Die Geschichte des Anbaus von Marihuana im Norden Kaliforniens klingt zunächst wie eine schöne Anekdote aus dem Handbuch für Hippies. Die Blumenkinder in San Francisco waren in den 1960er-Jahren begeistert von der Qualität der Pflanzen, die etwa 300 Kilometer nördlich im Bezirk Humboldt wuchsen. Es war aufgrund der hügeligen Lage und des milden Klimas, so die einhellige Meinung, das beste Marihuana der Welt.
Ende der 1960er-Jahre dachten deshalb einige Hippies, dass es doch eine prima Idee sei, dem Trubel der Großstadt zu entfliehen, weiter nördlich ein kleines Stück Land zu kaufen und dort in einer Gemeinde mit Gleichgesinnten zu leben, ein bisschen Gras anzubauen und damit das lockere Leben zu finanzieren. Es funktionierte. 120 Jahre nach dem Goldrausch in Kalifornien gab es einen Grünrausch. Noch heute hat das Humboldt-Marihuana eine ausgezeichnete Reputation und wird zu Höchstpreisen verkauft. Doch die schöne Utopie verwandelt sich in einen Albtraum - seit der Besitz von Marihuana zu medizinischen Zwecken entkriminalisiert worden ist.
Derzeit gibt es im Humboldt County mehr als 4100 Plantagen, auf denen gut vier Millionen Marihuanapflanzen wachsen. Bei etwa 135.000 Einwohnern baut jeder 30. Gras an. "Wir haben es nicht mehr im Griff. Es ist zu groß, es ist außer Kontrolle geraten", sagt Mike Downey. Er ist der Sheriff im Bezirk, und ausnahmsweise spricht er diesmal nicht von Verbrechen wie Diebstahl, Raufereien oder Schießereien. Das sind sie gewohnt in Humboldt, das gibt es seit Jahren. Downey betrüben stattdessen eher die massiven ökologischen Probleme, die sich aufgrund des enormen Anbaus von Marihuana andeuten.
Die Betreiber der Plantagen versprühen große Mengen Rattengift - denn Mäuse und Ratten sind wild auf Cannabis. Das hat Folgen: Von den 56 toten Fischermardern, die in den vergangenen Monaten gefunden wurden, waren mehr als 70 Prozent mit Rattengift belastet. Der Fischermarder gilt als gefährdete Spezies. Zudem wurden mehrere kranke Eulen entdeckt, die wegen ihrer Nahrung aus verseuchten Insekten erkrankt sind. "Das ist alarmierend", sagt Downey, "der Fleckenkauz ist ein Indikator für die Gesundheit des Waldes. Und ganz offensichtlich verwenden einige Anbauer illegale Pestizide."
Um mehr Fläche für den Anbau zu gewinnen, wurden in den vergangenen Jahren sogar mit Bulldozern die Gipfel von Hügeln geebnet oder Terrassen in die Hänge geschlagen. Die daraus folgenden Erdrutsche verunreinigen das Wasser in den Flüssen oder trocknen sie aus.
Überhaupt leiden die Gewässer. Scott Bauer arbeitet für das kalifornische Ministerium für Jagd, Fischerei und Naturschutz (California Department of Fish and Wildlife), er kontrolliert einmal pro Monat Flüsse und Bäche in der Gegend: "Bei einem Bach habe ich innerhalb von wenigen Hundert Metern mehr als 15 Umleitungen gefunden, die zu Marihuana-Plantagen führen." Die Pflanzen brauchen gerade im Sommer große Mengen Wasser, viele Züchter zapfen dafür die Flüsse an. "Mindestens vier Bäche werden noch in diesem Jahr austrocknen, bei vielen anderen wird es nicht mehr lange dauern", sagt Bauer.
Das wiederum hat fatale Folgen für die Tierwelt. Im Eel River, einem 320 Kilometer langen Flusssystem, schwammen noch vor einigen Jahren Zehntausende Silberlachse, Königslachse und Regenbogenforellen. Jetzt sind kaum noch welche da, die Flüsse sind quasi leer. "Es wäre unfair, den Anbau von Marihuana für das Aussterben des Silberlachses verantwortlich zu machen", sagt Bauer, "aber man kann durchaus sagen: Andere Faktoren haben das Tier zur Klippe des Aussterbens transportiert - und die Marihuanazüchter schubsen ihn nun hinunter." Noch wichtiger: "Wir müssen testen, ob das Versprühen des Giftes nicht auch langfristige Folgen für die Menschen haben kann."
310 Millionen Euro Jahresumsatz
Blumenkinder, wie die Zeit vergeht! Das Kiffer-Utopia hat sich zu einem harten Geschäft verwandelt, das die Natur zerstört. Etwa 310 Millionen Euro setzen die Marihuanazüchter pro Jahr um. "Seit der Anbau von Marihuana für medizinische Zwecke im Jahr 1996 in Kalifornien entkriminalisiert wurde, ist es mit jedem Jahr verrückter geworden", sagt Sheriff Downey.
Der Paragraf 11362.5 des Health & Safety Codes, besser bekannt als Proposition 215, schützt Besitzer und Anbauer kleinerer Mengen Marihuana vor strafrechtlicher Verfolgung - wobei "kleinere Mengen" bedeutet, dass ein Mensch mit gültigem Rezept pro Jahr 1,36 Kilogramm Marihuana herstellen und 99 Pflanzen anbauen darf. In dem Gesetz ist festgehalten, dass die Züchter keine nach Bundesgesetz verbotenen Pestizide einsetzen dürfen. "Für mich bedeutet das, dass sie alles einsetzen dürfen, was nicht explizit verboten ist", sagt Bauer. Also auch das Rattengift d-CON.
Der Anbau von Marihuana entspringt einer Kultur, die sich seit Jahrzehnten gegen Überwachung, Kontrolle und strikte Gesetzgebung wehrt, was die Arbeit der Behörden in Humboldt erheblich erschwert. Die Züchter sind nur lasch registriert und wehren sich gegen Polizeikontrollen. Nur hin und wieder werden Razzien durchgeführt und Plantagen geschlossen.
Bei einem Eingriff im Dezember vergangenen Jahres fanden Polizisten auf einer Plantage 718 Pflanzen und 400 Kilogramm getrocknetes Marihuana - alles zusammen etwa 3,1 Millionen Euro wert. Downey schließt daraus, dass die Zucht von Marihuana nicht mehr nur Sache von Hippies und deren Kindern ist, sondern dass ein mexikanisches Drogenkartell einen Großteil des Anbaus kontrolliert und mittlerweile bis zu 100.000 Pflanzen besitzt.
"Wir schließen pro Jahr zwischen 50 und 60 Plantagen. Es werden dennoch immer mehr", sagt Downey. Kürzlich haben sich die Bundesstaaten Washington und Colorado dafür ausgesprochen, den Genuss von Marihuana zu entkriminalisieren, die Folgen für Humboldt sind noch nicht abzusehen. Entweder wird es künftig auch in diesen Bundesstaaten Plantagen geben und die Konkurrenz die Preise drücken - oder das Humboldt-Gras erfährt einen zusätzlichen Nachfrageschub. Dann würde alles noch schlimmer.
Protest vom Rattengifthersteller
Die Besitzer kleinerer Plantagen scheinen verstanden zu haben. Sie haben sich im Mai bereit erklärt, Wassertanks zu errichten und nicht mehr die Flüsse anzuzapfen. Zusätzlich wollen sie kein d-CON mehr versprühen. Die Händler in der Gegend haben angekündigt, keines mehr zu verkaufen - was sogleich zu einem Protestbrief des Rattengiftherstellers führte. Das sind wichtige Aktionen, entscheidend wird jedoch sein, wie viele der Züchter tatsächlich mitmachen werden. Schließlich gibt es mehr als vier Millionen Marihuanapflanzen in Humboldt.
"Grünrausch" bezieht sich nicht mehr auf die Farbe der Pflanzen, sondern auf die Farbe der Geldscheine, die mit den Pflanzen verdient werden. Das freilich nervt die Anbauer, die einst aus San Francisco nach Humboldt gekommen sind, um Kommerz und Konsum zu entfliehen. Sie tun das, was auch Tiere tun, wenn sie bedroht werden: Sie hauen ab.
Es ist zu befürchten, dass es in wenigen Jahren im Bezirk Humboldt nicht nur keine Fischermarder, Fleckenkauze, Silberlachse, Königslachse und Regenbogenforellen mehr gibt - sondern auch keine Hippies. Das wäre das endgültige Ende einer einst so schönen Utopie.