Medikamente für Kinder:Große Pillen für die Kleinen

Kranke Kinder bekommen oft Mittel, die nicht für sie zugelassen sind. Auch in Deutschland haben junge Patienten ungenügenden Zugang zu sicheren Therapien.

Christina Berndt

Es gibt für Kinder kaum Medikamente. Der Satz ist so einfach wie erschreckend. Auch in einem so reichen und pharmazeutisch wohlversorgten Land wie Deutschland haben ausgerechnet junge Patienten ungenügenden Zugang zu sicheren Therapien.

Medikamente für Kinder: Ärzten bleibt nichts anderes übrig, als kranken Kindern Medizin zu verordnen, die gar nicht für sie gedacht ist.

Ärzten bleibt nichts anderes übrig, als kranken Kindern Medizin zu verordnen, die gar nicht für sie gedacht ist.

(Foto: Foto: ddp)

Ärzten bleibt nichts anderes übrig, als kranken Kindern Medizin zu verordnen, die gar nicht für sie gedacht ist. "Off-label-Use" nennen sie dieses Vorgehen, für das sie die Verantwortung tragen müssen.

Dass niedergelassene Ärzte Kindern noch häufiger Medikamente ohne Zulassung verschreiben als erwartet, hat nun eine Arbeitsgruppe um den Pharmakologen Bernd Mühlbauer vom Klinikum Bremen-Mitte gezeigt.

Die Forscher haben für ihre Arbeit Unterstützung von der gemeinnützigen Initiative Kinderarzneimittel der Hexal-Stiftung bekommen - und von einer gesetzlichen Krankenkasse, der Gmünder Ersatzkasse GEK. Diese hat ihnen sämtliche Arzneiverordnungen ihrer 289.000 Versicherten zwischen null und 16 Jahren aus dem Jahr 2002 zur Verfügung gestellt, die außerhalb von Kliniken ausgestellt wurden.

Die Wissenschaftler hatten Schlimmes erwartet, aber die Analyse der Rezepte hat ihre Erwartungen noch übertroffen: Nur etwa zwei Drittel der verordneten Wirkstoffe war für die Menschen zugelassen, die sie bekamen, berichten sie in der kommenden Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts. 16 Prozent der Wirkstoffe hatten keine Zulassung für Kinder. Bei weiteren 18 Prozent waren die Fachinformationen so schlecht, dass trotz aller Mühen nicht herauszufinden war, für welche Altersgruppen sie vorgesehen waren. Und rund drei Prozent aller verschriebenen Packungen hätten jungen Leuten ausdrücklich nicht verabreicht werden sollen.

Diese hohe Zahl nicht zugelassener Arzneitherapien laufe dem Anspruch an die Arzneimittelsicherheit "für diese sensible Patientengruppe" zuwider, sagt Bernd Mühlbauer. Und in Kliniken sei der Anteil noch erheblich höher.

Auch wenn die Rezepte inzwischen mehr als sechs Jahre alt sind: Sie haben Aktualität. Es habe in den letzten Jahren kaum Zulassungserweiterungen für Kinder gegeben, sagt Hannsjörg Seyberth. Der ehemalige Direktor der Universitätskinderklinik in Marburg setzt sich seit Jahren für eine bessere Versorgung von Kindern mit sicheren Arzneimitteln ein.

An der Situation hat auch eine neue EU-Verordnung nichts geändert. Sie fordert Pharmafirmen seit Januar 2007 auf, ihre neuen Medikamente auch für Kinder zu testen, sofern sie für diese Altersgruppe bedeutsam sind. Dies dürfte für die meisten Mittel außer solchen etwa gegen Alzheimer und Potenzstörungen gelten.

Große Pillen für die Kleinen

Die Verordnung greife aber zu kurz, sagt Stefan Burdach, Direktor an der Kinderklinik München-Schwabing. "Kinder bräuchten eigentlich Medikamente, die speziell für sie entwickelt werden, weil ein wachsender Körper andere Anforderungen stellt." Außerdem könnten die Pharmafirmen nicht dazu gezwungen werden, ihre Zulassungsstudien auch mit Kindern durchzuführen, ergänzt Mühlbauer. "Und freiwillig tun sie es oft nicht, weil sich der Markt nicht lohnt." Kinder seien gottlob selten krank und meist schnell wieder gesund.

Das fehlende Wissen hat Folgen

Werden sie aber krank, ist ihre Versorgung umso schlechter, je jünger und kränker sie sind. "Bei Säuglingen sind unserer Analyse zufolge nur 39 Prozent der verordneten Wirkstoffe zugelassen und bei Neugeborenen sogar nur 20 Prozent", sagt Mühlbauer. Auch waren die Medikamente bei schweren Krankheiten wie Stoffwechselproblemen, Atemwegsleiden und Erkrankungen der Sinnesorgane besonders selten geprüft.

Das fehlende Wissen aber hat Folgen. Durch Verwendung nicht zugelassener Arzneien komme es etwa doppelt so häufig zu unerwünschten Nebenwirkungen, die zum Teil lebensbedrohlich seien, beklagt Hannsjörg Seyberth. Denn Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene, für die man die Dosis per Dreisatz über das Körpergewicht umrechnen kann.

Ihr Stoffwechsel unterscheidet sich je nach Alter von dem Erwachsener. So arbeiten Niere und Leber von Neugeborenen und Säuglingen in der Regel langsamer. Dadurch bleiben viele Wirkstoffe sehr lange im Körper - eine Überdosis droht. Dagegen verstoffwechseln Kindergartenkinder Wirkstoffe deutlich schneller als Erwachsene. Sie bekommen daher häufig zu niedrig dosierte Arzneimittel.

Aber selbst wenn ein Medikament eigens für Kinder zugelassen ist, bedeute dies "nicht zwingend, dass die Anwendung bei Kindern umfassend untersucht wurde", gibt Mühlbauer zu bedenken. Früher hätten Arzneien erheblich leichter eine Zulassung bekommen als heutzutage.

Somit sind auch die altbewährten und rezeptfrei erhältlichen Husten- und Erkältungsmittel für Kinder "nicht sicher", wie Seyberth warnt. "Vor diesem Missstand sind selbst die Klassiker Paracetamol und Salbutamol nicht gefeit." So wurde das Hustenmittel Clobutinol erst im August 2007 vom Markt genommen, weil es Herzrhythmusstörungen auszulösen droht. Bis dahin war es Kindern mehr als 40Jahre lang verschrieben worden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: