Süddeutsche Zeitung

Marder unter der Motorhaube:Mein Auto, mein Revier

Zwischen 14.000 und 18.000 Autos werden in Deutschland jährlich von Mardern beschädigt. Inzwischen weiß man, dass es nicht der Appetit auf Kabel ist, der die Tiere im Motorraum wüten lässt. Was die Marder tatsächlich anlockt und wie man sein Auto schützen kann.

Lennart Pyritz

Ein Elektrozaun unter der Motorhaube, Ultraschallgeräte mit einem Pegel von mehr als 100 Dezibel, Abwehrsprays, Mottenkugeln, Hundehaare, Knoblauch, blinkende Lämpchen. Autofahrern fällt vieles ein, um ihre Vehikel gegen die lästigen Bisse von Mardern zu sichern. Vor allem auf Kabel und Schläuche im Motorraum haben es die Tiere abgesehen.

Nach den ersten Marderattacken auf Autos Ende der 1970er Jahre in der Schweiz wurde noch über die Verursacher gerätselt. Erst der Jäger und Zürcher Kantonspolizist Ruedi Muggler überführte damals die Täter in nächtelangen Observationen.

Seitdem haben die Marder ihre Angriffe auch auf Deutschland ausgeweitet: 1979 gab es erste Berichte aus Südbayern, 16 Jahre später waren auch Kieler Fahrzeuge nicht mehr vor ihnen sicher.

Inzwischen sind nach Angaben des ADAC jedes Jahr zwischen 14.000 und 18.000 Autos in Deutschland betroffen, die meisten davon im Frühling und Sommer. Zum Teil führt das Perforieren der Kabel zum Totalausfall der Motoren.

Die Frage, warum Marder ausgerechnet in Autos beißen, erklärt Eva Goris, Sprecherin der Deutschen Wildtier-Stiftung: "Es ist nicht die Wärme des Motors oder der Geschmack von Kunststoff und Gummi - es ist der Duft eines Rivalen."

Auf gleichgeschlechtliche Artgenossen reagieren Mardermännchen besonders empfindlich in der Ranzzeit - so nennen Jäger die Paarungszeit bei hundeartigen Tieren, zu denen die Marder gehören.

Im Frühjahr beginnen Marder ihr Revier vermehrt mit Hilfe von Duftsekret zu markieren, zwischen Juni und August paaren sie sich. Begegnen sich zwei Mardermännchen, kämpfen sie rabiat um das Streifgebiet und die damit verbundenen Gelegenheiten zur Fortpflanzung. Bereits der Geruch eines Konkurrenten löst Aggressionen aus.

Hier kommen die Autos - eher durch Zufall - ins Spiel. Denn auf ihren nächtlichen Streifzügen besuchen die Tiere oft geparkte Fahrzeuge. Wildbiologen der Universität Gießen erklären dieses Verhalten so: Die Marder haben in den letzten dreißig Jahren gelernt, dass Autos einen attraktiven, an nahezu jeder Straße vorhandenen Unterschlupf bieten. Zuweilen lagern die Tiere in den Motorräumen sogar Nahrung - Mauskadaver, Eier oder Brötchen.

In der Paarungszeit patrouillieren die Tiere gleichsam in den Straßen ihres Reviers, wie Biologen um Jan Herr und Timothy Roper von der University of Sussex in einer zweijährigen Studie mit Hilfe von Peilsendern beobachtet haben. Demnach steuern die Tiere die geparkten Autos gezielt nacheinander an, nur um sie mit Sekret aus ihren Analdrüsen zu markieren. Dabei hinterlassen sie normalerweise keine Bissspuren, sondern verteilen lediglich ihre Duftmarke im Motorraum. Diese bleibt dort an den Oberflächen von Zündkabeln, Dämmmaterial, Achsmanschetten und Kühlwasserschläuchen haften.

Erst wenn der Mensch sein Auto in das Revier eines anderen Marders umparkt, kommt es zum Konflikt. Der Geruch des Konkurrenten wirkt für die Marder wie ein Angriff auf das eigene Territorium. Die Folge sind mitunter wilde Beißattacken auf die Weichteile des Motors, auf denen der Vorgänger seine provozierende Duftspur hinterlassen hat.

In welches Teil des Motorraums der Marder beißt, hängt nicht nur vom Material ab, sondern auch davon, wie zugänglich und mundgerecht die Komponenten sind. Daher sind besonders weiche und dünne Gegenstände wie Kabel und Schläuche gefährdet.

Handfeste Hinweise darauf, dass Marder bestimmte Automarken gegenüber anderen bevorzugen, gibt es trotz zahlreicher Anekdoten nicht. Allerdings vermutet der Naturschutzbund, dass ein großer Motorraum generell attraktiver für Marder ist als der eines Kleinwagens - er bietet mehr Bewegungsfreiheit und Fläche zum Erkunden.

Der ADAC warnt vor massiven Folgeschäden durch die zerbissenen Leitungen. Stirbt der Motor nicht unmittelbar nach der Beißattacke, kann unverbrannter Kraftstoff den Katalysator schädigen. Zerknabberte Gummimanschetten führen zu abgenutzten Antriebs- und Achsengelenken, perforierte Kühlwasserschläuche lassen den Motor überhitzen.

Unmittelbar beschädigte Teile wie Schläuche oder Kabel ersetzt zwar meist die Versicherung. Überhitzt aber der Motor, weil ein Kühlschlauch zerbissen ist, muss der Autobesitzer selber zahlen, sofern er keine Zusatzversicherung gegen Marderschäden abgeschlossen hat, warnt der Automobil-Club.

Die Begeisterung für Autos ist nicht gleichmäßig über alle Arten der Marderfamilie verteilt, zu der auch Wiesel, Otter, Dachse und Iltisse gehören. Fast alle Attacken gehen von Steinmardern aus, die sich als Kulturfolger dem Menschen angeschlossen haben. Sie kommen mittlerweile in Städten zehnmal häufiger vor als im Wald.

Vorbeugen kann der Autofahrer ihren Angriffen nur mit wenigen Mitteln effektiv. Die meisten Maßnahmen sind indes völlig nutzlos, wie eine Studie des Arbeitskreises Wildbiologie der Universität Gießen im Auftrag von Audi, Daimler-Benz und BMW ergeben hat. Die Tiere lassen sich demnach lediglich durch mechanische Schutzvorrichtungen und Hochspannungsgeräte abhalten. Geruchsstoffe und akustische Abwehrgeräte wirken dagegen nicht.

"Der häufig gehörte Tipp, Duftstoffe wie WC-Steine oder Mottenkugeln zu nutzen, um das Tier zu vertreiben, kann die Situation nur verschlimmern", bestätigt auch Goris. "Eine Motorwäsche ist eine wesentlich effektivere Abwehrmaßnahme." Auch die Ummantelung der Kabel mit bissfesten Hartkunststoffen könne helfen.

Zu einem wesentlich einfacheren, allerdings nur begrenzt effektiven Trick rät der Naturschutzbund: Autofahrer sollten ein auffällig gefärbtes Stück Maschendraht unter ihr parkendes Auto legen. Da Marder vorsichtig sind und unbekannte Gegenstände meiden, hält der Draht die Tiere davon ab, in den Motorraum zu schlüpfen. Zumindest so lange, bis sie sich an seine Anwesenheit gewöhnt haben.

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Quelle:
SZ vom 05.08.2011/mcs
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