Medizin:Dünne Luft, starkes Herz

Medizin: Extrembergsteiger Ralf Dujmovits und seine Partnerin Nancy Hansen trainieren in der Höhensimulationskammer am DLR in Köln.

Extrembergsteiger Ralf Dujmovits und seine Partnerin Nancy Hansen trainieren in der Höhensimulationskammer am DLR in Köln.

(Foto: Ralf Dujmovits)
  • In der Höhenkammer des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln simulieren Wissenschaftler, wie sich lang anhaltender Sauerstoffentzug auf den Organismus von Menschen auswirkt.
  • In der Kammer herrschen Bedingungen, die denen im Hochgebirge ähneln.
  • Die Forscher hoffen, dass der verringerte Sauerstoffgehalt auch positive Folgen haben kann, die sich beispielsweise für Herz-Patienten nutzen lassen könnten.

Von Nadine Regel

Die "Steak-Nacht" auf 7000 Meter Höhe vergisst Ralf Dujmovits nicht so schnell. 300 Gramm sind viel für jemanden, der eigentlich lieber auf Fleisch verzichtet. Die Untersuchung am nächsten Morgen bestätigte seinen unruhigen Schlaf: Der Puls lag höher, die Sauerstoffsättigung war geringer, die Nierenwerte schlechter, er fühlte sich matt. Für Dujmovits waren das Symptome einer beginnenden Höhenkrankheit. Der 57-Jährige brauchte zwei Tage, bis er sich erholt hatte. Im Himalaja hätte er ins Basislager absteigen müssen.

Dabei übernachteten der erfahrene deutsche Höhenbergsteiger Ralf Dujmovits und seine Partnerin Nancy Hansen nur in Köln. Fünf Wochen verbrachten sie in der Höhenkammer des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Zwei Wochen davon lebten sie auf einer simulierten Höhe von knapp 7000 Metern, vier Tage davon sogar auf 7112 Meter. Dass sich hoher Fleischkonsum so negativ auswirken würde, ahnten die Wissenschaftler des DLR nicht, als sie dem Paar mit dem Abendessen eine Freude machen wollten.

Die Alpinisten sind Probanden der bisher umfangreichsten Hypoxie-Studie am Menschen in dieser Höhe, bei der getestet wird, wie sich lang anhaltender Sauerstoffentzug auf den Organismus auswirkt, und ob Organe dazu angeregt werden können, sich durch Zellteilung zu regenerieren. Der Fokus der Studie lag auf dem Herz. Sechs Monate nach dem Experiment fand die dritte Kontrolluntersuchung in Köln statt. "Unsere Hoffnung war es, dass der Aufenthalt in extremer Hypoxie auf das Herz-Kreislauf-System wie ein starkes Training wirkt und Änderungen hervorruft", sagt Jens Tank, Leiter der DLR-Studie. Über diesen Zeitraum habe das noch niemand versucht.

Die Höhenkammer im Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln ist eine Mischung aus Fitnessstudio, Labor und Heizungskeller, ausgestattet mit Laufband, Ergometer, Bildschirmen und Messinstrumenten. Fenster gibt es keine.

Innerhalb der Kammer kann die Umgebungsluft beliebig eingestellt werden. Für ihre Untersuchung erhöhten die Wissenschaftler den Gehalt von Stickstoff, was den Anteil von Sauerstoff reduzierte. Die ersten drei Wochen akklimatisierten sich die Probanden, als würden sie sich im Himalaja an die zunehmende Höhe allmählich anpassen - der Sauerstoffgehalt sank dabei schrittweise.

Das DLR kooperiert mit einer Gruppe von Herzspezialisten an der University of Texas in Dallas. Untersuchungen an Mäusen hatten dort ergeben, dass Sauerstoffentzug die Herzfunktion nach einem Herzinfarkt im Vergleich zu einer Kontrollgruppe verbessert. Das bestätigt, dass sich die Herzmuskelzellen der Mäuse regeneriert haben. Durch den Entzug von Sauerstoff wurde die Zellteilung angeregt, weil so der oxidative Stoffwechsel der Herzzellen gehemmt wurde. "Das widerspricht eigentlich der Lehrmeinung", sagt Jens Tank. Bisher sei man davon ausgegangen, dass Infarkt-Patienten Sauerstoff benötigen.

Nancys Sauerstoffwerte sanken dramatisch. Eigentlich hätte sie auf die Intensivstation gemusst

Die Mäuse atmeten ein Gemisch mit sieben Prozent Sauerstoff - Bedingungen wie auf dem Gipfel des Mount Everest in 8848 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. Bei den menschlichen Probanden im DLR-Labor wurde der Gehalt, der normal 21 Prozent in der Umgebungsluft beträgt, auf 8,5 Prozent herabgesenkt, nur nachts lag er mit 8,8 Prozent etwas höher. "Damit waren wir schon im Grenzbereich", sagt Tank. Auch bei ungeborenen Menschen und Säugetieren werden ähnliche Prozesse beobachtet: Vor der Geburt liegt der Sauerstoffgehalt im Blut bei etwa acht Prozent, was vermutlich die Wiederherstellung von Zellen begünstigt. Das Herzmuskelgewebe kann sich bis etwa eine Woche nach der Geburt regenerieren.

"Die Höhe hat sich ähnlich angefühlt wie im Himalaja", sagt Dujmovits. Es sei aber anstrengender gewesen als erwartet. Dujmovits hatte sich zu Übungszwecken extra eine rotierende Kletterwand in die Höhenkammer stellen lassen. "Wir konnten aber nie länger als drei Minuten am Stück daran trainieren." Es sei einfach zu anstrengend gewesen.

Dujmovits ist der einzige Deutsche, der bisher alle 14 Achttausender bestiegen hat. Alle bis auf den Mount Everest erreichte er ohne zusätzlichen Sauerstoff, den die Bergsteiger in Flaschen mit sich schleppten. Insgesamt war er mehr als 30 Mal auf Expeditionen in diesen Höhen unterwegs und stand 18 Mal auf einem Berggipfel höher als 8000 Meter. Bevor sich Dujmovits vor Jahren für das Bergsteigen als Beruf entschied, hatte er ein Medizinstudium begonnen. Sein Interesse an der Höhenmedizin ist geblieben. Zudem spielen im Verwandtschaftskreis des Paares Herzprobleme eine Rolle. Nancy Hansens Vater überlebte vor 18 Jahren knapp einen schweren Herzinfarkt. "Es bedeutet uns viel, ein Teil dieses Forschungsprojektes zu sein", sagt Dujmovits.

Zu Beginn mussten sich die beiden an die ständige Beobachtung und Überwachung ihrer Gesundheitswerte gewöhnen. Nur im Schlafzimmer und im Bad waren keine Kameras angebracht. Ihr Tag bestand größtenteils aus Untersuchungen: Blut- und Urinproben, Kernspin-Aufnahmen und kognitive Tests, bei denen das Reaktions- und Wahrnehmungsvermögen überprüft wurde. Dabei stellte sich heraus, dass der Sauerstoffmangel kaum Einfluss auf das Denkvermögen hat.

Nancy Hansen hatte mehr Probleme mit der Anpassung an die simulierte Höhe. Die Sauerstoffsättigung im Blut der 50-Jährigen lag zeitweise bei 56 Prozent. Patienten im Krankenhaus wären mit solch niedrigen Werten ein Fall für die Intensivstation. Zudem hatte ihr Herz schwer gegen den hohen Blutdruck in der Lunge anzukämpfen, und im Gehirn bildeten sich kleine Schäden in der Weißen Substanz, einem Teil des Zentralnervensystems. Nach Verlassen der Höhenkammer verschwanden aber alle Symptome innerhalb von 30 Stunden.

Zwölf Monate nach der Studie, im Juni 2019, werden die abschließenden Untersuchungen stattfinden. Die Zwischenergebnisse lassen zwar noch keine konkreten Rückschlüsse darauf zu, ob das menschliche Herz ähnlich wie das der Mäuse auf Sauerstoffmangel reagiere, sagt Jens Tank. Über Therapieansätze denkt er aber bereits nach. "Interessant wäre zum Beispiel herauszufinden, ob man Hypoxie vor geplanten Operationen einsetzen kann, um das Herz zu stärken." Nun stünde im Vordergrund, den individuellen Schwellenwert des Sauerstoffgehalts in der Luft zu finden, ab dem bestimmte Organe ihre Funktion verbesserten oder deren Zellen sich regenerierten. Dafür seien weitere Untersuchungen an gesunden, aber auch an kranken Probanden notwendig.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusHöhenmedizin
:Der Wahnsinn am Berg

In großer Höhe erleben Bergsteiger immer wieder Merkwürdiges. Sie riechen Essen, hören Autos oder sehen Menschen, die nicht da sind. Dahinter steckt nicht die Höhenkrankheit, sondern eine Psychose.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: