Medizin:Ärzte beim Pharmafrühstück

"Peinlich und obszön" oder unabdingbar für den Fortschritt? Über die Beziehungen zwischen Ärzten und Pharmafirmen ist eine neue Debatte entbrannt.

Werner Bartens

Wer bezahlt die Pizza? Der Pharmakritiker Ray Moynihan von der australischen Universität Newcastle stellt diese einfache Frage. Noch immer denken viele Ärzte, dass es sie nicht in ihrer Arbeit beeinflusst, wenn sie von Pharmafirmen Einladungen, Geschenke oder gar Geld bekommen oder wenn "nur" ihre Forschung unterstützt wird.

Dabei ist in Dutzenden Untersuchungen gezeigt worden, dass die Werbe- und Marketingausgaben der Arzneimittelhersteller gewinnbringend angelegt sind: Ärzte verschreiben Medikamente einer Firma häufiger als ähnlich gute Vergleichspräparate, wenn sie zuvor mit Aufmerksamkeiten bedacht wurden. Ärzte schleusen Patienten häufiger in Studien zu einem neuen Medikament ein, wenn sie für jeden Kranken ein Zusatzhonorar bekommen. Studien, die mit Hilfe von Pharmafirmen finanziert werden, kommen öfter zu positiven Ergebnissen für das Präparat des Herstellers als unabhängige Untersuchungen.

Ärzte können sich diesen Einflüssen gar nicht entziehen, selbst wenn sie es wollten, sagt Moynihan. Er fordert deshalb Ärzte und medizinische Forschung auf, sich von der Pharmaindustrie loszusagen (Plos Medicine, online). In Deutschland werden 90 Prozent der ärztlichen Fortbildungen von der Pharmaindustrie unterstützt oder komplett ausgerichtet.

Zu den größten amerikanischen Fachkongressen, die weltweit für die jeweilige Disziplin maßgeblich sind, kommen mittlerweile zwischen 20.000 und 30.000 Besucher. Dort würden lediglich ein paar hundert Doktoren auftauchen, wenn nur jene kämen, die Reise und Unterkunft selbst bezahlt haben. "Es ist peinlich und obszön für alle Beteiligten und eine Perversion des Fortbildungsgedankens, dass Ärzte in ihrer Karriere weiterkommen, wenn sie auf industrie-gesponserten Veranstaltungen einer industrie-gesponserten medizinischen Fachvereinigung einem industrie-gesponserten Redner zuhören", schreibt Moynihan.

Emma D'Arcy vertritt in der Debatte im Fachblatt Plos Medicine die gegenteilige Ansicht. Sie hat eine Webseite initiiert, die Pharmaindustrie und Ärzte vernetzen soll. Als eines ihrer Ziele für 2009 gibt sie an, die "Hysterie" über den vermeintlichen Einfluss der Pharmaindustrie bekämpfen zu wollen. Für Emma D'Arcy droht in der Medizin Stillstand, wenn nicht gar Rückschritt ohne die großzügigen Zuwendungen der Firmen.

"Wenn Fortbildungen, die von der Pharmaindustrie unterstützt werden, nicht mehr erlaubt sein sollen, werden die Ärzte von morgen womöglich die Medizin von vorgestern betreiben", warnt sie. D'Arcy befürchtet, dass Innovationen verhindert werden, wenn die Arzneimittelhersteller nicht mehr so eng wie bisher mit den Ärzten zusammenarbeiten dürfen. Die Pharmaindustrie sei Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden, weil alle Menschen länger und gesünder leben wollen und die Arzneimittelbranche genau diese Bedürfnisse befriedige.

Emma D'Arcy wünscht sich "eine neue Ära" der Zusammenarbeit von Industrie und Ärzten. Dazu müssten Mediziner allerdings lernen, seriöse Informationen der Hersteller von Werbematerial zu unterscheiden. Zudem müssten alle Zahlungen und andere Formen der Unterstützung angegeben werden, fordert sie. Eine solche Transparenz von beiden Seiten würde eine gesunde Zusammenarbeit ohne Einflussnahme ermöglichen.

Für Moynihan sind diese Vorschläge nur Floskeln, die zudem in der Praxis vielfach widerlegt wurden. Eine gesunde Beziehung könne es nur geben "ohne den korrumpierenden Einfluss der Milliarden, die jährlich die Medizin von der Pharmaindustrie annimmt". Versuche einer unabhängigen Medizin kommen nur sehr zaghaft voran. Die nach Vorbild der Kampagne "No free Lunch" in Deutschland begründete Initiative "Mein Essen zahl' ich selbst" (mezis.de) hat bisher erst weniger als 100 zahlende Mitglieder.

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