Medizin:Diagnose: COPD

38 Jahre lang raucht Heidi K. eine Packung Zigaretten am Tag. Dann gibt ihr Körper auf: Das Gift hat die Lunge ruiniert. Die chronische Krankheit dürfte weltweit bald die dritthäufigste Todesursache sein.

Von Felix Hütten

Erst ist es cool, dann Gewohnheit, dann erstickt sie fast daran. Drei Jahrzehnte Zigaretten gehen an Heidi K. nicht spurlos vorbei. Die Spuren haben sich in ihren Körper gebrannt, die Lunge schwarz, das Herz noch wach, Haare, Haut und Zähne haben mitgeraucht, all die Jahre. 38, um genau zu sein. Die Jugend in der bayerischen Einöde, drüben in Amerika fahren sie über die Broadways. Sonnenbrille, Kippe im Mundwinkel. Symbole dieser Freiheit, die man riechen kann. Zigarettenmuff gegen Kleinstadtmuff. Heidi K., heute 53 Jahre alt, raucht eine Schachtel am Tag. HB, die gelben. 0,8 Milligramm Nikotin in jeder Zigarette. Viel stärker geht es nicht. Das Zeug hat Heidi K.s Abenteuerlust verwandelt in Schmerzen und Angst.

Mediziner sagen dazu: COPD, chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Der Rauch hat ihre Lunge zerfressen, Zug um Zug, Tag für Tag. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass global mehr als 65 Millionen Menschen an COPD erkrankt sind, 90 Prozent davon Raucher. Es wird wohl bald die dritthäufigste Todesursache weltweit sein.

Die Geschichte von Heidi K. beginnt, da ist sie 15 Jahre alt. Die Eltern sind Kettenraucher. Fünf Kinder ziehen sie groß, vier davon rauchen. Dass die Mutter raucht, macht dem jungen Mädchen Mut, das Heidi K. damals war. Die Zigaretten versteht sie als Symbol der Emanzipation. K.s Eltern haben bis zum Schluss geraucht.

Im vergangenen Winter kam die Angst, und die Atemnot. Heidi K., kurze, blonde Haare, ist oft erkältet, sie schiebt es auf die Kälte, auf den Stress bei der Arbeit. Die Hausärztin rät ihr dringend, in eine Klinik zu gehen. Der Druck auf das Gewissen und in den Nebenhöhlen steigt, das Atmen wird zur Qual. K. macht Frühschichten, macht Spätschichten, kämmt, wäscht und füttert alte Menschen. Krankenhaus kommt nicht in Frage, sagt sie. Nur, wenn ich nicht mehr laufen kann. Nur, wenn ich den Notarzt rufen muss.

Es vergehen drei Wochen, dann kann sie keine zwei Sätze mehr sprechen. Heidi K. sagt jetzt: Krankenhaus. Die Angst ist stärker als die Sucht. Plötzlich hört sie auf, einfach so, nach 38 Jahren. Keine Zigaretten mehr, Schluss. Am Anfang, sagt sie, war der Entzug kein Problem. Es gab Wichtigeres, Überleben zum Beispiel. Nach sechs Wochen beginnt sie zu zittern.

Sucht ist eine Qual. Aber die Sucht, sagt Heidi K., ist auch die Verbindung zu ihrem alten Leben. Sie kauft sich eine E-Zigarette. Anfangs mischt sie kein Nikotin zu. Es geht um die Bewegung, um das Ding im Mund, um den Dampf vor der Nase. Die E-Zigarette, sagt sie, ist ihre Sicherheit. Sicherheit, nicht zur Schachtel zu greifen.

Im Krankenhaus bekommt Heidi K. das erste Mal Todesangst. Sie steht unter der Dusche, das Shampoo in den Haaren, da ist die Luft plötzlich weg. Kein Sauerstoff, keine Hilfe. Das Wasser läuft, läuft, läuft. Es ist eine Angst, die ein Mensch nicht versteht, der sie nicht erlebt hat. Die Foltermethode Waterboarding arbeitet mit dieser Angst, sie simuliert den Erstickungstod. Menschen, die so gefoltert werden, spüren keine Schmerzen, aber sie haben Angst, zu ersticken. Spätestens seit dem US-Folterknast Guantánamo weiß man: Diese Angst bricht Menschen wie ein Streichholz, knack, einfach entzwei.

Heidi K. aber schafft es raus aus dem Bad, irgendwie, der Mensch hat Überlebenskräfte, die erahnt man nicht. Die Ärzte warnen sie: COPD kann lebensgefährlich werden, sie muss sich sofort behandeln lassen.

Die Lunge verliert durch die Gifte ihre Elastizität. Manchmal hilft nur noch eine radikale Operation

Die Lunge ist ein sensibles Organ mit feinsten Bläschen, in denen der Sauerstoff in das Blut übertritt. Durch den Rauch und seine Gifte, jahrzehntelang inhaliert, entzündet sich die Schleimhaut der Bronchien. Das Gewebe schwillt an, der Körper bildet Schleim, der alles nur schlimmer macht. Die feinen Lungenbläschen bauen sich ab und irgendwann verliert die Lunge ihre Elastizität. Bei COPD-Patienten wie Heidi K. überbläht die Lunge Schritt für Schritt. Lungenemphysem sagen Mediziner dazu. Sie kann zwar Luft aufnehmen, aber sie nicht mehr ausatmen. Ihre Lunge wächst mit jedem Atemzug.

40 Milligramm Kortison als Tablette zum Abschwellen der Schleimhaut bekommt sie. Mehr können die Ärzte im Moment nicht für sie tun. Der Chefarzt lässt ausrichten: Eine OP sei ihre einzige Chance. Die Chirurgen planen, jene Teile ihrer Lunge zu entfernen, die sich mit Luft vollgesogen haben. Die Lunge würde dadurch kleiner. Die Atmung aber würde sich verbessern, da sich der Rest des Gewebes wieder im Brustkorb bewegen kann. Die Patienten, die eine solche OP bekommen, erholen sich, das ist die Hoffnung. Besser wenig atmen als gar nicht mehr. Geheilt werden sie dadurch nicht.

Heidi K. fragt sich, ob sie der OP zustimmen soll, sie fragt sich nach der Schuld. Hätte sie doch früher aufgehört. Hätte, hätte. Sie weint. Und zieht trotzdem wieder an der E-Zigarette, es ist ihr kein Bedürfnis, es ist die Gewohnheit. Zu den Ärzten, denen sie misstraut, sagt sie, bitte operieren Sie mich. Ihre Töchter fahren sie ins Krankenhaus, Laufen geht nur noch schlecht. Sie trägt zwei kaputte Lungenflügel in der Brust. Kurz vor der OP kommen Zweifel auf. Heidi K.s Hausärztin ist nicht überzeugt. Sie sagt die Operation ab und schickt ihre Patientin in eine Fachklinik nach Gauting bei München.

Der dortige Chefarzt Jürgen Behr operiert Heidi K. nicht. Die Ärzte sprechen mit ihr, dann Röntgen, CT, Bluttests. Engmaschige Betreuung, sagt sie. Es geht ihr besser. Die Luft kommt zurück, wenigstens ein bisschen. Die E-Zigarette füllt K. mit Nikotin, ein bisschen was. Sie fragt um Erlaubnis, die Ärzte nicken. Nach zehn Tagen wird sie entlassen. Sie schläft nachts ohne Kissen im Rücken. Vor zwei Tagen, darauf ist sie stolz, hat sie zu Hause Fenster geputzt. Nach dem ersten dachte sie, es geht nicht mehr. Sie putzt noch zwei weitere. Ihr Ziel ist das ganze Haus, eine Reha soll folgen. Die OP ist abgeblasen, Heidi K. will nicht mehr krank sein.

Jetzt, wo der Frühling gekommen ist, holt Heidi K. ihre Maschine aus der Garage. Eine Yamaha Virago, 46 PS, dazu die Lederjacke. Einfach fahren, raus aus der Stadt, immer geradeaus. An den Liftfaßsäulen in Augsburg wirbt ein Tabakkonzern: "Der Himmel ist die Grenze."

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