Marsroboter "Curiosity":Mit Atomkraft im Weltall

Der Marsrover "Curiosity" gewinnt seinen Strom aus einem Plutonium-Generator. Die heikle Technik bietet viele Vorteile, doch für künftige Missionen geht der Nasa das Material aus - und der US-Kongress blockiert die Pläne, Nachschub zu produzieren.

Christopher Schrader

Über den Autoverkehr auf dem Mars kann sich niemand beschweren. Zurzeit sind auf dem ganzen Planeten nur zwei Fahrzeuge unterwegs, der ältere Nasa-Rover Opportunity und der neue Curiosity. Zwei weitere stehen mit kaputter Technik irgendwo herum. Parkplatzsorgen, Autobahndrängler oder Tempolimits gibt es dort nicht, und Abgase sind auch kein Problem: Jedes der Autos hat einen Elektroantrieb.

Curiosity wird durch Atomkraft angetrieben

Curiosity hat er einen sogenannten Radioisotopen-Generator an Bord. Er enthält Plutonium.

(Foto: dpa)

Doch gerade in diesem Aspekt hat sich mit Curiosity ein Wechsel der Technologie vollzogen, über den die Nasa einerseits froh ist, der ihr aber auch Sorgen macht. Alle seine Vorgänger hatten Solarzellen auf dem Rücken, die den Antriebsmotoren und überhaupt der ganzen Elektronik ihre Energie lieferten. Bei Opportunity und seinem verlorenen Zwilling Spirit lagen die Module auf dem Rücken wie die halb-gespreizten Flügel überdimensionaler Käfer. Die Rover mussten stets vor dem Winter so am Hang geparkt werden, dass die tief stehende Sonne genug Energie lieferte, damit die Innereien nicht einfroren. Mit Sonnenkraft soll 2016 auch die soeben ins offizielle Programm aufgenommene Nasa-Sonde Insight ihre Erkenntnisse über tiefere Schichten des Marsbodens gewinnen und zur Erde funken.

Der neue, weithin bejubelte Nasa-Rover Curiosity gewinnt seine Energie hingegen aus Atomkraft. An Bord hat er einen sogenannten Radioisotopen-Generator, der Plutonium enthält. Es ist nicht die Variante des künstlich erzeugten Schwermetalls, aus der sich Bomben bauen lassen (PU-239, so die chemische Abkürzung). Stattdessen haben die Nasa-Ingenieure 3,6 Kilogramm Plutonium-238 verwendet. Es hat eine Halbwertszeit von 88 Jahren und setzt beim Zerfall Wärme frei, die dann zu Strom verwandelt und in Batterien zwischengespeichert wird.

Das ist eine bewährte Technik; um die 20 Mal hat die Nasa bereits Raumschiffe mit einer solchen Energieversorgung ins All geschickt. Darunter sind der Saturn-Orbiter Cassini und die beiden Voyager-Sonden, die nach 35 Jahren Flug an der Grenze des Sonnensystems angekommen sind - und immer noch Strom haben. Sonnensegel, die der Raumstation ISS ihre Elektrizität liefern, wären da draußen nutzlos.

Aber ob die Nasa diese Energieversorgung für weitere Missionen nutzen kann, etwa einen geplanten Flug zum Jupitermond Europa, ist zurzeit offen. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben die USA kein PU-238 hergestellt. Eine Weile lang konnten sie Russland welches abkaufen, aber die Quelle ist versiegt. Offenbar haben die Amerikaner nur noch wenige Kilogramm des Energiestoffs übrig, klagen Experten, genug für höchstens eine weitere Mission. Bis zum Ende des Jahrzehnts komme die Nasa noch klar - dann ist Schluss.

Gerüchte über immense Kosten

Die Raumfahrer und die an der Planetenforschung interessierten Wissenschaftler haben das Problem schon vor Jahren erkannt, aber noch keine Lösung gefunden. Nach wie vor sperrt sich der Kongress, die nötigen Mittel für einen Neustart der PU-238-Produktion freizugeben. "Das ist verrückt. Dem Punkt, an dem wir nichts mehr haben, so nahe zu kommen, ist unverantwortlich", erregt sich Alan Stern vom Southwest Research Institute auf der Webseite space.com. "Das ist so, als hätte man ein Auto, aber kein Benzin", ergänzt Ralph McNutt von der Johns Hopkins University. Er hat 2009 die Arbeit an einem Report des Nationalen Forschungsrats geleitet, der die Probleme für die Nasa beschrieben hat.

2010 hat das Energieministerium dem Kongress einen Plan vorgelegt. Es wollte sich die Kosten von voraussichtlich 75 bis 90 Millionen Dollar mit der Nasa teilen. Aber die Abgeordneten in Washington haben nicht angebissen. Weil die Budgets der beiden Behörden in verschiedenen Ausschüssen behandelt werden, stockte das Verfahren im Vorfeld. Inzwischen hat zwar die Nasa zehn Millionen Dollar bewilligt bekommen. Aber das Energieministerium erhält das Geld nicht, weil die Parlamentarier nicht recht einsehen, warum die Nasa aus Mitteln der Atomforschung subventioniert werden soll. Zudem glauben die Abgeordneten den Kostenschätzungen offenbar nicht. Längst kursieren Zahlen, am Ende werde die Produktion 150 Millionen in den ersten fünf Jahren verschlingen.

Der offizielle Plan sah vor, einen der großen Reaktoren des Energieministeriums für die Herstellung zu benutzen. In diesen sollte ein Batzen des Isotops Neptunium-237 gestellt werden, das selber durch Kernreaktionen entstanden ist. Wenn es ein Jahr lang im Reaktorkern mit Neutronen bombardiert wird, sollten sich bis zu 15 Prozent der Neptunium-Atome in Plutonium-238 verwandelt haben. Sie müssten dann mit Methoden der Radiochemie unter Strahlenschutz isoliert werden.

Die Produktion wieder aufzunehmen, hätte mindestens fünf Jahre gedauert; das Ziel von Nasa und Energieministerium war es, von 2016 an wieder 1,5 bis zwei Kilogramm pro Jahr zu erzeugen. Der ursprüngliche Zeitplan ist längst Makulatur, aber das Ministerium erklärt seit April, man habe wieder angefangen. Das klingt nach Pfeifen im dunklen Wald, aber der Erfolg der Curiosity-Mission gibt den Raumfahrern neue Argumente in die Hand.

Die bisherigen Methoden sind nicht das letzte Wort zum Thema Stromerzeugung für Raumschiffe. Die Nasa entwickelt selbst effizientere Geräte, um aus der Wärme Elektrizität zu gewinnen. Bisher verwendet sie Thermoelemente, bei denen an der Grenzfläche zweier verschiedener erwärmter Metalle eine Spannung entsteht. Demnächst kommt womöglich ein Stirlingmotor zum Einsatz, der einen höheren Wirkungsgrad hat. Im Inneren einer erhitzten Röhre würde dann ein Stempel 100 Mal pro Sekunde auf- und abwippen und in Drahtwindungen einen Wechselstrom erzeugen. Der Nachteil wäre: Es ist ein bewegtes Teil, das störungsanfällig ist. Der immense Vorteil aber könnte sein, dass die Plutonium-Vorräte länger halten, weil die Raumschiffe mehr Strom aus weniger strahlendem Schwermetall gewinnen.

Auch für dessen Produktion gibt es neue Vorschläge. Statt viel Neptunium lange in den Reaktor zu stellen, damit es sich in Plutonium verwandelt, sollen viele kleine Mengen innerhalb weniger Tage durch eine Röhre um die Brennelemente wandern, hat ein Team um Michael Howe vom Zentrum für nukleare Raumforschung in Idaho Falls vorgeschlagen. Der Vorteil seiner Methode wäre, dass sich in den Proben nicht so viel Verunreinigung ansammelt, sagt er. Die Produktion könnte zudem in einem kleinen Reaktor stattfinden und deswegen auch viel billiger sein.

Wie gefährlich ist das Plutonium?

Womöglich ließe sich das Verfahren sogar privatisieren. Eine Firma würde der Nasa dann das fertige Plutonium-238 für sechs Millionen Dollar pro Kilogramm verkaufen - deutlich weniger, als die Russen verlangt hatten. Bei diesem Plan ist nicht jedem wohl, schließlich bekäme dann ein Privatunternehmen unkontrollierten Zugriff auf einen Reaktor, die Wiederaufbereitungstechnik und den Rohstoff Neptunium-237, ein bombenfähiges Material. "Wenn man ein Profitinteresse hat, fängt man an, die Dinge nicht mehr so genau zu nehmen", sagte Bruce Gagnon von der Protestgruppe "Global Network against Weapons and Nuclear Power in Space" dem britischen Magazin New Scientist.

Ohnehin lösen die Starts von Raumschiffen mit Plutoniumgeneratoren regelmäßig Sorgen und Proteste aus. 1964 war ein Satellit der US-Marine beim Start abgestürzt und hatte etwa ein Kilogramm des hochgiftigen und radioaktiven Plutoniums in der Atmosphäre verstreut. Seither, so beharrt die Nasa, verwendet sie das Material nicht mehr als metallisches Pulver, sondern nur noch als Oxid und zu einer Art Keramik verbacken. So könne der Stoff höchstens in sichtbare Splitter, aber nicht in inhalierbare Partikel zerbersten. Außerdem seien die Marshmallow-großen Plutoniumkugeln von Metallen und Kunstfaser-Panzern umgeben und so gut geschützt, dass ihnen auch bei Explosionen oder dem Verglühen eines Raumschiffs nichts passiere. Dennoch gab es zum Beispiel 2006 Proteste, als Cassini an der Erde vorbeikam und Schwung für seine Reise zum Saturn holte. Auch der Start der Rakete mit Curiosity weckte Sorgen.

Die Planer von Raumschiffen fangen derweil an, die alte Weisheit zu hinterfragen, wonach Sonnensegel bei Missionen jenseits des Mars nicht in Frage kommen. Zwar beharrt der Nasa-Verantwortliche für Radioisotopen-Generatoren, Len Dudzinski, im amerikanischen National Public Radio: "Weil die USA Zugriff auf Plutonium-238 besitzen, haben wir als Einzige Wissenschaftsmissionen jenseits des Marsorbits geschickt." Seine Behauptung wird vom europäischen Raumschiff Rosetta widerlegt: Es steuert zurzeit weit draußen im All auf den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko zu - versorgt von zwei zusammen 64 Quadratmeter großen Sonnensegeln. Sie sollen noch jenseits des Jupiterorbits fast 400 Watt Strom liefern.

Auch die Nasa selbst hat vor einem Jahr die Juno-Mission gestartet, die mit Sonnensegeln ausgerüstet zum Jupiter fliegt. Außerdem hat Michael Paul von der Pennsylvania State University ein Kraftwerk für Raumschiffe vorgestellt, die auf Himmelskörpern wie der Venus landen, wo dichte Wolken Solarzellen nutzlos machen. Hier könnte eine Sonde Energie gewinnen, wenn sie mitgebrachtes Lithiumpulver mit Kohlendioxid aus der Atmosphäre an ihrem Landeplatz verbrennt.

Allerdings bietet keine der Ideen einem Raumfahrzeug eine Energieversorgung, die jahrzehntelang unbeeinflusst von der Umgebung funktioniert. "Bei manchen Missionen gibt es einfach keine Alternative - Punkt", sagte McNutt vor Kurzem dem New Scientist. "Aber dort, wo wir andere Methoden als radioaktive Energiequellen kennen, sollten wir sie nutzen."

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