Marc van Roosmalen:Über Entdeckungen

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Marc van Roosmalen ist einer der wenigen Forscher, die noch auf eigene Faust im Dschungel unterwegs sind. In den vergangenen zehn Jahren hat er 20 neue Affenarten entdeckt. Und in Brasilien bekommt er Morddrohungen.

Freddie Röckenhaus

Der Holländer Marc van Roosmalen gehört zu einer aussterbenden Spezies - er ist ein Naturforscher, der noch auf eigene Faust im tiefsten Dschungel unterwegs ist. Er spricht zugleich mit portugiesischem und holländischem Akzent, ein Singsang-Englisch, das er auch zum Interviewtermin in Dortmund mitbringt. Seine Markenzeichen sind die silbergraue Haarmähne und das Barfußlaufen im Dschungel. Heute aber trägt er Schuhe.

Ein Zog-Zog aus dem brasilianischen Urwald, den Roosmalen identifiziert hat. (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr van Roosmalen, Sie werden dieses Jahr 60. Trotzdem rennen Sie immer noch barfuß durch den brasilianischen Regenwald, auf der Suche nach unbekannten Tierarten. Sind Sie nicht allmählich etwas alt fürs Indianer-Spielen?

Marc van Roosmalen: Danke für die charmante Erinnerung an mein Alter. Aber ich habe noch zwei, drei größere Säugetiere auf meiner Entdeckungsliste. Außerdem können Sie nach 30 Jahren im Dschungel gar nicht mehr zurück auf einen Büro- oder Laborsessel. Das wäre nicht meine Welt.

SZ: Das Time Magazine hat Sie vor ein paar Jahren als einen der "Helden des Planeten" ausgerufen, als einen der radikalsten und wichtigsten Umweltschützer weltweit. Prinz Bernhard der Niederlande hat Sie geehrt und Ihnen Geld für den Ankauf von großen Regenwaldarealen gespendet. Aber ansonsten gelten Sie als Querkopf und Eigenbrötler. Warum?

Van Roosmalen: Weil ich ein Querkopf und Eigenbrötler bin. Ich bin auch ein netter Mensch, ich bin ein Kind der Flowerpower-Generation, ein Pazifist, ein Antiautoritärer. Aber der Schutz des Regenwaldes in einem so korrupten Land wie Brasilien ist kein Kindergeburtstag. Wahrscheinlich bin ich diesen ganzen Konflikten und Kämpfen nicht sehr gewachsen. Ich bin nicht diplomatisch und ich bin viel zu misstrauisch geworden. Ich sitze lieber in einem Beobachtungscamp im abgelegenen Dschungel und lasse mir von den Caboclos, also den dort lebenden Einheimischen, berichten, welche Tiere sie aus dem Urwald kennen.

SZ: Sie sind aber offenbar im Dauerclinch mit den Behörden in Brasilien, Sie bekommen Morddrohungen, und in Wissenschaftskreisen gelten Sie bisweilen als schwierig.

Van Roosmalen: Gut, fangen wir mit der wissenschaftlichen Seite an. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren 20 neue Affenarten entdeckt. Primatologie ist mein Spezialgebiet, ich habe über die acht Affenarten des guayanischen Regenwaldes promoviert und über deren Nahrungsgrundlagen ein Buch geschrieben.

SZ: Das wird wohl nicht der Grund sein, warum Sie anecken . . .

Van Roosmalen: Die Nahrungsgrundlagen der Affen verschwinden, wenn man ihnen ihren Lebensraum wegnimmt. Und wenn man deshalb dazu auffordert, den Regenwald in bestimmten Regionen in Ruhe zu lassen, dann bekommt man in Brasilien sehr wohl Ärger. Bisher habe ich nur fünf der 20 neuen, bisher unbekannten Arten ordentlich und bürokratisch publiziert.

Eine davon, Callibella humilis, das Zwergseidenäffchen, ist sogar als ganz neue Gattung anerkannt. Wenn man bedenkt, dass es etwa 200 Affenarten gibt, und ich davon 20 erstmals beschrieben habe, können Sie sich vorstellen, dass man sich damit bei den Kollegen in den Jurys der Fachzeitschriften nicht nur Freunde macht.

Der Wissenschaftsbetrieb liebt keine Forscher, die dauernd draußen im Dschungel herumrobben und dann den Ruhm abschöpfen. Aber noch unbeliebter wird man, wenn man alle Entdeckungen in derselben Region macht. Das erzeugt Druck, dieses Gebiet zu schützen.

SZ: Bleiben wir bei den Wissenschaftlern: Ihre Forscherkollegen sind neidisch?

Van Roosmalen: Ein Engländer namens Alfred Russell Wallace hat nachweislich die entscheidenden Erkenntnisse gesammelt, die Charles Darwin zu seiner berühmten Evolutionstheorie brachten. Er hat Tausende Entdeckungen gemacht und Darwin die fertigen Theorie-Bestandteile frei Haus nach England geschickt. Darwin, der in London saß und ein angesehener Kopf der Wissenschaftsgemeinde war, hat den Ruhm für sich allein abgeschöpft.

SZ: Und Ihnen geht es heute genauso?

Van Roosmalen: Ich will mich nicht mit Wallace auf eine Stufe stellen. Er war der Größte. Aber mal ein Beispiel: Ich habe die Zwergseekuh Trichechus pygmaeus entdeckt und sie in einem ordentlichen Aufsatz für die sehr renommierte Zeitschrift Nature beschrieben. Nur einer der Lektoren, die über die Veröffentlichung entscheiden, hat meinen Text abgelehnt, was dann immer auch zur Gesamtablehnung führt.

Warum? Er behauptete, es handele sich bei dem von mir gefundenen Tier um ein Jugendexemplar der viel größeren altbekannten amazonischen Seekühe. Das ist hanebüchener Unsinn, weil das von mir dokumentierte neue Tier ein voll ausgebildetes Gebiss hatte, das massiv vom Kauen abgenutzte Zähne aufwies. Inzwischen haben DNS-Analysen meinen Aufsatz zwar bestätigt, und ich werde das jetzt durchboxen, aber Sie sehen: Im Wissenschaftsbetrieb geht es oft zu wie zu Darwins Zeiten. Wer zu Hause im Trockenen sitzt, hat die Meinungshoheit.

SZ: Was für Tiere haben Sie im Urwald sonst noch angetroffen?

Van Roosmalen: Ich habe 17 weitere Säugetierarten entdeckt, die Affen also nicht mitgerechnet. Das Zwerg-Stachelschwein, das ich am Rio Madeira, einem der großen Nebenflüsse des Amazonas, gemeinsam mit meinem Sohn Tomas fand, hat der New Yorker Biologen-Kollege Robert Voss publiziert und zu meinen Ehren Sphiggurus roosmalenorum genannt. Außerdem habe ich fünf neue Vogelarten entlang des Rio Aripuana entdeckt, die ich zwei Ornithologen-Kollegen übergeben habe. Und dann noch etwa 50 Pflanzenarten.

SZ: Sie waren bis 2003 angestellter Wissenschaftler beim staatlichen brasilianischen Amazonas-Forschungsinstitut Inpa in Manaus. Man hat Sie dort nach offenbar langen Querelen rausgeworfen. Sie gelten in Brasilien inzwischen als schlimmer Finger. Eigentlich müsste ein Institut wie Inpa doch glückselig sein, einen wie Sie zu haben.

b>Van Roosmalen: Sie kennen Brasilien nicht.

SZ: Doch, ein bisschen. Die Bürokratie ist ostblockreif.

Van Roosmalen: Nicht nur das. Ein Forschungsinstitut wie Inpa wäre in Europa relativ unabhängig von staatlicher Einflussnahme. In Brasilien nicht. Dort regiert die sogenannte Umweltbehörde Ibama hinein und wenn es sein muss, das Wirtschaftsministerium. Und auf diese beiden nehmen gewisse Wirtschaftskreise massiven Einfluss: Holzindustrie, Goldindustrie, der Verband der Sojabohnen-Produzenten und so weiter.

SZ: Es ist bekannt, dass Brasilien die Regenwaldvernichtung nicht stoppt. Aber was hat das mit Ihrer Jagd nach neuen Tierarten zu tun?

Van Roosmalen: Ich habe fast alle meine Entdeckungen in dem Gebiet des Rio Aripuana und des Arauazinho gemacht, zwei Nebenflüssen des Madeira, der in den Amazonas mündet. Ich arbeite dort seit etwa 20 Jahren. Der Regenwald wird in dieser Region während der Regenzeit dramatisch überflutet, das Wasser steht dann zwölf Meter höher als im Durchschnitt.

Meine Entdeckungen belegen eine besonders große Biodiversität, also einen Artenreichtum in diesem Gebiet, für den es auch eine geomorphologische Theorie gibt. Diese Theorie will ich bald veröffentlichen. In der Region Aripuana habe ich mit dem Geld von Prinz Bernhard und anderen Spendern etwa 20000 Hektar unberührten Regenwald aufgekauft. Diese Gegend konnten wir - dank eines brasilianischen Gesetzes - zum Naturschutzgebiet erklären lassen.

SZ: Dagegen wird Ihr Institut ja nichts gehabt haben.

Van Roosmalen: Die Leute im Hintergrund schon. In meiner Forschungsregion am Rio Aripuana will die Sojabohnenindustrie aus dem Mato Grosso die Savannenflächen roden und für den Anbau von Sojabohnen nutzbar machen. Am Nebenfluss Rio Juma herrscht im Moment ein regelrechter Goldrausch. Die Goldgräber schießen in den Wäldern, was sie Essbares finden können. Der Kies- und Schotterabbau in den Nebenflüssen soll intensiviert werden. Das ist besonders schlimm für die Flusssäugetiere, die hier ein Refugium im kristallklaren Wasser haben.

SZ: Sie kommen den Wirtschaftsinteressen in die Quere. Das ist für Umweltschützer doch normal.

Van Roosmalen: Stellen Sie sich vor: Ein Holländer, der auch noch von einer brasilianischen Staatsbehörde bezahlt wird, findet dort neue Tierarten und schafft es, große Teile der Gegend unter Naturschutz stellen zu lassen. Das hätte die Industriepläne zunichte gemacht. Also mussten sie mich schnell loswerden.

SZ: Die Umweltbehörde Ibama ist Ihrer Meinung nach der Drahtzieher dahinter? Was hat man Ihnen vorgeworfen?

Van Roosmalen: Die Ibama, also so etwas wie das Umweltamt von Amazonien, ist eine rein politische Organisation. Es ist purer Zynismus, dass sie das Wort Umwelt im Namen trägt, denn das suggeriert Umweltschutz. In Wahrheit ist Ibama dafür zuständig, die Umwelt zu verwerten und die Indianerstämme, die dabei im Wege sein könnten, in Schach zu halten und quasi für unmündig zu erklären.

SZ: Aber was hat man Ihnen denn nun vorgeworfen?

Van Roosmalen: Ich hatte im Garten meines Hauses in Manaus etwa 20 Affen in Käfigen gehalten, darunter neue Arten und bedrohte Arten, um sie weiter zu studieren. Dazu war ich als Inpa-Wissenschaftler zwar autorisiert, aber in Brasilien kann sich eine Organisation wie Ibama eine richterliche Verfügung besorgen, um die Affenhaltung trotzdem für illegal zu erklären. Angeblich weil ich eine unerlaubte private Zuchtstation eröffnet hätte. Völliger Quatsch. Ich halte von der Zucht bedrohter Tierarten in Zoos überhaupt nichts. Man muss die natürliche Habitat der Tiere schützen.

SZ: Was geschah weiter?

Van Roosmalen: Man hat mich verklagt, bei Inpa rausgeworfen, die Affen konfisziert. Ich wurde ein paar Monate später natürlich freigesprochen, weil das Ziel ja erreicht war. Seit ich nicht mehr offizieller Inpa-Wissenschaftler bin, konnte ich mich nur noch begrenzt wissenschaftlich betätigen. Außerdem wurden die meist ziemlich dämlichen brasilianischen Medien mit Falschinformationen über mich gefüttert. Ich sei ein Tierhändler und Biopirat.

SZ: Weil Sie illegal Pflanzen und Tiere aus dem Land geschafft haben?

Van Roosmalen: Habe ich natürlich nicht. Aber Sie kennen das von Pflanzen: Pharmakonzerne interessieren sich seit Jahren für Urwaldpflanzen, deren Wirkung und deren Erbgut. Die Brasilianer pflegen ihr Trauma, dass damals die Kautschukpflanze aus ihrem Land geschmuggelt wurde und ihr Kautschukmonopol gebrochen war.

Brasiliens Staat und die Machtelite wollen alles für sich. Wenn jemand wie ich immer wieder neue Tierarten entdeckt und das auch noch in einer Region, mit der Brasilien andere Pläne hat als Naturreservate anzulegen, dann kann man ihn mit dem Argument der Biopiraterie erschlagen.

SZ: Wie ist Ihr Status jetzt? Sie sind schließlich immer noch in Brasilien.

Van Roosmalen: Ich habe neben der holländischen auch die brasilianische Staatsbürgerschaft. Sie können mich also nicht rauswerfen. Ich bin zuletzt von einer deutschen Organisation, der Stiftung Artenschutz, unterstützt worden. Es gibt eine Spenderin, eine Ärztin aus Berlin, die für meine Projekte Geld zur Verfügung gestellt hat. Das passt den Brasilianern nicht.

Deshalb wird auf jeden Druck ausgeübt, der mit mir kooperiert oder mich unterstützt. Stiftung Artenschutz fördert meine Arbeit indirekt durch eine andere deutsche Organisation in Brasilien, die dort die Lizenz hat, Forschung zu betreiben. Denen bin ich offenbar lästig, weil ihnen Ibama nun Schwierigkeiten macht. Man kann sich denken, wie das enden wird. Der Chef der deutschen Organisation in Manaus, die für Stiftung Artenschutz arbeitet, ist ein ehemaliger Greenpeace-Mann. Aber er hat Angst, sich mit einem Illegalen wie mir sehen zu lassen.

SZ: Sie sind als Wissenschaftler auf jeden Fall außer Gefecht gesetzt?

Van Roosmalen: Noch nicht ganz. Ich denke, dass ich ab dem nächsten Jahr Fördergelder aus den USA bekomme, um weitermachen zu können. Ich lebe inzwischen von sehr wenig Geld. Ich könnte einen Lehrauftrag in New York annehmen. Aber ich will mein Forschungsgebiet am Aripuana behalten. Der Regenwald ist so etwas wie meine Religion, wenn das jetzt nicht zu pathetisch klingt. Aber man denkt sich immer neue Dinge aus, um mich fertigzumachen.

SZ: Sind Sie sicher, dass Sie nicht an Verfolgungswahn leiden?

Van Roosmalen: Ich schlafe gut, wenn Sie das meinen. Doch verbreitet man nun über mich, ich würde die einheimischen Caboclos am Rio Aripuana mit Waffen ausrüsten, damit sie für mich seltene Tiere abschießen. Mit solchen Mitteln wird gearbeitet. Ein unglaublicher Vorwurf.

SZ: Herr van Roosmalen, zum Abschluss unseres Gesprächs: Gibt es noch eine Tierart, die Sie uns vorenthalten haben?

Van Roosmalen: Das Pecari maximus aus der Familie der Tayassuidae. Ich habe es 2000 entdeckt, und es ist das bisher größte bekannte Pekarischwein. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass ein solch großes Landsäugetier bisher unentdeckt bleiben konnte. Es ist groß wie ein Hausschwein. Leider werde ich nicht verhindern können, dass die Caboclos auch diese Tierart jagen und aufessen werden, wenn sie ihr begegnen. Die Spezies publiziere ich nächsten Monat in einer deutschen Fachzeitschrift.

Marc van Roosmalen ist der erfolgreichste Biologe der Welt, wenn es um das Aufspüren neuer Tierarten geht. 1947 in den Niederlanden geboren, promovierte er später über die Affenarten des Regenwaldes von Guayana und lebt seit etwa 30 Jahren in südamerikanischen Dschungelgebieten. Zuerst in Surinam, seit 1986 in Amazonien. Van Roosmalen besitzt neben der holländischen auch die brasilianische Staatsbürgerschaft.

Als Naturforscher und Primatologe wurde er unter anderem als "Hero for the Planet" vom US-Magazin Time ausgezeichnet. Prinz Bernhard der Niederlande verlieh ihm den "Orden der Goldenen Arche". In Brasilien aber bekommt er Morddrohungen, wird verfolgt und gemobbt. Van Roosmalen lebt mit seiner Lebensgefährtin Vivian in Manaus.

© SZ vom 2.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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