Elaine Bromiley muss ersticken, weil Menschen einander nicht zuhören. 200 Milligramm Narkosemittel fließen in das Blut der Patientin auf dem OP-Tisch, ihre Augenlider klappen zu, und die Lunge steht. Nun müssten die Ärzte Bromileys Körper mit Sauerstoff versorgen, doch der Beatmungsschlauch erreicht die Luftröhre nicht. Die Anästhesisten winden und mühen sich, am Monitor stürzt die Kurve der Sauerstoffsättigung ab, Kohlendioxid flutet Elaine Bromileys Körper. Die OP-Assistentinnen raten zu einem Luftröhrenschnitt, doch die Ärzte hören nicht hin, der lebensrettende Rat verhallt - und die Frau stirbt.
Martin Bromiley, der Ehemann von Elaine, will trotzdem nicht die behandelnden Ärzte verklagen. Ihm ist wichtiger, dass Ärzte von dem lernen, was geschehen ist. Er ist Pilot und kennt ganz ähnliche Situationen aus dem Cockpit. Er kennt die Frage, ob und wann der Co-Pilot eingreifen sollte, wenn sich der Chef von seinem rangniederen Kollegen nichts sagen lassen will und so die Kiste in Richtung Absturz lenkt. Bromileys Vision lautet: Piloten wie Mediziner müssen besser kommunizieren, um Fehler zu vermeiden.
In Seeheim, eine halbe Autostunde vom Frankfurter Flughafen entfernt, hat die Lufthansa ein Kongresshotel im Business-Class-Look in den Wald gezimmert, die Essenausgaben heißen hier Gates, das Personal trägt Uniform, und an den Snackbars trinkt man wie im Terminal aus Pappbechern. Im Seminarraum 2023 im Untergeschoss, die Tische weiß, die Wände grau, der Himmel irgendwas dazwischen, haben die Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken ein gutes Dutzend Ärzte und Krankenpfleger aus ganz Deutschland eingeladen, um zwei Tage über die Frage zu sprechen, wie die Hoffnung von Martin Bromiley in Erfüllung gehen könnte.
"Basic Competence for Optimum Care"
Komplikationen in der Medizin wie in der Luftfahrt haben ihren Ursprung häufig in etwas zutiefst Menschlichem: in der Sprache, in fehlerhafter Kommunikation. Im Cockpit herrschen ähnliche Bedingungen wie am OP-Tisch: kleine Fehler, große Wirkung. Kleiner Assistent, großer Chef. "Wo du grad sitzt, liegt normalerweise meine Mütze." Das ist so ein alter Pilotenspruch, der die einst nahezu militärische Hackordnung im Cockpit illustriert. Junge Piloten hören ihn heute glücklicherweise nur noch selten. Das mag daran liegen, dass Airlines ihre Mitarbeiter gründlich schulen, es nennt sich "Human Factor Training". Auch die Lufthansa unterrichtet ihre Mitarbeiter darin - und öffnet nun die Türen für andere Berufsgruppen, zum Beispiel Ärzte. Man wolle, heißt es, die Erfahrung weitergeben, andere können profitieren. Und klar, Geld lässt sich damit auch ganz gut verdienen, ein Seminarwochenende inklusive Übernachtung kostet um die 700 Euro pro Person.
Die Trainer an diesem Tag, A340-Pilot Patrick Fritsch sowie Matthias Münzberg, Oberarzt an der BG-Klinik Ludwigshafen, fragen die Teilnehmer, Unfallchirurgen, Orthopäden und OP-Pflegedienstleitungen nach einem "kollegialen Du", einfach weil's "einfacher ist". Dann beginnt die erste Lerneinheit, die sie Unit nennen: "Basic Competence for Optimum Care".
Und ja, die Laune der Trainer ist an diesem Vormittag so artifiziell-amerikanisch-locker, dass es fast anstrengend wirkt. Doch das kommt an, Seminaratmosphäre lebt von Gruppendynamik, und die Kliniker rücken spätestens dann die Rücken gerade, als klar wird, dass Rollenspiele ausbleiben. Und Gruppenübungen, versprochen, stehen nur wenige auf dem Programm. Der Tag beginnt mit der Geschichte von Elaine Bromiley und der Frage, wie man mit guter Kommunikation ihren Tod hätte verhindern können.
Der Luftröhrenschnitt ähnelt der Notlandung nach Druckabfall im Flieger, nicht alltäglich, aber durchaus zu meistern. Es gibt im Cockpit eines Flugzeugs für fast jeden Notfall eine Checkliste, die Piloten handeln nicht nach Bauchgefühl, sondern nach einer festgelegten Prozedur. In der Medizin heißt der Druckabfall dann "can't intubate, can't ventilate": Der Tubus sitzt nicht, die Patientin atmet nicht. Was im Fall von Elaine Bromiley fehlte, war die Notfall-Checkliste, die richtigen Worte, die richtigen Entscheidungen. Man sagt in der Anästhesie, ein Patient stirbt nicht daran, dass man ihn nicht intubieren kann, sondern daran, dass man nicht aufhört, ihn intubieren zu wollen.
Also, was tun? Es geht um klare Absprachen, um Kommunikation auf Augenhöhe, um Zuhören, nicht nur um Aussprechen. Es geht um eine Sicherheitskultur, also darum, Fehler durch gemeinsame Entscheidungen zu reduzieren, brenzlige Situationen zu erkennen, zu meistern, besser noch, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.
Als Beispiel aus der Fliegerei steht hierfür exemplarisch der sogenannte Kathmandu-Anflug, also die knifflige Aufgabe, einen 200 Tonnen schweren Jumbo zielgenau zwischen Aufwinden und Felsklippen auf die Landebahn zu setzen. Weil Kathmandu von Bergen umstellt ist, erreichen in diesem Beispiel die Signale der Flughafens nicht das Flugzeug. Der Kapitän bleibt im Sinkflug, nur dass zwischen ihm und der Landebahn jetzt eine Felswand liegt. Der Co-Pilot erkennt den Fehler und spricht ihn an. Reaktion des Chefs: keine. Der Co-Pilot, mit Blick auf den Tod, ergreift die action, sie sagen das wirklich so, lässt den Flieger steigen, und die Bergspitze sieht nur noch den Rumpf der Maschine. Der Kapitän sagt, als die Maschine schließlich am Boden steht, nur ein Wort: Danke.