Spanien:Wenn eine Lagune ihre eigenen Rechte erhält

Spanien: Spaniens größte Salzwasserlagune Mar Menor steht vor dem Kollaps. Immer wieder kommt es dort zum Fischsterben, nun können Menschen, die der Lagune schaden, vor Gericht gebracht und zu einer Geldstrafe verurteilt werden.

Spaniens größte Salzwasserlagune Mar Menor steht vor dem Kollaps. Immer wieder kommt es dort zum Fischsterben, nun können Menschen, die der Lagune schaden, vor Gericht gebracht und zu einer Geldstrafe verurteilt werden.

(Foto: ---/dpa)

Das Mar Menor ist das erste Ökosystem Europas, dem Personenstatus verliehen wird. Angesichts des massiven Fischsterbens scheint der Schritt dringend notwendig zu sein - aber kann die Lagune überhaupt noch gerettet werden?

Von Celine Chorus

"Wir sind die Stimme des Mar Menor", skandierten die Aktivisten der Bürgerinitiative "Rechtspersönlichkeit für das Mar Menor", die sich am Mittwoch vor dem Senat in Madrid versammelt hatten. An der Plaza de la Marina entrollten sie Transparente, einige von ihnen trugen auch Stoffhüte mit Seepferdchen, um sich für den Schutz von Spaniens größter Lagune einzusetzen. Mit dem Bus waren sie aus der Region Murcia nach Madrid gereist, um von der Besuchertribüne im Plenarsaal zu verfolgen, wie der Senat um 16.35 Uhr schließlich ihrem Gesetzesvorschlag zustimmte.

Die stark belastete Lagune Mar Menor, im Südosten Spaniens an der Costa Cálida gelegen und nur durch einen schmalen Sandstreifen vom Mittelmeer getrennt, ist in dieser Woche zu einer Rechtspersönlichkeit mit einklagbaren Rechten ernannt worden. Nachdem im April schon das Abgeordnetenhaus zugestimmt hatte, passierte das Gesetz nun auch den Senat - und könnte schon in wenigen Tagen in Kraft treten. Das Mar Menor ist damit das erste Ökosystem Europas, das diesen Status erhält.

Wer der Lagune schadet, kann vor Gericht gebracht und zu einer Geldstrafe verurteilt werden

640 000 Menschen hatten im vergangenen Jahr ein entsprechendes Volksbegehren unterschrieben und damit das spanische Gesetzgebungsverfahren in Gang gesetzt. 500 000 Unterschriften hätten gereicht, um den Vorschlag ins Parlament einzubringen. Jetzt darf jeder Bürger, auch wenn er nicht selbst betroffen ist, klagen, wenn er die Rechte des Mar Menor verletzt sieht. Wer der Lagune schadet, kann vor Gericht gebracht und zu einer Geldstrafe verurteilt werden.

Der Umwelt einklagbare Rechte zuzusprechen, sei "eine Revolution, die dem derzeitigen Wirtschaftssystem, das den Planeten zerstört, Grenzen setzen wird", sagte Teresa Vicente, Professorin für Rechtsphilosophie an der Universität Murcia, die eine der treibenden Kräfte hinter der Bürgerinitiative war. Das neue Gesetz gibt der belasteten Lagune das Recht, "als Ökosystem zu existieren und sich auf natürliche Weise zu entwickeln". Ein Komitee, das aus Vertretern der Behörden und der Gesellschaft besteht, soll fortan über den Schutz, den Erhalt und die Renaturierung des Mar Menor wachen.

Seit Jahren warnen Biologen davor, dass Spaniens größte Lagune vor dem Kollaps steht. Die Küstenregion rund um das Mar Menor wird auch als "Garten Europas" bezeichnet, weil dort Obst und Gemüse für den Export angebaut wird. Doch die Landwirtschaft hat schwere Folgen für die Lagune: Werden die Düngemittel bei Starkregen aus dem Boden ausgewaschen, gelangen Unmengen an Stickstoff, Phosphor und Nitraten in das Ökosystem. Das Überangebot an Nährstoffen führt zu einem rasanten Algenwachstum.

Wenn die Algen absterben, sinken die toten Pflanzenteile zu Boden und werden dort von Bakterien zersetzt, die so viel Sauerstoff verbrauchen, dass Fische und andere Meerestiere ersticken. Das hat das Mar Menor im vergangenen Sommer zu einer "Todeszone" gemacht. Es war das zweite massive Fischsterben innerhalb von drei Jahren: Fische und Krustentiere versuchten, sich an das Ufer zu retten, wo sie schließlich verendeten. An den Stränden bildete sich ein Teppich aus toten Meerestieren. Offizielle Stellen sprechen von fünf Tonnen, Umweltorganisationen sogar von zehn bis 15 Tonnen an Fischen, Krustentieren und Algen, die in der Salzwasserlagune verendet sind.

Die Lagune kann sich wieder erholen, doch sie wird nie mehr sein, wie sie früher war

Gibt es also überhaupt noch Hoffnung für das Mar Menor? "Natürlich ist eine Genesung möglich, wie wir in diesem Sommer und auch in der Vergangenheit beobachtet haben", sagt der Biologe Pedro García von der Asociación de Naturalistas del Sureste (ANSE). Gegenwärtig sei die Situation wesentlich besser als in den vergangenen Jahren, erklärte er im August gegenüber Radio Cartagena, da einige Maßnahmen wie die Reduzierung des Nitrateintrags und die Beseitigung von etwa 5000 Hektar illegal bewässerter Flächen ergriffen worden seien. Dies beweise die Fähigkeit des Mar Menor, sich angesichts von Widrigkeiten zu erholen, was als Möglichkeit für seine zukünftige Genesung angesehen wird. "Eine andere Frage ist, ob wir das Mar Menor von vor 40 oder 50 Jahren wiederherstellen können, was in vielen Aspekten seiner biologischen Vielfalt und Landschaft unmöglich ist", so García gegenüber der SZ.

Mit dem neuen Gesetz soll die Zukunft der Lagune nun auch auf rechtlicher Ebene gesichert werden. Ähnliche Schritte gab es in Europa bislang nicht. Ecuador ist das einzige Land auf der Welt, das die Natur in seiner Verfassung zum Rechtssubjekt erhoben hat. 2017 wurde der Fluss Whanganui in Neuseeland erstmals mit den gleichen Rechten wie ein lebender Mensch ausgestattet. Und im US-Bundesstaat Florida haben Menschen im Namen mehrerer Gewässer gegen ein Bauvorhaben geklagt. Die Klage richtete sich gegen eine geplante Wohnsiedlung mit einer Fläche von etwa 1 900 Hektar, wurde von einem Richter aber abgewiesen.

Auch für das Mar Menor gibt es bereits zahlreiche Schutzbestimmungen, aber keine konnte die Katastrophe im vergangenen Sommer verhindern. Die Gesetzesinitiative sei "ein Beweis für das Versagen der regionalen und nationalen Politik", erklärte einer der Senatoren der Region Murcia, Miguel Sánchez López, nach der Abstimmung: Dies habe dazu geführt, dass sich die Bevölkerung gezwungen sah, sich zu mobilisieren, "um eine Lösung für das Problem zu finden, das wir Politiker geschaffen haben".

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