Süddeutsche Zeitung

Medizin:Das kann ins Auge gehen

Mediziner berichten über Netzhautverletzungen durch Laserpointer. Vor allem Jugendliche spielen gern mit gefährlichen Geräten. Was dabei passieren kann, lässt die Geschichte eines Jungen aus der Schweiz erahnen, der in einen Spiegel leuchtete.

Von Astrid Viciano

Als der Junge sein Spiel abbrach, konnte er mit seinem linken Auge nur noch drei Finger einer Hand erkennen. Auf einen Meter Abstand. Mit einem Laserpointer hatte der 15-Jährige zunächst einen Luftballon zum Platzen gebracht, die Schnürsenkel an den Schuhen seiner Schwester geschmort. Und schließlich mit dem Gerät auf einen Spiegel gezielt. Die reflektierenden Strahlen trafen gleich beide Augen des Teenagers. Nachdem er den Eltern von seinem Schabernack erzählt hatte, fand er sich rasch in der Sprechstunde der Augenklinik in Luzern wieder. "Der Junge hatte große Angst", erinnert sich der Augenarzt Stefan Wyrsch, der den Patienten damals behandelte. Angst davor, dass sich seine Augen nie wieder erholen würden.

Weltweit berichten Mediziner inzwischen von Augenverletzungen durch Laserpointer. In der Fachliteratur häufen sich die Fallberichte zum Thema; allein zu Augenverletzungen durch Laserstrahlen bei Kindern finden sich mindestens 36 Artikel. Wie viele Menschen pro Jahr sich in Deutschland damit Augen verletzen, ist allerdings unbekannt. "Wir müssen aber von einer Zunahme in den vergangenen Jahren ausgehen", sagt Hans-Dieter Reidenbach, Leiter des Forschungsschwerpunkts Medizintechnik und Nichtionisierende Strahlung der Technischen Hochschule Köln. Immerhin berichtet die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt in ihrem aktuellsten Bericht aus dem Jahr 2012 über elf gemeldete Fälle. "Welche Augenschäden durch Laserpointer entstehen können, ist noch gar nicht allen Augenärzten bekannt", bemängelt Johann Roider, Leiter der Augenklinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel.

Früher dachten Mediziner nämlich, dass ein Reflex sämtliche Menschen vor Laserstrahlen schützen würde. Heute dagegen wissen sie, dass sich nur bei etwa einem Fünftel der Bevölkerung die Augenlider senken, sobald helles Licht auf das Auge trifft. "Obendrein öffnen sich die Augen danach sofort wieder", sagt Reidenbach. Und das Licht des Laserpointers kann mit all seiner Energie erneut in die Augäpfel leuchten. Daher sollten Betroffene ihren Kopf möglichst rasch abwenden, so rät der Ingenieur. 30 bis 40 Millisekunden dauert es, die Information von der Netzhaut ins Gehirn zu leiten. Ebenso lange währt der Weg von dort in die Muskeln, um die Bewegung einzuleiten. Bei einem Laserpointer mit einer Leistung von weniger als einem Milliwatt (mW) reicht das aus. Bei Laserpointern, die diesen Grenzwert der üblichen Geräte überschreiten, kommt die Reaktion dagegen viel zu spät.

Direkt nach einer Verletzung können die Ärzte nur schwer vorhersagen, welche Folgen der Patient haben wird

Bis dahin hat das gefährliche Gerät den Menschen längst geblendet, mit gleißend hellem Licht - heller als beim direkten Blick in die Sonne. Für sichtbares Licht sind Hornhaut und Glaskörper des Auges durchlässig; die Strahlen fallen daher direkt durch die Pupille auf die Netzhaut und bleichen dort die lichtempfindlichen Sinneszellen aus. "Der Mensch sieht dann erst mal nur einen blinden Fleck", sagt Horst Helbig, Leiter der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Regensburg. Die Sinneszellen sind durch das helle Licht gesättigt, erst nach Sekunden bis Minuten reagieren sie wieder normal auf erneut einfallendes Licht. Sofern sie der Laserstrahl nicht geschädigt hat. Bei einer Leistung jenseits des Grenzwerts gehen in jedem Fall Sinneszellen zugrunde", sagt Reidenbach.

Vor allem leidet das Pigmentepithel unter den Laserstrahlen - jene Schicht der Netzhaut, die unter den Sinneszellen liegt. Dort nämlich findet sich ein schwarzer Farbstoff, das Melanin, in kleinen Körnern der Zellen gespeichert. Die dunkle Farbe absorbiert das Licht, wandelt es in Wärme um - ähnlich wie sich ein schwarzes Auto in der Sonne mächtig aufheizt. Die Körnchen sowie das umliegende Gewebe erhitzen sich manchmal auf mehr als 50 Grad Celsius, sodass die Zellen untergehen. "Je mehr Farbstoff in den Zellen lagert, desto größer kann der Schaden ausfallen", sagt Helbig. Bei blonden und rothaarigen Menschen findet sich eher wenig Pigment, bei dunkelhäutigen und südländisch aussehenden Personen dagegen mehr.

Auch spielt eine Rolle, ob ein roter, grüner oder gar blauer Laserpointer in die Augen leuchtet. So nimmt der Mensch blau und rot dunkler war als grün, weil die Sinneszellen für die jeweiligen Farben mehr oder weniger lichtempfindlich sind. Bei einem Laserpointer mit rotem oder blauen Licht zögern Menschen also länger, bevor sie den Kopf abwenden. "Die Laserstrahlen können daher länger auf die Netzhaut einwirken", sagt Reidenbach. Die eines grünen Laserpointers dagegen nicht.

Allerdings bergen die grünen Geräte manchmal auch Infrarotstrahlung in sich. Die ist für das menschliche Auge unsichtbar und kann daher ungestört die Netzhaut erwärmen (siehe Text links). "Davon merkt der Betroffene zunächst nichts", sagt Reidenbach. Sogar die Augenlinse kann eintrüben - allerdings nur, wenn derjenige der unsichtbaren Strahlung über Jahre hinweg ausgesetzt ist, wie zum Beispiel die Glasbläser. "Bei ihnen gilt das als Berufskrankheit", sagt der Augenarzt Helbig.

Um ihr Augenlicht fürchten müssen Menschen vor allem, wenn sie direkt in das Licht des Laserpointers geblickt haben, wie der Jugendliche bei seiner Lasershow. Dann nämlich trifft das Licht auf die Stelle des schärfsten Sehens der Netzhaut. Je nach Ausmaß der Schädigung blutet es dort ein, das Gewebe schwillt an, bei schweren Verletzungen entsteht eine Narbe. "Liegt diese auf der Stelle des schärfsten Sehens, ist die Sehfähigkeit dauerhaft eingeschränkt", sagt der Schweizer Augenarzt Wyrsch. Trifft der Laserstrahl auf den Sehnerv, können die Patienten im schlimmsten Fall sogar erblinden. Daher sehen sich Augenärzte den Augenhintergrund genau an. In einem speziellen Verfahren - der optischen Kohärenztomografie - können sie die einzelnen Schichten der Netzhaut im Querschnitt kontrollieren.

Selbst wenn sie einen Schaden finden, können sie den Patienten nur begrenzt helfen. "Eine bewährte Therapie gibt es bislang nicht", sagt der Mediziner Helbig. Mal geben die Ärzte im akuten Stadium als Therapieversuch Cortison-Tabletten, um die begleitende Entzündungsreaktion zu drosseln. Mal spritzen sie bei seltenen Spätkomplikationen einen Antikörper direkt ins Auge, der das Einsprießen von Blutgefäßen verhindern soll.

Zunächst müssen sich die Patienten aber vor allem in Geduld fassen. Oft dauert es zwei Wochen, bis sich die Netzhaut von dem Laserstrahl erholt. Und noch bis zu einem halben Jahr nach dem Unfall kann sich die Sehfähigkeit bessern. "Wir können direkt nach einer Verletzung meist schwer vorhersagen, welche Folgen der Patient davontragen wird", sagt Helbig. So auch bei dem verängstigten Teenager. Nach ein paar Wochen hatte er auf einem Auge wieder 80 Prozent seiner Sehschärfe erlangt, auf dem anderen sogar 100. Und konnte den Unfall mit dem gefährlichen Laser-Spielzeug endlich vergessen.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2016
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