Massaker in den USA:Wie sich Amokläufe verhindern lassen

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Stärkere Waffenkontrolle fordern diese Demonstranten vor dem Weißen Haus in Washington. Es gibt jedoch noch weitere wichtige Ansätze, um Amokläufe zu verhindern. (Foto: AFP)

Die Gefahr von Amokläufen kann gemindert werden. Doch es geht nicht nur um ein Verbot von Waffen. Notwendig ist eine Kultur des Respekts, der Offenheit und des Zuhörens in Schulen und Gemeinden. Das zeigen jene Fälle, in denen geplante Schulmassaker aufgedeckt und verhindert wurden.

Ein Gastbeitrag von Jeffrey Daniels

Columbine. Erfurt. Virginia Tech. Jokela. Sandy Hook. Die Liste von Massakern an Schulen wächst weiter, trotz vieler Bemühungen, solch sinnlose Gewalt zu verhindern. Diese Ereignisse werfen viele Fragen auf, doch es gibt nur wenige Antworten.

Manche Leute sprechen von einer epidemieartigen Ausbreitung von Schießereien an Schulen. Es stimmt zwar, dass tödliche Gewalt an Schulen seit den Neunzigerjahren langsam gestiegen ist, doch Amokläufe mit vielen Opfern sind statistisch gesehen selten.

Der Psychologe Dewey Cornell hat die Statistiken über Tötungsdelikte an Schulen eingeordnet: 1999, im Jahr des Columbine-Amoklaufs, starben in den Vereinigten Staaten 21.373 Kinder und Jugendliche im Alter von fünf bis 19 Jahren. 17 von ihnen wurden in einer Schule ermordet, was 0,08 Prozent der Todesfälle entspricht. Statistisch gesehen ist die Schule nach wie vor der sicherste Ort für Kinder - doch natürlich ist auch ein einziger Amoklauf einer zu viel.

Tödliche Gewalt an Schulen ist allerdings kein neues Problem. Elizabeth Midlarsky and Helen Marie Klein haben bei ihren Forschungen herausgefunden, dass sich der erste Schulamoklauf 1646 in Frankreich ereignete. Das Schulmassaker mit den meisten Toten in der US-Geschichte fand 1927 statt, als ein Mann mit Bombenanschlägen in Bath, Michigan, 45 Menschen tötete, unter ihnen 37 Kinder.

Die meisten Menschen interessiert vor allem die Frage: warum? Darauf gibt es keine einfache Antwort. Jede Person, jeder Vorfall ist anders. Obwohl wir in den vergangenen 15 Jahren viel über das "Warum" herausgefunden haben, bleibt einiges zu tun.

Nach dem Amoklauf an der Columbine High School haben Wissenschaftler gemeinsam mit dem FBI in einer Studie 36 Faktoren identifiziert, die für Massaker an Schulen ursächlich waren. Es geht dabei um psychologische, soziale, schulische und familiäre Faktoren. Die Studie hat auch gezeigt, dass es ein Profil des typischen "Schul-Amokläufers" nicht gibt: Sie haben alle möglichen soziodemografischen Hintergründe; manche waren Einzelgänger, andere nicht; manche wurden schikaniert, andere waren selbst Aggressoren.

Es gibt allerdings Warnsignale. Die meisten Schüler, die zu Amokläufern wurden, haben andere absichtlich oder versehentlich von ihren Plänen informiert. Diese anderen Schüler haben in der Mehrzahl der Fälle keinen Erwachsenen informiert. Dass es dieses "Verschwiegenheitsgebot" gibt, mag damit zusammenhängen, dass Schüler keine "Verräter" sein wollen, es kann darauf hindeuten, dass sie nicht darauf vertrauen konnten, dass der Erwachsene helfen würde - oder dass der Informant befürchtete, nicht ernst genommen zu werden.

Eric Harris and Dylan Klebold, die Amokläufer an der Columbine High School, hatten für ein Klassenprojekt ein Video aufgenommen, das sie dabei zeigte, wie sie an ihrer Schule Menschen umbrachten.

Können Amokläufe an Schulen verhindert werden? Unmittelbar nach einem Massaker werden immer Rufe nach einer einfachen Lösung laut. Nach Columbine wurden die Auswirkungen von Mobbing diskutiert. Viele Wissenschaftler haben sich mit Präventionsmöglichkeiten beschäftigt.

Das ist ehrenwert, doch Mobbing war nur eine der 36 Variablen, die in der FBI-Studie identifiziert wurden. Seit dem Massaker an der Sandy-Hook-Grundschule steht nun die Waffenkontrolle im Vordergrund. Nun mag ein Verbot von halb automatischen Gewehren das Ausmaß des Blutbads beschränken, doch es gibt auch in Ländern mit sehr strengen Waffengesetzen Massaker an Schulen.

Es können nicht alle Amokläufe verhindert werden. Aber wir können an Schulen und in den Gemeinden Bedingungen schaffen, durch die solche Vorfälle weniger wahrscheinlich werden. Meine Studenten und ich haben Fälle untersucht, in denen geplante Schulmassaker aufgedeckt und verhindert wurden.

Wir fanden Gemeinsamkeiten zwischen diesen Schulen, die in direktem Kontrast zu dem stehen, was über Schulen herausgefunden wurde, an denen sich ein Massaker ereignet hatte.

  • In der FBI-Studie wird als eine Ursache für die Gewalttaten genannt, dass an den Schulen respektloses Verhalten und die Bedrohung anderer toleriert wurden. An Schulen, in denen ein Massaker verhindert werden konnte, fanden wir dagegen eine Atmosphäre, in der respektloses Verhalten jeder Art nicht geduldet wurde; es gab hier klare Regeln, deren Einhaltung auch durchgesetzt wurden.
  • An vielen Schulen, an denen ein Amoklauf stattfand, gab es eine ungerechte Bestrafungskultur; beliebte Schüler kamen mit Verhaltensweisen davon, für die andere bestraft wurden. An Schulen, bei denen ein geplantes Massaker aufgedeckt wurde, wurde niemand bevorzugt behandelt.
  • Drittens hatten die Schulen, die Schauplatz eines Amoklaufs wurden, eine Kultur der Erstarrtheit, sie hatten nicht mehr auf gesellschaftliche Veränderungen in ihrer Umgebung reagiert. Schulen, die einen Amoklauf verhindert haben, hatten sich dagegen ausdrücklich bemüht, noch mehr Teil ihrer Gemeinde und damit einer Gemeinschaft zu werden. Die Schulleitung sprach darüber, wie wichtig es ist, flexibel und offen für Veränderungen zu sein.
  • Und schließlich gab es an vielen Schulen das erwähnte Verschwiegenheitsgebot. An den Schulen, die wir besucht haben, berichtete uns die Schulleitung dagegen von Bemühungen, dieses Gebot zu brechen, indem die Schule Beziehungen mit allen Schülern aufbaute. Die Erwachsenen behandelten Schüler mit Würde und Respekt; sie nahmen ihr Mittagessen gemeinsam mit den Schülern ein, sie hörten den Schülern zu. Und sie bemühten sich, jeden Schüler zu unterstützen.

Ich habe ein Interview mit einer Polizistin geführt, die an einer Schule stationiert war und die beispielhaft für dieses Verhalten war. Einmal hatte sie ein Mädchen zur Rechenschaft gezogen, das häufig in Auseinandersetzungen verwickelt war. Aus Frustration fragte sie schließlich: "Was willst du denn - jeden Tag in den Arm genommen werden?" Das Mädchen fing zu weinen an - und antwortete "ja". Da wurde der Polizistin klar, dass das Mädchen zu Hause keine positive Aufmerksamkeit bekam - und begann, nach dem Mädchen Ausschau zu halten und sie jeden Tag in den Arm zu nehmen.

Mehr Sicherheit an Schulen zu erreichen, ist ein Kraftakt, den Schule und die lokale Gemeinschaft gemeinsam leisten müssen. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber es gibt ein paar einfache Dinge, die Lehrer und Eltern tun können, um in Kontakt mit ihren Kindern zu kommen. Je mehr sich Kinder eingebunden fühlen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Probleme melden und desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie gewalttätig werden.

Jeffrey A. Daniels, 47, ist Dozent für Psychologie an der West Virginia University. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Prävention tödlicher Gewalt an Schulen und die Motive von Geiselnehmern. Übersetzung: Claudia Henzler

© SZ vom 18.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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