug der Beobachtungszeitraum sechs Jahre, was für eine lange fortschreitende Erkrankung wie Alzheimer-Demenz kurz ist. "Sie haben es nicht geschafft, mich in Aufregung zu versetzen", sagt Robert Howard, Experte für Alterspsychiatrie am University College London.
Zudem sollte man drittens bedenken, "welche Männer wegen erektiler Dysfunktion zum Arzt gehen, die unterscheiden sich bereits von jenen, die prä-symptomatisch von Alzheimer betroffen sind". Viertens könnten Unterschiede in Einkommen und Bildung die Differenzen erklären, schließlich geht die Zugehörigkeit zu einer sozioökonomisch höheren Schicht mit höherem Viagra-Konsum wie auch mit geringerem Alzheimer-Risiko einher.
Tara Spires-Jones, Neuroforscherin an der Uni Edinburgh, führt weitere Mängel auf. So sei - fünftens - bekannt, dass Versicherungsdaten oft ungenau seien. In der Studie würde beispielsweise nichts über weitere Risikofaktoren für Alzheimer aufgeführt. Sechstens haben Frauen ein größeres Risiko für Alzheimer; ihr Anteil an der Studie war naturgemäß gering. Siebtens sei bereits bei beginnender Demenz die Libido verringert, sodass Betroffene seltener Viagra nachfragen, was die Studie verzerren könne. "Die Daten mögen wissenschaftlich interessant sein, aber ich würde jetzt nicht los und Sildenafil nehmen, um Alzheimer zu verhindern", dämpft Spires-Jones die Euphorie.
Bleibt die Frage, warum Studien veröffentlicht werden, wenn die Daten so fehleranfällig sind. Randy Schekman, Medizin-Nobelpreisträger 2013, hatte seinerzeit beklagt, dass "Luxus-Journale" wie Nature, Science und Cell zwar "als Speerspitze wissenschaftlicher Qualität" gelten, aber Artikel oft nur deshalb bringen, weil sie populäre Fragen "sexy" zuspitzen. Als Viagra für die erschlaffte Leserschaft womöglich?