Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Mathe schützt vor Dummheit nicht

  • Wer mit guter mathematischer Fähigkeit gesegnet ist, neigt eher dazu, Daten zur gewünschten Auslegung zu verdrehen, zeigt ein Experiment australischer Forscher.
  • Die Psychologen präsentierten 500 Probanden fiktive Grafiken zur Abschaltung von Kraftwerken und den Auswirkungen auf die CO₂-Emissionen.
  • Je nach politischer Überzeugung legten die Teilnehmer die Informationen ganz anders aus. Eine hohe Bildung verstärkte die Polarisierung sogar.

Von Sebastian Herrmann

Bildung schützt vor Doofheit nicht. Im Gegenteil, ein guter Schulabschluss oder ein Universitätsstudium können erst recht dazu treiben, sich in Torheiten zu verrennen. Überspitzt formuliert ließe sich sagen: Bildung und Intelligenz verleihen einem das Rüstzeug, um den größten Quatsch zu rechtfertigen und als heilige Wahrheit zu verkaufen. Das zeigen gerade - abermals - einige aktuelle Studien. So haben zum Beispiel die Sozialwissenschaftler Matthew Nurse und Will Grant von der Australian National University, Canberra, im Fachjournal Environmental Communication demonstriert: Wer mit guter mathematischer Fertigkeit gesegnet ist, kann Daten zum Klimawandel noch leichter zu der von ihm gewünschten Auslegung verdrehen. Mentale Akrobatik gelingt eben am besten, wenn der Geist gut trainiert und geschmeidig gehalten wird.

Die australischen Wissenschaftler legten ihren etwas mehr als 500 Probanden fiktive Daten zu Städten vor, deren Regierungen im Handstreich Kohlekraftwerke hatten schließen lassen. Die Aufgabe bestand darin, die Auswirkungen dieser drastischen politischen Maßnahme zu bewerten. Anhand von für die Studie unterschiedlich manipulierten Grafiken sollten die Teilnehmer also sagen, ob die Schließung der Kraftwerke zu einer nennenswerten Reduktion der CO₂-Emissionen in den Städten geführt hatte.

Besonderen Einfluss auf die Antworten der Teilnehmer hatten deren politischen Einstellungen: Konservative neigten dazu, die erzwungene Schließung der Kraftwerke als weitgehend wirkungslos zu deuten; und Linke legten die Grafiken als Beleg dafür aus, dass die Maßnahme den Ausstoß von Kohlendioxid signifikant reduziert habe. Mathematische Bildung beziehungsweise besondere Rechenfertigkeiten, so berichten Nurse und Grant, verstärkten diese Polarisierung entlang der politischen Bruchlinien. Wer gut mit Zahlen umgehen konnte, legte die Grafiken erst recht in seinem gewünschten Sinne aus - egal, ob sich seine politische Heimat links oder rechts der Mitte befand.

Ein Uniabschluss verleiht einem das Rüstzeug, um die Gegenseite höchst kreativ zu dämonisieren

Die Ergebnisse legten nahe, dass auch hochgradig rechenfertige Menschen es unter Umständen bevorzugten, lieber eine gewünschte als eine wirkliche Wahrheit zu sehen, sagen Grant und Nurse. Die beiden Forscher replizieren damit quasi Ergebnisse einer Studie, die Psychologen um Dan Kahan von der Yale University 2017 im Fachjournal Behavioural Public Policy veröffentlicht haben. Auch diese Arbeit zeigte: Geht es um ideologisch relevante Fragen, wirkt Zahlenfertigkeit als Polarisationsbeschleuniger. Ging es um ein politisch neutrales Thema - im Fall der Studie war das die Wirksamkeit einer Salbe - , waren mathematisch bewanderte Probanden deutlich besser darin, eine weitgehend objektive Bewertung von Daten abzugeben. Sollten sie hingegen (vermeintliche) Ergebnisse zur Wirkung von Waffengesetzgebung bewerten, zeigte sich ein anderes Bild. In den USA ist das ein hochumstrittenes Politikfeld, und in diesem Fall halfen gute Mathekenntnisse den Probanden, sich die Ergebnisse in ihrem Sinne hinzubiegen.

Ergebnisse einer aktuellen Studie namens The Perception Gap fügen sich in das gleiche Raster. Die Anhänger der beiden großen US-Parteien - Republikaner und Demokraten - haben demnach vollkommen überzogene Vorstellungen davon, welche Ansichten die jeweils andere Seite wirklich vertritt. Auch da zeigte sich, dass die am besten gebildeten US-Bürger sich am weitesten verstiegen und die andere Seite am stärksten dämonisierten. Anhänger der Demokraten mit einem Universitätsabschluss unterstellten Republikanern zum Beispiel besonders wilde und unzutreffende Ansichten.

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Quelle:
SZ vom 25.06.2019
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