Süddeutsche Zeitung

Medizin:Das Mädchen, das nicht altert

Brooke ist ein medizisches Mysterium: Mit 16 Jahren wiegt sie sechs Kilogramm und hat Milchzähne. Forscher sind fasziniert - und finden keinerlei Erklärung.

Christina Berndt

Am Kühlschrank hängen zahlreiche Fotos von dem niedlichen Baby mit den großen Rehaugen. "Versuchen Sie die mal in die richtige Reihenfolge zu bringen", fordert der Vater seine Gäste gerne auf. Kaum einem gelingt das. Howard Greenbergs Tochter Brooke sah mit eineinhalb Jahren genauso aus wie mit drei, sieben oder zwölf. Inzwischen ist sie 16 Jahre alt, und wenn die Eltern in ihrem Heimatort Baltimore in Maryland auf der Straße gefragt werden, wie alt ihr süßes Baby denn sei, dann sagen sie: "Sechzehn", und die Leute denken, sie meinten Monate.

Brooke ist ein Wunder, sagen die Eltern, die noch drei weitere Töchter haben; sie ist ein medizinisches Mysterium, sagen die Ärzte, die in der ganzen Welt keinen einzigen vergleichbaren Fall kennen. Brooke wird älter, aber sie scheint nicht zu altern. Mühelos hebt die Mutter den Teenager aus dem Laufstall, sechs Kilogramm ist das Mädchen schwer und nur 70 Zentimeter lang. In ihrer ganzen Entwicklung ist Brooke auf dem Stand eines elf Monate alten Kindes stehengeblieben. Dieses Teenager-Baby scheint der leibhaftige Jungbrunnen zu sein.

Kein Wunder, dass Wissenschaftler sich darum reißen, Brookes Geheimnis zu lüften. "Ohne sensationsheischend sein zu wollen", meinte Richard Walker von der University of South Florida, "dies ist eine Gelegenheit, die Frage zu beantworten, warum wir sterblich sind." Zusammen mit einem ganzen Team von Forschern hat der Biochemiker nun Brookes Erbgut und Gewebe analysiert.

Doch das einzigartige Kind gibt sein Geheimnis nicht so leicht preis. Walker war fest davon ausgegangen, dass bei Brooke ein wichtiges Gen mutiert ist, das den Alterungsprozess kontrolliert. Gefunden hat er jedoch nichts dergleichen, wie er jetzt im Fachblatt Mechanisms of Ageing and Development schreibt.

Nicht alle Entwicklungen sind gestoppt

Dafür stellte sich etwas Überraschendes heraus: Brookes Körper und Geist sind nicht einfach im Babystadium eingefroren. Vielmehr reifen verschiedene Teile von ihr in unterschiedlichem Tempo, wie Walker erklärt. So sei das Gehirn nicht viel weiter entwickelt als das eines Neugeborenen. Brooke kann zwar ihre Eltern erkennen, aber sie kann nicht mit ihnen sprechen. Und während sie immer noch ihre Milchzähne hat, sind ihre Knochen so alt wie die einer Zehnjährigen, auch wenn sie dafür zweifelsohne reichlich kurz sind.

Walker gibt nicht auf. Er will weiter nach Auffälligkeiten in Brookes Genen suchen. "Entweder verwerfen wir danach unseren Ansatz oder wir finden den goldenen Ring", sagt er. Allerdings glaubt er nun nicht mehr daran, den Schlüssel zum ewigen Leben zu finden. Dass Brooke besonders alt wird, ist den neuen Daten zufolge eher unwahrscheinlich. Die Zellen ihres Körpers sind etwa genauso verbraucht wie die anderer Teenager, betrachtet man die Länge der Schutzkappen auf den Chromosomen, die so etwas sind wie eine biochemische Zündschnur zum Tod.

Selbst das aber muss bei Brooke nichts heißen. "Um zu wissen, wie lange sie leben wird, müsste man schon hellsehen können", sagt Brookes Kinderarzt Lawrence Pakula. Totgesagt wurde sie ohnehin schon häufiger, ohne dass sie sich an die Voraussagen der Ärzte gehalten hätte. Einen Schlaganfall hat das Mädchen überstanden, sechs offene Magengeschwüre und einen zitronengroßen Hirntumor. Damals hatten die Eltern auf Anraten der Ärzte schon einen Sarg bestellt. Dann war Brookes Krebs plötzlich wieder verschwunden.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2009/beu
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