Medizintechnik:Der Roboter in mir

Medizin: Mini-Roboter für den menschlichen Körper

Im Vergleich mit einem Eincentstück sieht man, wie winzig der Milli-Roboter ist.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Forscher haben einen nur wenige Millimeter großen Roboter gebaut, der den menschlichen Körper bereisen soll. Dort könnte er Medikamente transportieren oder Tumorzellen verbrennen.

Reportage von Jan Schwenkenbecher, Stuttgart

Bewegungslos liegt das winzige, schwarze Silikon-Rechteck am Rand einer Petrischale, umzingelt von sechs Kupfer-Spulen, eine in jeder Richtung. Wenqi Hu nimmt in seinem schwarzen Kapuzenpulli auf einem Drehhocker Platz. Er rollt durch den Laborraum zu seinem PC, dann klickt er auf Start. Strom schießt durch die Spulen, zwischen ihnen poppt ein unsichtbares Magnetfeld auf. Und das Rechteck erwacht.

Es ist der jüngste Coup des Stuttgarter Max-Planck-Instituts (MPI) für Intelligente Systeme: ein Milli-Roboter. Wenqi Hu ist sein Schöpfer. Seit der Robotiker 2014 ans MPI kam, forscht er an dem nur 3,7 Millimeter langen und 1,5 Millimeter breiten Maschinenwesen. Legte man fünf Exemplare des staubkornkleinen Roboters hintereinander, wären sie immer noch kürzer als der Durchmesser eines Zwei-Cent-Stücks. In das Silikon des Roboters sind speziell ausgerichtete Eisenpartikel eingebettet, die das Magnetfeld nun in verschiedene Richtungen zieht.

Mit kleinen Schritten macht sich der Roboter auf den Weg, die Zukunft der Medizin zu verändern

Der rechteckige Roboter krümmt sich zu einem stehenden Rundbogen. Dann hebt er sein vorderes Ende an, schiebt es ein kleines Stück vor, setzt es ab und zieht das Hinterteil nach. Jeden Bewegungsschritt steuert das wechselnde Magnetfeld. Hu hat die Abfolge programmiert. Sie läuft jetzt als Dauerschleife, und der Roboter marschiert im Takt. Wie eine Raupe macht er sich in kleinen Schritten auf den Weg zum anderen Ende des Plastikgefäßes. Man könnte durchaus sagen, dass er da gerade aufbricht, die Zukunft der Medizin zu verändern. In einigen Jahren soll der Roboter nicht im Labor, sondern im menschlichen Körper umherwandern und unter anderem helfen, Krebs zu heilen. Noch ist nach ein paar Zentimetern erst mal Schluss - der Roboter hängt am gegenüberliegenden Ende der Petrischale fest.

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Der Milli-Roboter ist beweglich. Enge Hindernisse, wie diese Glasröhre, sind kein Problem

(Foto: Max-Planck-Institut für intelligente Systeme)

Man kann darüber streiten ob ein Silikonstreifen mit implantierten Magneten als "Roboter" durchgeht. Mit jenen Artgenossen aus Terminator, Wall-E oder den neuesten, selbstfahrenden Staubsaugern hat das kleine Rechteck wenig gemein. Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz, für die auch Wenqi Hu im Dienst ist, sagt: "Es ist nur ein kleines, elastisches Blatt. Dazu gehört aber auch die umliegende Technik, die das Magnetfeld erzeugt. Versteht man das Ganze als zusammengehöriges System, kann man durchaus von einem Roboter sprechen."

Das Rechteck kann rollen, schwimmen, gleiten, springen und sogar klettern

Doch was ist so besonders an ihm? Er ist klein, aber es gibt schon kleinere Varianten im Mikro- oder sogar im Nano-Bereich. Am selben Institut haben Kollegen bereits 2015 einen 70 Nanometer langen Roboter entwickelt. Damit verglichen ist das neue Exemplar fast eine Million Mal so groß. Maschinell gefertigt könnte er zwar kleiner werden, bisher haben Hu und seine Kollegen jedes Exemplar von Hand gemacht. Nano-Größe wird dieses Konzept aber niemals erreichen. Dennoch hat die am MPI neu entwickelte Variante, über die Hu und seine Kollegen im Fachblatt Nature berichten, einen entscheidenden Vorteil.

"Alle anderen Kleinstroboter, die wir oder andere entwickelt haben, sind auf eine bestimmte Art der Bewegung spezialisiert", sagt Sitti. Manche können schwimmen, aber eben nur schwimmen. Oder kriechen, und nur das. "Unser Roboter ist der erste, der sich auf viele verschiedene Arten fortbewegen kann", sagt Sitti. Hu wechselt die Petrischale. In der zweiten liegt ein kleines Glasröhrchen, nicht dicker als der Strohhalm eines Trinkpäckchens. In der Röhre wartet ein zweites Roboter-Exemplar. Der Forscher schaltet am PC die Magnetfeld-Steuerung für Kriechen ein, und der Roboter schlängelt sich durch die Röhre. Dann tauscht Hu die Petrischale gegen ein kleines Wasserglas aus, auf dessen Boden ein weiteres Exemplar des Rechteck-Roboters liegt. Ein Klick und er klappt sich zu einem auf dem Kopf stehenden V zusammen und schlägt immer wieder seine beiden Enden gegeneinander. Stoß um Stoß schwimmt er vom Boden an die Oberfläche - pulsierend wie eine Qualle.

Im menschlichen Körper könnte der Roboter Krebszellen abtöten

Tatsächlich haben die Forscher die verschiedenen Bewegungsformen im Tierreich abgeschaut. Neben den Nesseltieren standen diverse Käferlarven, Raupen und sogar Spermien Modell. Der Roboter kann nun rollen, schwimmen, gleiten, springen, über kleine Mauern und Gräben klettern, sich im Kreis drehen. Er kann sich zu einem C formen und seine Enden als Greifarm einsetzen, um Gegenstände zu bewegen. Mit den ganzen Fortbewegungsarten ist dieser Roboter in der Lage, sich auch durch abwechselnde Körperregionen zu bewegen, etwa durch den Magen-Darm-Trakt. "Es gibt da Bereiche, die voller Flüssigkeit sind, in anderen ist ein bisschen und in ein paar weiteren ist gar keine", sagt Sitti. Roboter, die nur schwimmen, kämen dort nicht weit. Dieser hier schon.

Um das zu demonstrieren, nimmt Hu nun das Plastikmodell eines halben Magens zur einen und einen Stabmagneten zur anderen Hand. Er bewegt den Magneten von unten an das Modell heran, und ein weiteres Exemplar seines Roboters, das in einer der zahlreichen Furchen liegt, krümmt sich zu einem C. Langsam kreisend zieht er seine Hand in eine Richtung, in der Magen-Attrappe rollt der Roboter hinterher. Ist eine Erhebung im Weg, ändert Hu die Richtung und lotst den Roboter daran vorbei. Beim Menschen soll das irgendwann ähnlich funktionieren, nur der äußere Magnet fällt dann wohl etwas komplexer aus. "Wir gehen davon aus, dass man unseren Roboter mit einem Kernspin-Tomographen sehr genau und gut lenken kann", sagt Hu.

Seine Mission im menschlichen Körper: Krebszellen verbrennen und Blutungen stoppen

Es bleibt das Problem, dass menschliche Mägen in der Regel nicht halb geöffnet in der Hand eines Wissenschaftlers liegen. Wie also werden die Ärzte einst wissen, wo sich der Roboter befindet, nachdem ein Patient ihn geschluckt hat? "Dazu benutzen wir Ultraschall", sagt Hu, "so können wir den Roboter in Echtzeit überwachen." Das haben die Forscher auch schon in Hühnerfleisch getestet. Sie schoben den Roboter in das Muskelgewebe, setzten die Ultraschall-Sonde an und sahen sowohl die Kontur des Roboters als auch das umliegende Gewebe live auf einem Bildschirm. Sie erkannten Hindernisse, konnten den richtige Fortbewegungsmodus wählen und ließen den Roboter durch das Hühnchen schwimmen, kriechen und rollen. Ein nächster Schritt wäre, das Experiment in lebenden Mäusen statt einem toten Huhn zu wiederholen.

Zehn Jahre werde es zwar mindestens noch dauern, dann aber könnte der Roboter in Kliniken eingesetzt werden, meinen die Stuttgarter Forscher. Dort könnte er zunächst zwei Aufgaben übernehmen. Zum einen soll er Medikamente transportieren, indem er sie wie ein Schwamm absorbiert oder wie eine Lasche einklemmt. Am gewünschten Ort könnte der Wirkstoff dann durch ein magnetisches Signal freigesetzt werden. "Ein Medikament kann so in einer kontrollierbaren Dosis an einer exakten Stelle abgegeben werden", sagt Sitti. "Besonders Krebs-Medikamente haben viele Nebenwirkungen, die wir so minimieren könnten."

Wenn der Roboter noch kleiner wird, könnte er sogar zum Herzen oder ins Gehirn gelangen

Für die zweite Funktion nutzen die Forscher, dass sie den Roboter durch das Magnetfeld auf bis zu 70 Grad erhitzen können. So lassen sich Krebszellen verbrennen oder, wenn ein Patient Magenblutungen hat, die Wunden veröden. "Allein diese zwei Anwendungen würden die Möglichkeiten der Medizin enorm ausweiten", sagt Sitti. Daneben bringt der Roboter noch weitere Vorteile: Er ist weich und kann nichts verletzen, er kann mit magensäureresistentem Material überzogen werden, und wenn man ihn nicht mehr braucht, kommt er irgendwann von alleine wieder heraus.

Für eine noch fernere Zukunft, wenn der Roboter noch kleiner geworden ist, denken die Wissenschaftler über viele weitere Einsatzgebiete nach. Durch andere Organe oder Blutgefäße könnte das Rechteck schwimmen und so sogar bis zum Herzen oder ins Gehirn gelangen. Man könnte ihm Sensoren aufsetzen, die Druck oder Temperatur messen, und auf diese Weise Diagnosen aus dem Körperinneren ermöglichen.

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