Medizin-Nobelpreis 2010:Vater von vier Millionen Kindern

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Robert Edwards hat die künstliche Befruchtung erfunden - und erhält dafür 32 Jahre später den Nobelpreis. Für seine Vision, der Natur bei der Kinderzeugung nachzuhelfen, stritt er mit dem Vatikan.

Christina Berndt

Als Mann mit Visionen wusste Robert Edwards immer, was auf ihn zukommen würde. Er stritt mit dem Vatikan, er ließ sich auf der Straße beschimpfen, er stellte sich aufgebrachten Politikern. Für seine Vision, der Natur bei der Zeugung von Kindern außerhalb des Körpers nachzuhelfen, nahm er all das bewusst in Kauf. Dass er dafür eines Tages die höchste Auszeichnung seines Fachs bekommen würde, auch damit hatte er gerechnet, wenngleich Robert Edwards, der seit gestern als Medizinnobelpreisträger des Jahres 2010 feststeht, darauf erheblich länger warten musste als auf die Kritik.

File picture shows the world's first 'test tube baby' Britain's Brown listening as Professor Edwards addresses the media in Cambridgeshire

Louise Brown, erstes Retortenbaby der Welt, und ihr wissenschaftlicher Vater Robert G. Edwards. Der Brite wird für die Entwicklung der künstlichen Befruchtung mit dem Nobelpreis in Medizin ausgezeichnet.

(Foto: Reuters)

Erst letzte Woche hat Edwards seinen 85. Geburtstag begangen - schwer krank in einem britischen Seniorenheim. Über 30 Jahre liegt der größte Tag seiner Karriere zurück. Das war der 25. Juli 1978, der Tag, an dem Louise Brown das Licht der Welt erblickte.

Auch wenn Robert Edwards nicht Louises leiblicher Vater ist, so steht doch fest: Ohne ihn wäre sie nicht geboren worden. Louise ist das erste Retortenbaby der Welt, das erste Kind, das nicht durch Sex gezeugt wurde. Vielmehr brachten Edwards und sein Mitstreiter Patrick Steptoe das Sperma ihres Vaters mit Eizellen der Mutter in einem Laborgefäß zusammen, ließen daraus einen Embryo heranwachsen und pflanzten diesen der Mutter in den Bauch, um ihr dann den Rest der Aufgabe zu überlassen. Zuvor hatten die Forscher in jahrelanger Kleinarbeit und unzähligen missglückten Versuchen herausgefunden, unter welchen Umständen und zu welchem Zeitpunkt ihr Baby-Experiment glücken könnte.

Pathetisch könnte man sagen: Edwards und der vor über 20 Jahren verstorbene Gynäkologe Steptoe sind Väter von mehr als vier Millionen Babys. So viele wurden durch ihre Technik der Reagenzglasbefruchtung bis heute gezeugt, auch In-vitro-Fertilisation (IVF) genannt.

Robert Edwards habe ein neues Feld der Medizin eröffnet, lobte das Nobelkomitee am Montag in Stockholm. Er habe es von den Anfängen bis zu einer modernen Therapie hin fortentwickelt. "Heute ist Robert Edwards' Vision Wirklichkeit und bereitet kinderlosen Menschen in der ganzen Welt Freude", sagte Christer Höög von der Nobel-Versammlung. Edwards' Entdeckung sei ein "monumentaler medizinischer Fortschritt, von dem man gewiss sagen kann, dass er zum größten Nutzen der Menschheit ist". Mehr als zehn Prozent aller Paare weltweit seien ungewollt kinderlos.

Dass er mit seiner Arbeit nicht bei jedem auf Begeisterung stoßen würde, war Edwards von Anfang an klar. Doch er nahm den Widerstand nicht nur in Kauf; er fachte ihn sogar an, indem er schon Jahre vor der Geburt von Louise Brown in kritischen Artikeln ethische, religiöse und juristische Fragen aufwarf. Auch forderte er strenge ethische Richtlinien für die Arbeit mit menschlichen Keimzellen und Embryonen. Damit erntete Edwards erst einmal nur Gegenwind. Seine Arbeiten konnte er nur noch mit Hilfe privater Spenden fortsetzen, der britische Medical Research Council verwehrte ihm jegliche finanzielle Unterstützung.

Als Louise auf die Welt kam, brach ein Sturm der Entrüstung los. Ihre Geburt erschütterte das Selbstverständnis der Menschen. "Ein Schritt in Richtung Homunkulus" titelte der Spiegel; die Fortpflanzungstechnik schicke sich an, "Menschen einem alchimistischen Experiment zwischen Hoffnung und Horror zu überantworten". Im päpstlichen Osservatore Romano nannte der Erzbischof von Canterbury Edwards' und Steptoes Arbeit "das Werk des Teufels". Zugleich meldeten sich 5000 kinderlose Paare, weil sie auch so ein Baby wollten.

Schnell wurden weitere Retortenbabys geboren. Mehr als jedes hundertste Kind, das heute in Deutschland zur Welt kommt, wurde in der Kulturschale gezeugt. "Trotzdem hat der Papst bis zum heutigen Tag kein klares Ja zur IVF gesagt", so Christian Thaler, Leiter des Kinderwunschzentrums der Universität München. Die Wissenschaftler-Gemeinde habe schon lange auf den Nobelpreis für Edwards gewartet. "Man konnte den Eindruck gewinnen, dass erhebliche Interessen im Hintergrund diesen verhindert haben", sagt Thaler.

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