Süddeutsche Zeitung

Medizin:Mikrochip zum Aufkleben

US-Wissenschaftler haben ein kabelloses elektronisches Pflaster entwickelt, das man wie ein abwaschbares Tattoo auf die Haut klebt. Das briefmarkengroße Sensorpflaster kann den Puls, Hirnströme und Muskelaktivitäten messen und sogar Sprache erkennen.

Christoph Behrens

Medizinische Elektroden fühlen sich fremd an auf der Haut; sie kitzeln auf der Brust oder tun sogar weh. Eine Forschergruppe um Dae-Hyeong Kim von der Universität Illinois zeigt jetzt, dass es in Zukunft auch ohne Kitzel und Kabel gehen könnte.

Sie hat eine Schaltung entwickelt, die man sich wie ein abwaschbares Tattoo aufkleben kann. Diese misst Puls, Hirnströme, Muskelaktivitäten und erkennt sogar Sprache.

Einen funktionsfähigen Prototyp dieses Sensorpflasters präsentieren die Ingenieure in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science (Bd. 333, S. 830, 2011).

Auf der Größe einer Briefmarke versammelten sie Sensoren und Antennen zur kabellosen Übertragung sowie eine eigene Energieversorgung: Das Pflaster zieht kleine Mengen Strom aus Wärmestrahlung oder Licht.

"Wir wollten ein Gerät erschaffen, das der Anwender nicht spürt und unsichtbar ist", sagt John Rogers, ein Materialforscher und Mitautor des Artikels. Das Sensorpflaster könne sich der Haut anpassen und jede Verformung mitmachen.

Die Schaltkreise sitzen auf einer extrem dünnen Schicht Kunststoff, die von selbst haftet. Die Leitungen bilden Serpentinen, so dass sie sich stark verformen können.

In ihrem Artikel zeigen die Wissenschaftler auch, wie sie die Sensoren in ein abwaschbares Piraten-Tattoo einbauen und auf diese Weise tarnen. Mit dem selbstklebenden Tattoo entfällt auch die Kunststoffschicht.

Bis zu 24 Stunden lang klebt das Pflaster auf der Haut und schickt Messdaten durch integrierte Antennen in den Äther. Je nachdem, wo es klebt, erfüllt es unterschiedliche Funktionen: Auf der Brust misst es den Herzschlag, am Bein erkennt es, ob sein Träger geht oder steht. Auf die Stirn geklebt, zeigte es Forschern an, ob ein Proband seine Augen geöffnet oder geschlossen hatte.

Auch zur Kommunikation zwischen Mensch und Maschine könnte das Pflaster dienen. Um das zu zeigen, klebte Kims Team das Tattoo auf den Hals eines Probanden. Als er dann Worte wie "rauf" und "runter" sagte, steuerte er damit ein Videospiel mit einer Genauigkeit von mehr als 90 Prozent.

Noch kämpfen die Forscher aber mit der Feineinstellung. Denn dass sich die Schaltkreise stark biegen lassen, birgt auch Nachteile: Dehnt sich das Pflaster, variiert auch die Messung, denn die gesendeten Signale hängen von der Form der Leitungen ab. "Unsere Arbeit fängt gerade erst an", sagt Rogers.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2011/mcs
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