Materialwissenschaft:Die Verwandlung

Feuerfest, magnetisch, keimresistent und außerdem noch klimaneutral - was für ein Stoff! Dabei stammt er nicht aus der Fabrik, sondern aus dem Wald: Materialforscher verschaffen dem Holz ganz neue Eigenschaften.

Von Joachim Laukenmann

Es duftet nach Holz, es sieht aus wie Holz, und es ist auch Holz. Aber was Wissenschaftler im Wohnmodul Vision Wood verwirklicht haben, lässt sich treffend als die wundersame Verwandlung von Holz beschreiben. Denn hier besitzt der alte Werkstoff Eigenschaften, die man ihm bislang nicht zugetraut hat.

Tanja Zimmermann schlurft mit den viel zu großen Filzpantoffeln, die sie über ihre Schuhe gezogen hat, zu einer Pinnwand in der Küche des Vision Wood. Die Leiterin der Abteilung Angewandte Holzforschung der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) bei Zürich heftet einen Magnet-Pin an. Erst bei genauerer Betrachtung sieht man, dass die Pinnwand aus wenigen Zentimeter großen, schwarzbraunen Holzquadern zusammengesetzt ist. "Die Pinnwand besteht aus magnetisierbarem Holz", sagt Zimmermann. Das Verfahren zur Einlagerung von Eisenoxidpartikeln in die Zellen des Holzes hat die Empa gemeinsam mit der Forschungsgruppe von Ingo Burgert von der ETH Zürich entwickelt.

Slice through a figured oak tree; Holz

Die Struktur einer Eiche.

(Foto: Photographer's Choice/Getty Images)

Das magnetisierte Holz ist nur ein Beispiel, wie Holz im Vision Wood als Hightech-Werkstoff verwendet wird. Die gesamte Holzkonstruktion besteht nicht, wie beim modularen Holzbau üblich, aus Nadelholz, sondern aus Buchenbrettsperrholz. "Gewöhnlich kommt Buchenholz als Konstruktionsholz nicht infrage", sagt Zimmermann. "Denn schwankenden Temperaturen und einer variablen Luftfeuchtigkeit ausgesetzt, verzieht sich Buchenholz und bildet Risse." Dabei würde es sich wegen der hohen Festigkeit hervorragend für tragende Konstruktionen eignen. Ein vom Industriepartner Fagus Jura entwickeltes Verfahren erlaubt es nun, Buchenholz für Wände und Decken einzusetzen. Zimmermann streicht mit ihrer Hand über eine Holzwand aus Buchenholz. "Die Oberfläche ist geseift, aber ansonsten naturbelassen. Im Gegensatz zu lackiertem Holz sorgt das für eine angenehme Holz-Haptik", sagt Zimmermann.

Sie geht hinüber zum Schlafzimmer und öffnet die Tür. In das Holz der Türblätter wurde Kalziumkarbonat eingebracht, um die Brandhemmung zu erhöhen. Solches Holz wäre für mehrstöckige Holzbauten interessant, um auch dort einen besseren Brandschutz zu gewährleisten. Ebenfalls könnte feuerfesteres Holz mit natürlicher Oberflächenstruktur auf Yachten oder in Privatjets zum Einsatz kommen. Die Türklinke zum Schlafzimmer ist aus speziellem Eichenholz gefertigt: In die Holzstruktur eingebautes Jod macht es antibakteriell.

Eine weitere Überraschung ist nebenan im Bad anzutreffen. Zimmermann dreht den Wasserhahn auf und lässt Wasser ins Waschbecken rinnen. Es ist ebenfalls aus Holz. Eine spezielle Oberflächenbehandlung mit Metalloxid erzeugt eine Art Lotuseffekt: Das Wasser perlt ab, als wäre das Holzbecken aus Keramik. Im Bad des Vision Wood ist solches Holz sogar in die Duschwand integriert.

Schließlich geht Zimmermann auf die Terrasse und zeigt auf Möbel und den Bodenbelag: "Hier setzen wir Bambus-Komposite ein, die wir in Zusammenarbeit mit der Firma Rehau und dem Future Cities Lab der ETH Zürich entwickelt haben." Bambus-Komposite hätten extrem gute mechanische Eigenschaften. So erreichen sie etwa die vierfache Zugfestigkeit von Holz und sind in dieser Hinsicht mit Baustahl vergleichbar.

Auch an der Fassade des Gebäudes findet sich Holz. Hier testen die Forscher diverse Beschichtungen. In einem Bereich ist die Holzschalung mit aus Pilzen gewonnenem Melanin behandelt. Das sorgt für einen natürlichen UV-Schutz und verhindert ein Nachdunkeln. Eine andere Beschichtung enthält ein Netzwerk aus feinsten Zellulosefasern (mikrofibrillierte Zellulose), in denen UV-Absorber gleichmäßig verteilt sind. So soll der Lichtschutz verbessert und das Holz nicht so schnell grau werden. Eine Kopplung von Jod an das Holz verhindert in einer anderen Behandlung die Besiedlung durch Mikroorganismen.

Mikrofibrillierte Zellulose kann auch anstelle der anorganischen Kieselsäure in Silikon verwendet werden, um die Viskosität der Paste stark zu erhöhen und die mechanischen Eigenschaften des Silikons zu verbessern. Solche Silikonabdichtungen finden sich zum Beispiel im Bad des Vision Wood. Auch in den Außenwänden der Fassade steckt eine Neuentwicklung: Isolationsmaterialien aus Holzfasern, in denen wenig oder kein Bindemittel steckt und die daher besonders umweltfreundlich sind. "Mit neuen Funktionen versehen, ist eine Anwendung von Holz in fast allen Lebensbereichen möglich", sagt Zimmermann.

Künftig werden im Vision Wood zwei Doktoranden wohnen und ihre Erfahrungen dokumentieren. Zudem sind Messgeräte installiert, welche zum Beispiel die Feuchtigkeit und die Bewegungen in den Buchenwänden messen. So lässt sich feststellen, ob sie den Belastungen des Alltags standhalten.

Der tiefere Sinn für Zimmermanns Forschung ist im Wald zu finden. Rund 120 Millionen Kubikmeter Holz wachsen in Deutschland pro Jahr nach. Gemäß Daten der dritten Bundeswaldinventur werden 87 Prozent dieser Menge genutzt. Die restlichen 13 Prozent vergrößern den Holzvorrat. Aber ausgerechnet bei der für das Konstruktionsholz wichtigen Fichte liegen Holznutzung und natürliches Absterben um 15 Prozent über dem Zuwachs. Die Reserve an Fichtenholz geht also zurück. Insbesondere Buchenholz ist in den Wäldern jedoch reichlich vorhanden, wird aber wenig genutzt, allenfalls als Brennholz oder für Möbel. "Mit der Anwendung als Konstruktionsholz wollen wir der Nutzung von Buchenholz Aufschwung verleihen", sagt Zimmermann. Auch die anderen Hightech-Anwendungen bieten hochwertige und nachhaltige Einsatzmöglichkeiten für heimische Holzarten.

Im Labor arbeiten Zimmermann und ihre Kollegen bereits daran, dem Holz weitere Eigenschaften zu verleihen: Schwämme aus Nanozellulose, die das 50-Fache ihres Eigengewichts an Öl aufnehmen können; Holz, das elektrischen Strom leitet; 3-D-Druck mit Zellulose, etwa um Knorpel nachzudrucken; Geigen, die dank Pilzbehandlung des Holzes bessere Klangeigenschaften besitzen. "Wie viel heimisches Holz wir dank dieser neuen Anwendungen künftig tatsächlich nutzen können", sagt Zimmermann, "ist aber derzeit noch schwer zu sagen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: