Massentierhaltung:Hähnchenfleisch mit resistenten Keimen verseucht

Die Umweltorganisation BUND hat Geflügelfleisch aus dem Supermarkt untersucht - mit erschreckendem Ergebnis: Mehr als die Hälfte aller Proben enthielt Krankheitserreger, die gegen etliche Antibiotika resistent sind. Die Umweltschützer machen die industrielle Tierhaltung für diese Entwicklung verantwortlich.

Antibiotika sind ein lebenswichtiges Mittel im Kampf gegen viele Infektionskrankheiten, doch aufgrund falscher und zu häufiger Verwendung entwickeln immer mehr gefährliche Keime eine Resistenz gegen die Medikamente. Nicht zuletzt der Einsatz der Mittel in der Massentierhaltung stellt ein großes Risiko dar - wie offenbar eine Studie des BUND einmal mehr bestätigt.

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Hähnchenfleisch aus dem Supermarkt ist häufig mit Keimen belastet, die gegen Antibiotika resistent sind. Das belegt, wie problematisch der Einsatz der Mittel in der Massentierhaltung ist.

(Foto: dpa)

Die Umweltschützer haben bundesweit zwanzig Stichproben von Fleischprodukten von vier großen Hähnchenfleischproduzenten getestet, die sie im Dezember 2011 in großen Discountern und Supermärkten in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und der Umgebung von Stuttgart gekauft hatten.

Wie sie nun berichten, enthielten Produkte der Firmen Wiesenhof, Stolle und Sprehe Bakterien, die bereits gegen Antibiotika resistent sind. So identifizierten die Fachleute der Organisation in neun Fällen sogenannte ESBL-produzierende Darmkeime, in einem Fall MRSA-Keime (Methicillin-resistente Spahylococcus aureus) und in einem weiteren Fall sogar beide Bakterien in den Produkten der drei größten Herstellern von Hähnchenfleisch in Deutschland.

Eine unmittelbare Gesundheitsgefahr besteht durch den Verzehr der Produkte zwar nicht - insbesondere wenn sie ausreichend erhitzt werden. Doch je weiter sich die multiresistenten MRSA-Keime verbreiten, desto höher wird das Risiko insbesondere für Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Patienten auf Intensivstationen, dass die Bakterien über Wunden in den Körper gelangen und gefährliche Wundinfektionen, eine Blutvergiftung oder eine Lungenentzündung auslösen. Aufgrund der Resistenz gegen mehrere Antibiotikagruppen wird es zunehmend schwierig, den Erreger, der vor allem in Krankenhäusern auftritt, zu bekämpfen.

Keime nisten sich im Darm ein

Die Gefahr, die von ESBL-produzierenden Bakterien ausgeht, besteht darin, dass sie sich im Darm einnisten und dort Enzyme produzieren, die Antibiotika unwirksam machen. Dadurch wird der Kampf gegen andere Bakterien erschwert. Auch ist es möglich, dass die Keime außerhalb des Darms - etwa in der Harnröhre - Infektionen auslösen, die sich dann nur schlecht behandeln lassen. Darüber hinaus gehen die Fachleute davon aus, dass andere Keime die Fähigkeit, ESBL zu produzieren, übernehmen und schließlich an Erreger wie Salmonellen weitergeben.

Eine Infektion lässt sich vermeiden, wenn Fleisch ausreichend erhitzt wird. Auch sollte man darauf achten, Utensilien nach der Zubereitung von Fleisch zu säubern, um die Erreger nicht auf andere Lebensmittel wie Rohkost zu übertragen.

"Erschreckende Folge des fortgesetzten Antibiotika-Missbrauchs"

Die Untersuchung belegt nach Einschätzung von Hubert Weiger, dem BUND-Vorsitzenden, vor allem "die erschreckende Folge des fortgesetzten Antibiotika-Missbrauchs" in der Massentierhaltung. "Dieser ist nicht nur dafür verantwortlich, dass wichtige Medikamente ihre lebensrettende Wirkung verlieren können. Das Ausmaß der Kontamination von Lebensmitteln mit Krankenhauskeimen ist ein deutliches Warnsignal vor den Kollateralschäden der industriellen Tierhaltung."

Kurz bevor der BUND die Untersuchung vorstellte, hatte ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums dem Hamburger Abendblatt erklärt, Ministerin Ilse Aigner (CSU) werde im Bundeskabinett noch diese Woche einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorlegen mit dem Ziel, den Einsatz von Antibiotika deutlich zu reduzieren. Ob das Ministerium damit bereits vorab auf die Kritik der Umweltschützer reagierte, ist unklar. Aigner war die bevorstehende Veröffentlichung jedenfalls bekannt.

Weiger rief Aigner auf, dafür zu sorgen, dass die industrielle Tierhaltung "endlich zurückgedrängt" werde. Subventionen für die industrielle Fleischerzeugung müssten abgeschafft und die Haltungsbedingungen für Nutztiere entscheidend verbessert werden.

Die Agrarexpertin des BUND, Reinhild Benning, forderte, dass die Ministerin umfassende Daten über die Keimbelastung von Lebensmitteln erheben und offenlegen solle. "Hähnchen, Hühner, Schweine und Kälber leiden millionenfach unter inakzeptablen Haltungsbedingungen und erkranken daran. Bekämen sie keine Antibiotika verabreicht, würden sie in vielen Fällen nicht bis zum Schlachten durchhalten. Selbst gesunde Tiere bekommen die Antibiotika, weil in der industriellen Tierhaltung in der Regel ganze Tierbestände damit behandelt werden", sagte Benning.

BUND-Vorsitzender Weiger rief die Handelsketten und Supermärkte auf, von ihren Fleischlieferanten zu verlangen, dass diese umgehend zu Tierhaltungsformen ohne Antibiotika-Missbrauch wechseln.

Aigner will Arzneimittelgesetz ändern

Bereits im November 2011 hatte das Bundesministerium für Landwirtschaft erklärt, es werde ein Maßnahmenpaket geben, mit dem der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung besser erfasst und die Datennutzung neu geregelt werden solle.

Der Sprecher des Ministeriums betonte nun, Ziel sei es, "den Einsatz von Antibiotika auf das zur Behandlung von Tierkrankheiten absolut notwendige Maß zu beschränken und die Befugnisse der zuständigen Kontroll- und Überwachungsbehörden der Bundesländer deutlich zu erweitern". Gleichzeitig appellierte das Ministerium an die Bundesländer, die Kontrollen zu verstärken.

Das Ministerium hatte im vergangenen Jahr auf Studien aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen reagiert, die gezeigt hatten, dass Geflügelbetriebe in der Hähnchenmast häufig viel zu viel Antibiotika einsetzen. In NRW etwa waren 96,4 Prozent aller Tiere aus den untersuchten Betrieben mit den Medikamenten behandelt worden. Deshalb hatte Ministerin Aigner erklärt, eine Regelung, die die Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes in Geflügelbetrieben reduziert, solle aufgehoben werden.

Auch wolle man erreichen, "dass die Medikamente richtig angewendet werden, und der Einsatz nicht vorzeitig abgebrochen wird", hatte Aigner erklärt. Um Bakterien im gesamten Geflügelbestand eines Betriebes auszumerzen, ist es notwendig, alle Tiere mehrere Tage zu behandeln, da die Erreger sonst Resistenzen gegen die Antibiotika entwickeln können.

Die Forderungen des BUND gehen über solche Pläne jedoch hinaus. So sollten wichtige Medikamente für Menschen in der Tiermedizin grundsätzlich nicht mehr eingesetzt werden. Darüber hinaus müsse der Missbrauch von Antibiotika strenger bestraft werden und Steuergelder sollten nicht mehr in die Subventionierung der Massentierhaltung fließen. Stattdessen müsse die alternative Tierhaltung sowie die regionale Verarbeitung und Vermarktung von Produkten aus alternativen Tierhaltungen gefördert werden.

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